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Kultur in Katerstimmung

Vor einem Jahr gingen die Ägypter erstmals gegen ihren damaligen Präsidenten Mubarak auf die Straße. Der Tahrir-Platz wurde zum Symbol des arabischen Frühlings. Doch viele Künstler und Intellektuelle der arabischen Welt zeigen sich inzwischen skeptisch im Hinblick auf die jüngsten Entwicklungen.

Von Kersten Knipp | 25.01.2012
    Die letzten Wochen sah es oft nicht gut aus auf dem Tahrir-Platz. Über weite Teile war er nicht nur zum Marktplatz für Kleinhändler geworden, sondern auch zu einem Treffpunkt von Drogensüchtigen und Obdachlosen. Die Revolution in Katerstimmung: So schien es oft in letzter Zeit.

    Und wirklich, viele Revolutionäre der ersten Stunde sind reichlich ernüchtert. Der Kairoer Maler Khaled Hafez etwa, einer der bekanntesten Künstler Ägyptens. In seiner jüngsten, Mitte Januar eröffneten Ausstellung zeigt er Bilder, die sich mit der Revolution auseinandersetzen - und zwar auf durchaus unpathetische Weise. Dies deutet sich bereits in dem Titel an, der er für sie wählte.

    "Ich habe meine Ausstellung mit 'Stockholm-Symptome' überschrieben, da ich in den Wochen nach der Revolution beobachten musste, dass einige junge Menschen, die mit auf dem Tahrir-Platz waren, sich mit einem Mal auf Symbole des alten Regimes bezogen. Als ich eine junge Künstlerin nach ihren Gründen fragte, antwortete sie, sie fühle sich durch die anderen Kandidaten ideologisch nicht repräsentiert. Sie meinte natürlich die Islamisten. Darum wählte sie einen Kandidaten des alten Regimes. Das ist für meine Begriffe nichts anderes als das Stockholm-Syndrom."

    Überhaupt: Es ist gut möglich, dass das Publikum aus den westlichen Staaten die Revolutionen in der arabischen Welt allzu euphorisch betrachtet, über die schönen Bilder die oft weniger schöne Realität vergisst. Viele Künstler und Intellektuelle der arabischen Welt zeigen sich durchaus skeptisch im Hinblick auf die jüngsten Entwicklungen.

    Der Libanon hat zwar allenfalls Ansätze einer Revolution erlebt, einige blasse Demonstrationen. Aber beteiligt an ihr ist er doch, zumindest eine seiner Gesellschaftsgruppen: Die Hizbollah, die in Syrien Präsident Assad hilft, den Aufstand niederzuschlagen. Angesichts solcher Entwicklungen ist die libanesische Schriftstellerin Alawiyya Sobh durchaus verhalten, was eine mögliche Aufbruchsstimmung angeht:

    "Ein Staat auf konfessioneller Grundlage ist unmöglich. Menschen, die politisches Denken auf eine konfessionelle Basis stellen, sind Rassisten, Faschisten. Solche Menschen akzeptieren die anderen nicht. Doch sie trifft man auch unter denen, die sich für modern oder sogar für links halten. Das gilt insbesondere für das Verhältnis zwischen Männern und Frauen. Wenn ein Mann seine Frau im Haus hält, unterdrückt er sie. Derzeit habe ich große Angst davor, dass die Islamisten die Macht übernehmen könnten, im Libanon wie in der arabischen Welt überhaupt. Der Islam könnte zu einer Art Faschismus werden, auch im Hinblick auf die Frauen. Denn ihnen spricht er nur den halben Wert zu: im Hinblick auf ihren Intellekt, auf die Religion und auf ihre Rechte."

    Und die Kultur? Was kann sie leisten? Unmittelbar sehr wenig, denn Hochkultur hat in den arabischen Ländern ein erheblich kleineres Publikum als in den westlichen. Viele Menschen können nicht lesen, sind daher auf Übersetzungen literarischer Werke in Bilder, etwa in Form von Comics oder des Kinos, angewiesen. Und denen, die lesen können, ist die Hochkultur oft schlicht gleichgültig. Zudem, erklärt Maha Hassan, syrische Autorin mit kurdischen Wurzeln und seit acht Jahren im Pariser Exil lebend, ist die Kultur ihrerseits zumindest in Syrien erheblichem Druck ausgesetzt - ein Phänomen, für das sie das Wort von der "kulturellen Korruption" gebraucht:

    "In Syrien gibt es keine Pressefreiheit, es gibt keine Freiheit der Kritik. Die staatlichen Institutionen entsprechen den Vorgaben der Regierungspartei, alles dreht sich um den Regierungspräsidenten, überall hängen seine Bilder. Jede Rede, jedes Poesiefestival muss dem entsprechen. Eigentlich sollte jeder Intellektuelle ein Oppositioneller sein, sich auflehnen, protestieren. Kultur sollte ein anderes Wort für Freiheit sein. Der Kulturminister hat unendliche Macht. Das hat natürlich unmittelbare Auswirkungen auf die Kultur. Das meine ich, wenn ich von kultureller Korruption spreche."