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Kultur verzichtbar

Die kommunalen Kassen sind leer, Kultur zählt zu den freiwilligen Leistungen. Die Stadt Bonn lässt seine Bürger den Rotstift selber anlegen und lässt online über Einsparpotenzial abstimmen. Für Beethoven Orchester und Kunstmuseum sieht es nicht gut aus.

Von Antje Allroggen | 14.02.2011
    "Ich möchte nicht gerne in einem anderen Jahrhundert leben", schrieb einst Friedrich Schiller, als er laut über die ästhetische Erziehung des Menschen nachdachte. Er befürchtete schon damals, dass die Stimme des Staatsbürgers nicht zum Vorteil der Kunst ausfallen könnte: "Denn die Kunst", so Schiller wörtlich, "ist eine Tochter der Freyheit, und von der Nothwendigkeit der Geister, nicht von der Nothdurft der Materie will sie ihre Vorschrift empfangen".

    Wie pragmatisch-hemdsärmlig künftig über den Fortbestand kultureller Angebote entschieden werden könnte, verrät bereits das Motto der Bonner Sparaktion: Auf der Seite "Bonn packt´s an", die bis Mittwoch für alle Bonner Bürger freigeschaltet ist, diskutieren und kommentieren knapp 46.000 Nutzer öffentlich Sparvorschläge der Verwaltung oder stellen eigene Vorschläge online. Ein Rekord. Zwar führten auch schon andere deutsche Städte Bürgerbefragungen zum Haushalt via Internet durch. Bisher war die Beteiligung der Bürger allerdings fast immer enttäuschend: An Essens Aktion mit dem ebenso peinlichen Titel "Essen kriegt die Kurve" nahmen vor knapp zwei Jahren gerade einmal 4000 Bürger teil.

    Ganz anders in Bonn, meint Jürgen Nimptsch, Oberbürgermeister der finanziell klammen Bundesstadt.

    "Wir haben alle sogenannten freiwilligen Leistungen, die in diesem Jahr eingestellt worden sind, leidenschaftslos untereinander gestellt. Und in den Kommentierungen der Verwaltung allerdings immer dort auch zum Ausdruck gebracht, welchen Wert diejenige Angelegenheit für uns hat. Beim Beethoven Orchester steht zum Beispiel in der Kommentierung: Das gibt es jetzt hier schon über ein Jahrhundert, und das ist für die Stadt sehr wichtig, und das ist ein Kulturbotschafter. Also haben wir zum Ausdruck gebracht, dass man da eigentlich nicht darauf verzichten kann. Aber wenn man sich schon einmal dazu entschließt, alles zur Disposition zu stellen, dann muss man das auch so machen."
    "Dann muss das Beethoven Orchester eben sehen, dass es ökonomisch arbeitet, wie jeder andere Gewerbebetrieb auch."

    Kommentiert ein Bürger den Fortbestand des Klangkörpers.

    "Wer gerade einmal zehn Prozent seines Budgets einspielt, muss sich fragen lassen, ob er nicht seit Jahren am Markt vorbei produziert."

    Sagt ein anderer Bürger zum Vorschlag der Verwaltung, das Schauspiel kurzerhand zu schließen. Weitere 428 Internetnutzer sind ebenfalls dafür, nur 386 Bürger waren Anfang dieses Monats dagegen. So viel "Kultur für alle" war noch nie, weiß Oliver Märker von der Internetberatung zebralog, die für viele Städte die Bürgerhaushalt-Befragungen im Netz koordiniert.

    "Man könnte sagen, dass man, bevor man eine Kultur für alle entwickelt oder realisiert, dass man auch den Kreis, die über Kultur sprechen, vergrößert."

    "In dem Moment, wo man ein Verfahren so niedrigschwellig ansetzt wie das in Bonn auch so gewollt und entschieden wurde, hat man einfach mehr Stimmen. Und dazu gehören auch Stimmen, die einem möglicherweise nicht gefallen. Sie haben einfach ein Teilbild einer Stadtgesellschaft, das aber differenzierter war als es vorher war."

    Selbst wenn die Bürger per Mausklick die Kultur einer Stadt schnell zur Disposition zu stellen scheinen - abzuwarten sei nun, wie die einzelnen Kommunen die Stimmen nun auswerten. Birgit Frischmuth vom deutschen Städtetag:

    "Das ist ein Prozess, der in den einzelnen Städten oder Kommunen ausgelöst werden muss. Und man muss auch berücksichtigen, solche Erhebungen sind immer mit entsprechendem Ressourceneinsatz verbunden. Dafür müssen Mittel freigestellt werden, die an anderer Stelle möglicherweise wieder fehlen. Insofern ist das auch ein Abwägungsprozess."

    Andere Städte wie etwa Aachen folgen dem Bonner Modell, bereits im Sommer soll hier ein ähnlich umfangreiches Portal online gehen. Ob die Bürgerbefragung tatsächlich politische Sparvorhaben vereinfacht oder lediglich Gefallen an der neuen Protest-Lust des Staatsbürgers findet, wird derzeit heftig diskutiert. Konkrete Erfahrungen damit gibt es zumindest in Deutschland noch keine. In Bonn zeichnete sich nach der Halbzeit des Verfahrens der Trend ab, lieber soziale Angebote beibehalten zu wollen und dafür eher auf kulturelle Einrichtungen zu verzichten. Die Freunde des Bonner Kunstmuseums, um dessen Zukunft es nach der Bürgerbefragung schlecht aussehen könnte, kritisierten, das Portal bringe nicht mehr hervor als populistische Gesinnungsrülpser. Friedrich Schiller hätte diese Bezeichnung sicherlich gefallen.