Mittwoch, 17. April 2024

Archiv


Kulturberichterstattung ohne Zukunft?

Die Schweiz erlebt gerade den Zusammenprall von alten und neuen Medien und zwar in einem Maß, das an den Grundfesten rüttelt. Eine Podiumsdiskussion zum Thema "Die Zukunft der Kulturberichterstattung" am Dienstag in Zürich fand unter alarmierenden Vorzeichen statt.

Von Karin Fischer | 23.06.2009
    Das Überraschende an diesem Abend war, wie wenig sich die Blattmacher auf die Wirtschafts- und Finanzkrise beriefen. Die Diskussion bestätigte, was auch in Deutschland ein offenes Geheimnis ist: mit Entlassungen von Journalisten oder Frühpensionierungen - beim "Tages-Anzeiger" werden fünfzig Stellen gestrichen - reagieren die Verlagshäuser auf Entwicklungen, die deutlich älter sind als die Krise. Beim "Tages-Anzeiger" sind sie dramatisch: Das national verbreitete Blatt hat in den letzten Jahren 40 Prozent der Erträge, aber auch 30 Prozent seiner Leserschaft eingebüßt. Die Konkurrenz von Online-Nachrichtenportalen, das geänderte Nutzungsverhalten der Leser, in Zürich auch durch kosten- und niveaulose Gratiszeitungen haben das bewirkt.

    Ein Zielkonflikt zwischen publizistischer Verantwortung und Rendite-Erwartung der Unternehmensleitung wird dabei nicht geleugnet, lässt sich aber auch nicht lösen. Die Selbstschrumpfungsprozesse, die jetzt stattfinden müssen, haben auch für die Kulturberichterstattung dramatische Auswirkungen. Moderatorin Isabelle Jacobi fasst zusammen:

    "Beim "Tages-Anzeiger" haben sich die Stellenprozente in der Kulturredaktion seit 2003 von rund tausend Stellenprozenten auf rund 500 halbiert. Hinzu kommen Freie oder Mitarbeiter mit Fixa, die hinweggefallen sind und auch der Umfang hat sich reduziert. Früher war der Kulturteil drei Seiten lang, heute noch zwei oder zweieinhalb Seiten pro Tag. Und bei der "NZZ", gerade eben wurde die Architekturbeilage gestrichen. Die Zeitbilder haben das Zeitliche gesegnet und die Zürcher Kultur findet nur noch auf einer halben Seite statt und der Veranstaltungskalender "NZZ-Ticket" ist eingestellt worden, zuerst 2007 das Heft und danach auch die Online-Ausgabe."

    Die Behauptung, dass dieser Abbau nicht zu Qualitätsverlusten in der Kulturberichterstattung führt, konnte nicht widerlegt werden. Zwar gibt es keine Stadt vergleichbarer Größe, die wie Zürich gleich zwei national bedeutende Blätter vorweisen kann. Doch die überregionale Ausrichtung gerade der NZZ führt zu einer Vernachlässigung der Kulturberichterstattung vor der eigenen Haustür, die schon wieder provinziell genannt werden kann, meint Niels Ewerbeck, Leiter des Theaterhauses Gessnerallee.

    "Anders als in allen anderen Städten, von denen ich kurz eben gesagt habe, dass ich dort gearbeitet habe, wo es grundsätzlich so war, dass der Provinzialismus sich darin ausgedrückt hat, dass sowohl die Journalisten als auch im Allgemeinen die Kulturschaffenden, die Politiker und die Bevölkerung selbst, sich selbst maßlos überschätzt hat. Hier ist ein Provinzialismus, der sich dadurch ausdrückt, dass man glaubt, alles, was in Zürich stattfindet ist per se uninteressant und nicht relevant."

    Als Ewerbeck im vergangenen Jahr zum weltweit größten Kongress von Theatermachern und Festivaldirektoren mit 50 Vorstellungen in die Gessnerallee lud, war das Großereignis der NZZ keine Zeile wert. Markus Spillmann, Chefredakteur der NZZ, bestätigt den Züricher Kulturboom einigermaßen hilflos.

    "Es sind ja auch zwei gegenläufige Entwicklungen festzustellen. Wir haben in den 90er-Jahren, also in der Hochkonjunktur, auch in der Blüte der Zeitung, haben wir alle auf- und ausgebaut und seit 2002 sind wir eigentlich am untersparen wieder. Der Kulturbetrieb hat sich in dieser Zeit jedoch vervielfacht. Ich meine, Zürich ist heute unglaublich aktiver als noch vor zehn oder vor zwanzig Jahren, was Kultur angeht. Der Anspruch an uns ist, diese Kultur - und ich spreche jetzt wirklich von der Kultur und nicht von Events - dies noch adäquat abzubilden, übersteigt in jedem Fall unsere Kapazitäten."

    Doch Ewerbeck sprach nicht "pro domo", sondern im Namen der Kunst als Agens, als Produzent gesellschaftlicher Visionen, die ohne publizistische Öffentlichkeit undiskutiert und ungenutzt bleiben - und beklagt die alten Rezepte der Blattmacher.

    "Ich wundere mich natürlich, wenn ich höre, diese Überlegungen gibt es seit soundsoviel Jahren, es werden entsprechende Maßnahmen getroffen und es ist alles nicht überraschend und nicht neu für Sie. Sie sehen aber trotzdem 30.000 Leser, Abonnenten fehlen Ihnen und sind in der Zwischenzeit, nachdem Sie ja schon reagiert haben, verschwunden und reagieren jetzt weiter in die gleiche Richtung, dass Sie weiter Kultur abbauen, dass Sie genau dort sparen, wo es Möglichkeiten gäbe, gesellschaftliche Prozesse anders zu wenden. Dass da ihre Reaktionen auf finanzielle Krisen derartig unisono in einen Abbau weiter münden, das finde ich einfach erstaunlich."

    Nein, Visionen für die Zukunft der Kulturberichterstattung gab es keine. Dass man sich von jeder Menge kulturellen Wissens abschneidet, wenn man sich von langjährigen Theaterkritikern trennt, ist das eine. Doch wie sieht zeitgemäße Kulturberichterstattung aus, die nicht als Häppchenjournalismus und nicht als Werbemaßnahme für die Kultur daher kommt? Beide Züricher Zeitungen wollen und sollten das beim Relaunch im Herbst beweisen.