Donnerstag, 25. April 2024

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Kulturelle Bildung
"Frage nach den Inhalten ist nicht beliebig"

Der Rat für kulturelle Bildung hat die Vermittlung kultureller Inhalte in den Schulen kritisiert. Zwar gebe es inzwischen sehr viele Angebote, deren Qualität werde aber kaum kontrolliert, sagte der Ratsvorsitzende Eckhart Liebau im DLF. Kulturelle Bildung sei aber keine Sache der Beliebigkeit.

Eckhart Liebau im Gespräch mit Michael Köhler | 09.10.2015
    Kinder einer Frankfurter Grundschulklasse nehmen im Museum Städel in Frankfurt am Main (Hessen) an einer "Bildungswoche im Museum" teil.
    Rat für kulturelle Bildung: "Es gibt keinen Gegenstand, der einfach nur heißt kulturelle Bildung." (picture alliance / dpa / Boris Roessler)
    Michael Köhler: In Weimar kam gestern der Rat für kulturelle Bildung zusammen. Das ist ein unabhängiges Beratungsgremium, getragen von einem Stiftungsverbund, und es formulierte Kritik. Und zwar sehe der Rat Defizite bei der Vermittlung ästhetischer Inhalte. Ihr Vorsitzender ist Eckhart Liebau.
    Er hat den UNESCO-Lehrstuhl für kulturelle Bildung an der Uni Erlangen-Nürnberg inne. Kern der nun vorgelegten Denkschrift ist die Kritik an mangelnder ästhetischer Erfahrung. Die Künste, sie kämen zu kurz. Weil fraglich ist, welche Gegenstände Inhalt ästhetischer Erfahrung im Unterricht sein können, hat der Rat für kulturelle Bildung nun nach Kriterien gesucht. Ich habe Eckhart Liebau gefragt, welche das sind.
    Eckhart Liebau: Im Zentrum steht natürlich die Frage nach der ästhetischen Erfahrung. Es müssen Gegenstände sein, die ästhetische Erfahrungen ermöglichen, das heißt Gegenstände, in denen Themen verhandelt werden und zugänglich gemacht werden, die sich beziehen auf die Wahrnehmung und Gestaltung von Welt, die Wahrnehmungsweisen des Schönen und des Hässlichen.
    Wir lernen sozusagen hören durch die Art und Weise, wie wir uns mit Musik auseinandersetzen.
    Wir lernen sehen durch die Art und Weise, wie wir uns mit Bildern auseinandersetzen oder mit Filmen, bewegten oder festen Bildern. Wir lernen durch die Künste sozusagen kennen, was möglich ist, was wir erfahren können und wir müssen innerhalb der pädagogischen Kontexte dafür sorgen, dass diese Lernmöglichkeiten dann auch zur Verfügung gestellt werden.
    "Alphabetisierungsaufgabe in den Künsten" ist Kernaufgabe der Schulen
    Köhler: Professor Liebau, stimmt Ihre Kritik aber meiner Meinung nach vielleicht nur hinsichtlich der Stundentafel? Wenn ich mir das Angebot, sagen wir, im Ganztagsbereich ansehe, dann können die sich ja vor Kunst-AGs überhaupt nicht retten.
    Liebau: Ja. Es gibt inzwischen sehr viele Angebote. Das Problem in dem Bereich ist, dass das relativ wenig kontrolliert ist im Blick auf Qualität und im Blick auf das, was da insgesamt geschieht.
    Wir wissen aber aus einer empirischen Studie, die wir in Auftrag gegeben hatten und die von Allensbach durchgeführt worden ist, dass tatsächlich längst nicht alle Kinder in dem Maße erreicht werden, wie man sich das so vorstellt oder wie man sich das wünscht, sondern dass es nach wie vor ganz starke soziale Unterschiede gibt im Erreichen der Kinder im Blick auf die ästhetischen Gegenstände. Wir bezeichnen das in der Diskussion inzwischen als die Alphabetisierungsaufgabe in den Künsten, und die gehört nun wirklich zu den Kernaufgaben von Schule überhaupt und von groß werden in der Schule.
    Schule muss Orientierung in den einzelnen Kunstbereichen vereinfachen
    Köhler: Verstehe ich Sie richtig, Ihre Kritik geht dahin, dass zu viele formale Tugenden erworben werden und die künstlerische Erfahrung ins Hintertreffen gerät? Zu viel Kompetenzen anstatt Inhalte?
    Liebau: Wir haben ja in der Schule seit ungefähr 15 Jahren eine Umorientierung in Richtung Kompetenzen, nur darauf zu gucken, was am Ende wirklich herauskommt an Können und an Kompetenzen. Aber diese Frage nach den Inhalten ist nicht beliebig. Man lernt an unterschiedlichen Inhalten unterschiedliches und nicht das gleiche.
    Es gibt keinen Gegenstand, der einfach nur heißt kulturelle Bildung, sondern es gibt musikalische Gegenstände, es gibt literarische Gegenstände, es gibt theatrale Gegenstände, es gibt alle möglichen Formen in diesen Bereichen und darin jeweils ganz viele Unterkategorien. Das heißt, man braucht eine Einführung, eine Hinführung, die es erst mal überhaupt möglich macht, sich in diesen Bereichen zu orientieren und die eigenen praktischen Erfahrungen da auch fortzusetzen.
    Jedes Kind tanzt, jedes Kind malt, jedes Kind springt herum und jedes Kind singt auch zunächst einmal. Es ist die Frage, wieweit man daran anknüpfen kann und wie weit diese Ursprungshaltungen kultiviert werden können durch die weitere schulische Bildung.
    Köhler: Ich verdächtige Sie jetzt mal, die alte Diskussion um den Kanon quasi über die Hintertür wieder einzuführen?
    Liebau: Ja ...
    Köhler: Sie wissen selber, wie schwierig das ist.
    Liebau: Ich weiß ganz genau, wie schwierig das ist, und deswegen haben wir uns auch in der Denkschrift gehütet, einen inhaltlichen Kanon aufzustellen. Das, worauf wir hinweisen wollen, ist, dass es eine ganze Reihe von Kriterien gibt, die man beachten kann bei der Auswahl von Gegenständen, und natürlich ist es Aufgabe einerseits der Politik, die die Rahmungen vorgibt, zum Beispiel in Form von Lehrplänen, was die unterrichtlichen Fächer angeht, und andererseits in Form von Rahmenbedingungen, was zum Beispiel die Ganztagsangebote angeht, dort Möglichkeiten bereit zu stellen und dann auch bestimmte Festlegungen zu treffen.
    Andererseits ist das eine Frage der Praxis, die auch nur in der Praxis entschieden werden kann, weil man wissen muss, mit welchen Gruppen man es zu tun hat, was die konkreten Voraussetzungen sind, und weil es immer auch zu tun hat mit den Fähigkeiten und Fertigkeiten der Vermittler, seien es die Lehrer, seien es die Pädagogen oder Künstler, die im außerschulischen Bereich tätig sind.
    Köhler: Eckhart Liebau vom Rat für kulturelle Bildung. Empfohlen wird übrigens auch ein nationales Qualitätsinstitut für die kulturelle Bildung. Die Denkschrift ist jetzt gerade in Weimar herausgekommen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.