Dienstag, 16. April 2024

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Kulturgutverluste
"Klarheit über den Umfang dieser Enteignungen erhalten"

Es gebe eine klare gesetzliche Regelung für den Umgang mit Enteignungen in der sowjetischen Besatzungszone und der DDR, sagte der Kunsthistoriker Gilbert Lupfer im Dlf. Befinde sich ein Stück bei einem privaten Sammler im Westen Deutschlands oder in der Schweiz, dann bestünde keine Chance, es zurückzubekommen.

Gilbert Lupfer im Gespräch mit Doris Schäfer-Noske | 04.09.2017
    Der Dresdner Kunsthistoriker Gilbert Lupfer vom Vorstand des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste
    Der Dresdner Kunsthistoriker Gilbert Lupfer vom Vorstand des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste (dpa picture alliance / Ole Spata)
    Doris Schäfer-Noske: Es klingt, wie der Plot für einen Hollywood-Film: Unter strengster Geheimhaltung ließ das Ministerium für Staatssicherheit der DDR ab 1962 Tresore und Keller von Banken öffnen. Darunter an die 4.000 Schließfächer, die niemandem zugeordnet werden konnten. Schmuck, Münzen, Wertpapiere und natürlich auch Kunst soll die Stasi dort gefunden haben. Aber was genau sie gefunden hat, was sie mit diesen Schätzen gemacht hat und vor allem wo diese Schätze heute sind, das ist weitgehend unbekannt. Viele Fragen also, die das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste in den kommenden zwei Jahren beantworten will – im Rahmen eines Pilotprojekts. Und federführend ist dabei der Dresdner Kunsthistoriker Gilbert Lupfer, Vorstand des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste.
    Herr Lupfer, was steckte denn hinter dieser so genannten Aktion Licht, die Sie jetzt zusammen mit dem Hannah-Arendt-Institut untersuchen?
    Gilbert Lupfer: Wir vermuten, dass da was ganz Banales dahinter steckte, nämlich die Hoffnung, dort Stücke zu finden vom Kunstwerk bis zum Schmuck, die sich verwerten lassen, die sich, konkret gesagt, zu Devisen machen lassen.
    Schäfer-Noske: Was waren denn damals die politischen Hintergründe, dass das damals, 1962, in die Wege geleitet wurde?
    Lupfer: 1962, da war gerade der Mauerbau in Berlin ein paar Monate alt. Die DDR war abgeriegelt und nun sah man die Gelegenheit, diese verschlossenen Tresore, von denen man ja vorher auch schon gewusst hat, ohne großes Aufsehen öffnen zu können.
    Unterlagen in der Stasi-Unterlagenbehörde auswerten
    Schäfer-Noske: Und wie konnte man das geheim halten? Denn das war ja an unterschiedlichsten Orten, wo diese Schließfächer geöffnet worden sind.

    Lupfer: Es war sehr konspirativ vorbereitet. Der Kreis derjenigen, die davon wussten, wurde möglichst klein gehalten. Ob das wirklich alles so funktioniert hat, ob da nicht doch der eine oder andere Hausmeister das mitbekommen hat und dann davon auch erzählt hat, das wissen wir nicht. Aber ein großes öffentliches Aufsehen bis in den Westen hat es jedenfalls nicht erregt.
    Schäfer-Noske: Ihr Pilotprojekt beschäftigt sich ja insgesamt mit Enteignungen und Kulturgutverlusten in der sowjetischen Besatzungszone und in der DDR.
    Lupfer: Ja.
    Schäfer-Noske: Welche weiteren solchen Aktionen sind Ihnen denn bekannt?
    Lupfer: Es gab dann ja später vielfache Versuche der Organisation, die man normalerweise mit dem Namen Schalck-Golodkowski verbindet, oder auch der Kunst und Antiquitäten GmbH, die quasi eine Unterabteilung war, an Kunstwerke, an Antiquitäten zu kommen, die man dann in den Westen gegen Devisen verkaufen kann. Und ein zweites Forschungsprojekt, das wir jetzt begonnen haben, zusammen mit dem Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen, das wird sich genau damit beschäftigen, Unterlagen in der Stasi-Unterlagenbehörde auszuwerten, die darauf hinweisen. Und auch im Bundesarchiv recherchieren wir genau zu diesem Thema.
    Schwierig, konkrete Zahlen zu benennen
    Schäfer-Noske: Das heißt, Sie versuchen, den Verbleib dieser Kunstwerke, Schmuck und Wertgegenstände wieder festzustellen. – Nun geht es ja diesmal nicht um NS-Raubkunst, wie in Ihren bisherigen Projekten das ja der Fall war. Aber sind denn auch hier Rückgaben an die Erben der ehemaligen Eigentümer wahrscheinlich?
    Lupfer: Wenn wir überlegen, dass diese Tresore, die im Rahmen der "Aktion Licht" geöffnet wurden, seit Kriegsende verschlossen waren, so ist die Möglichkeit, dass da auch sogenannte NS-Raubkunst sich drin befunden hat, durchaus nicht von der Hand zu weisen. Aber um auf den Kern Ihrer Frage zu kommen: Es gibt eine klare gesetzliche Regelung für den Umgang mit Enteignungen in der sowjetischen Besatzungszone und der DDR. Da gab es Fristen. Die Betroffenen mussten Anträge stellen. Das wird davon abhängen, wenn wir wissen, über welche Objekte wir reden, ob da entsprechend Anträge gestellt wurden, und dann vor allem, wo die sich befinden. Wenn sich ein Stück bei einem privaten Sammler im Westen Deutschlands oder in der Schweiz befindet, dann gibt es keine rechtlichen Chancen, das zurückzubekommen.
    Schäfer-Noske: Wie groß schätzen Sie denn den Umfang der Enteignungen in der sowjetischen Besatzungszone und in der DDR insgesamt ein?
    Lupfer: Wenn man jetzt von Kunstwerken ausgeht, das ist sicher in einem fünfstelligen Bereich, würde ich sagen, wenn nicht mehr. Das hängt natürlich auch wieder davon ab, was wir jetzt als Kunstwerk definieren, ob wir ein Meissner Porzellanservice stückweise zählen oder nur als ein Stück. Insofern ist es da ganz, ganz schwierig, im Augenblick schon konkrete Zahlen zu benennen. Aber unter anderem deshalb wollen wir jetzt diese Pilotprojekte beginnen, um überhaupt Klarheit über den Umfang dieser Enteignungen, dieses Entzugs zu erhalten.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.