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Kulturhaupstadt Aarhus
Uraufführung der Oper "Brødre"

Der isländische Komponist Daníel Bjarnason hat aus dem Film "Brüder" von Susanne Bier eine Oper komponiert. Die Uraufführung findet im Rahmen von Aarhus als Kulturhauptstadt Europas 2017 statt. Überzeugend sind die theatralische Kraft der Musik und die bewegende szenische Spannung.

Von Elisabeth Richter | 17.08.2017
    Besucher gehen am 24.11.2016 durch eine Installation auf dem Dach des ARoS Aarhus Kunstmuseum in Arhus (Dänemark). Die zweitgrößte Stadt Dänemarks ist Europäische Kulturhauptstadt 2017.
    Aarhus präsentiert mit "Brothers" eine sehr schlüssige Übertragung des Genres Film auf das Genre Oper. (dpa/picture-alliance/Carsten Rehder)
    Der Film "Brüder" von Susanne Bier handelt von einem Brüderpaar, dessen Beziehung durch eine Dreiecks-Liebesgeschichte und durch den Afghanistan-Krieg auf die Probe gestellt wird. Es geht aber auch um "Soldaten-Brüder".
    Der Soldat Michael wird in Kriegsgefangenschaft gezwungen seinen "Soldaten-Bruder" Peter zu töten, die Alternative ist selbst getötet zu werden. Er kehrt traumatisiert nach Hause zurück. Ein Schatten seiner selbst, unfähig sein altes Leben mit Frau und Tochter wieder aufzunehmen, unfähig vor allem über sein "Geheimnis" des erzwungenen Mordes zu sprechen.
    Der isländische Komponist Daníel Bjarnason (geboren 1979) legt mit "Brothers" seine erste Oper vor. Das englische Libretto schrieb Kerstin Perski.
    Die Uraufführung findet zum einen im Rahmen von Aarhus als Kulturhauptstadt Europas 2017 statt und ist zum anderen Teil eines Susanne-Bier-Schwerpunktes, die im Musikhuset von Aarhus stattfindet. Ziel ist es, Filme von Susanne Bier in theatralische Kunstformen zu übertragen. Regie führt Kasper Holten.
    Chor kommentiert das Geschehen
    Übertragungen von einer Kunstform in eine andere können leicht daneben gehen, doch Komponist Daníel Bjarnason und seine Librettistin Kerstin Perski haben eine überzeugende kongeniale Lösung gefunden:
    "Wir haben uns entschieden, mit den wesentlichen Elementen des Films auf der Bühne dieselbe Geschichte darzustellen, aber ohne zwanghaft der Erzählstruktur des Films zu folgen."
    Die starke Idee einen Chor einzuführen, der wie in der griechischen Tragödie das Geschehen kommentiert, hebt das manchmal allzu konkrete Horror-Szenario des Films auf eine universelle Ebene.
    "Der Chor fängt an, fast wie ein griechischer Chor, aber mehr und mehr wird der Chor eigentlich die Stimmen in Michaels Kopf", sagt Regisseur Kasper Holten. Wegfahren in den Krieg und Heimkehren, aber nichts ist, wie es einmal war. Schon Odysseus musste einst mit seinen Traumata weiterleben, heute ist das Thema aktueller denn je:
    "Der große Unterschied ist, dass wir im Film sehen, wie es passiert. In der Oper erleben wir es als eine Erinnerung, er muss das wieder erleben. Wir spielen es, es kommt als dramatische Klimax. Wir sehen den Mord, wir sehen diese furchtbare Ursünde, die es im Stück gibt. Das ist, was ihn in der Oper wirklich treibt, dieses Ganze - ich muss zurückgehen, ich muss das noch einmal erleben, ich muss darüber berichten - das gibt in der Oper diese besondere emotionale Farbe dieser Szene."
    Musik hat theatralische Kraft
    Der Südafrikaner Jacques Imbrailo hat nicht nur einen warm und facettenreich timbrierten Bariton, er spielt schlicht fantastisch, sehr authentisch, aber niemals pathetisch übertrieben. Die bewegende Traumata-Verarbeitung lässt die Nebenhandlungen der Oper ein wenig in den Hintergrund treten. Da ist die Konkurrenz mit dem realen Bruder Jamie, der während Michaels Abwesenheit seiner Frau Sarah zur Seite steht. Oder da sind Anna, die Frau des getöteten Peter, und ihr Baby, die Michael nach seiner Rückkehr besuchen. Komponist Daníel Bjarnason hat für Sarah und Anna eingängige lyrische Sopranpartien geschrieben.
    Daníel Bjarnasons Musik hat theatralische Kraft. Das stilistische Spektrum reicht von spätromantisch-freitonaler Harmonik, bis zu seriellen, avantgardistischen Techniken mit extremen, kakofonischen Dissonanzen. Bei aller Härte kann man eine gewisse "skandinavische Helligkeit" spüren. Besonders am Schluss, wenn der Chor von der trotz allen Grauens immer wieder aufgehenden Sonne erzählt. Ein ganz wenig Licht in all der Düsternis.
    Bühnenbild ergänzt die Musik
    So kongenial wie das mit wenigen, aber einprägsamen, auch poetischen Worten auskommende Libretto, ist die Regie von Kasper Holten. Ihm gelingt eine bewegende szenische Spannung. Den weißen, quadratischen Einheitsbühnenraum kann man als Michaels inneres Gefängnis verstehen, in dem auch die Geister wohnen, die ihn verfolgen. Hinten und zu den seitlichen Wänden führen ein paar Stufen, auf denen der schwarz gekleidete Chor und die Sänger anfangs stehen. Sie treten dann heraus aus der Gruppe und ganz am Ende wieder zurück. Die sensible, sehr sprechende Lichtregie ermöglicht Assoziationen. Manche Szenen spielen nur in einem runden Lichtkreis auf dem Boden. Oder die Schatten der Gespenster werden an die Wände projiziert. Musikalisch überzeugen ein hervorragendes Sänger-Ensemble sowie der Chor der "Danish National Opera"[*] und das Sinfonieorchester Aarhus unter André de Ridder.
    Die "Danish National Opera" Aarhus präsentiert mit "Brothers" eine sehr schlüssige Übertragung des Genres Film auf das Genre Oper.

    [*] Anm. d. Redaktion: An dieser Stelle wurde in der Online-Fassung der Name des Chors auf die international übliche Bezeichung geändert.