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Kulturhauptstadt 2017
Jüdisches Leben in Aarhus

Aarhus in Dänemark ist vom Protestantismus geprägt und wird 2017 Kulturhauptstadt. Dann will sich die Stadt auch mit Religion und religiösen Minderheiten beschäftigen. Eine Frage könnte sein, wieie leben Juden in einem Land, in dem es kaum Juden gibt?

Von Tobias Kühn | 03.01.2017
    Das Ehepaar Shimshon und Rikke Evar mit ihrem gemeinsamen Sohn.
    Das Ehepaar Shimshon und Rikke Evar mit ihrem gemeinsamen Sohn. (Deutschlandradio / Tobias Kühn)
    Sie nennt sich "Verdens mindste storby" – die kleinste Großstadt der Welt. Rund 260.000 Menschen leben in Aarhus, Dänemarks zweitgrößter Stadt. In Mitteljütland gelegen, ist sie ein Gegenpol zur Hauptstadt Kopenhagen. Klein und überschaubar – aber das kulturelle Leben erreicht Weltniveau: Dom, Oper, Konzerthaus und vor allem moderne Kunst kann man hier erleben. In den kommenden Monaten umso mehr: Denn 2017 ist Aarhus Europäische Kulturhauptstadt. Dabei soll auch Religion ein Thema sein. Im traditionell protestantischen Aarhus haben sich in den vergangenen Jahrzehnten mehr als 20.000 Muslime angesiedelt. Darüber hinaus leben auch einige Juden in der Stadt. Eine offizielle Gemeinde gibt es nicht mehr, sie wurde vor mehr als 30 Jahren geschlossen. Damals lebten bis zu 200 Juden in Aarhus. Inzwischen sind es deutlich weniger. Einer von ihnen ist Shimshon Evar.
    "Wir sind eine sehr kleine Gruppe, nur 80 bis 100, und einige von uns leben außerhalb der Stadt. Vor 40 Jahren hat es mehr Juden hier gegeben. Etliche kamen aus Deutschland und Polen. Aber die meisten sind heute alt, und viele sind inzwischen gestorben. Zwischenzeitlich kamen dann zwar auch einige Israelis nach Aarhus, aber die meisten von ihnen sind mittlerweile nach Amerika ausgewandert."
    Jüdisches Leben im Privathaus
    Auch Shimshon stammt aus Israel. Vor mehr als 40 Jahren kam er als Tourist nach Aarhus – und blieb. Gemeinsam mit seinem Bruder baute er eine Bäckerei für Pitabrot auf. Die orientalischen Teigfladen waren damals in Dänemark noch weitgehend unbekannt. Doch die beiden Männer waren erfolgreich, der Laden lief gut. So gut, dass Shimshon inzwischen ein Hotel besitzt. Dort oder in seinem Privathaus spielt sich ein Großteil des jüdischen Lebens der Stadt ab, denn eine Synagoge gibt es nicht mehr. In Evars Hotel feiern manche jüdische Familien ihre Feste. Gelegentlich kommt man hier auch am Schabbat oder an Hohen Feiertagen zusammen. Doch niemals am Versöhnungstag Jom Kippur, dem höchsten jüdischen Feiertag im Jahr, sagt Shimshon Evar.
    "Jom Kippur begehen wir nicht hier, denn wir wollen in der Synagoge sein und das Ereignis fühlen. Außerdem finde ich, an Jom Kippur muss man den Rabbiner hören. Das ist schließlich der größte Tag für uns. Wir verbringen Jom Kippur deshalb jedes Jahr in Kopenhagen."
    "Es ist nicht leicht, ein Jude in Aarhus zu sein"
    Doch auch im Laufe des Jahres spüren Shimshon Evar und seine Frau Rikke hin und wieder das Bedürfnis nach einem echten Schabbat in der Synagoge und fahren deshalb nach Kopenhagen. Dreieinhalb Stunden dauert die Anreise mit dem Auto. Sie seien die einzigen Juden in Aarhus, die den weiten Weg aus religiösen Gründen gelegentlich auf sich nehmen, sagt Rikke Evar.
    Aarhus im Osten Dänemarks ist die zweitgrößte Stadt des Landes. Jüdisches Leben findet dort heute jedoch kaum noch statt.
    Aarhus im Osten Dänemarks ist die zweitgrößte Stadt des Landes. Jüdisches Leben findet dort heute jedoch kaum noch statt. (Deutschlandradio / Tobias Kühn)
    "Niemand sonst praktiziert das Judentum, wie wir es tun. Ich denke, wir sind die einzigen. Wir müssen dann am Freitag früher mit der Arbeit aufhören, damit wir Kopenhagen erreichen, bevor der Schabbat beginnt. Wir bringen Essen von zu Hause mit, das haben wir gekocht. Am Samstag gehen wir dann in die Synagoge, und wenn der Schabbat vorbei ist, fahren wir wieder nach Hause. Man muss es planen. Es ist nicht einfach. Manchmal ist es unmöglich für uns, vor Eingang des Schabbats in Kopenhagen zu sein, vor allem in den dunklen Monaten, wenn die Sonne hier im Norden schon um vier Uhr untergeht und der Schabbat so früh beginnt. Dann ist es sehr schwierig. Ja, es ist nicht leicht, ein Jude in Aarhus zu sein. Es fehlt uns hier an fast allem, was jüdische Menschen brauchen."
    Wenig Aufmerksamkeit
    Das war nicht immer so. Im 19. Jahrhundert gab es eine Synagoge in Aarhus. Die hatte der Kaufmann Hartvig Philip Rée errichten lassen - im Hinterhof seines Hauses in der Vestergade. Rée war ein angesehener Bürger und der erste Jude in Dänemark, der in einen Magistrat gewählt wurde. Zu Rées Lebzeiten besuchten nicht nur Juden die Synagoge. An den Hohen Feiertagen, bei Familienfesten oder am Geburtstag des Königs ließen sich auch christliche Stadträte im jüdischen Bethaus sehen.
    Heute jedoch ist den Juden von Aarhus so viel Aufmerksamkeit eher unangenehm. In einer Zeit, da sich Anschläge auf jüdische Einrichtungen in Europa häufen, hält man sich lieber bedeckt. Vor zwei Jahren, als ein islamistischer Terrorist vor der Kopenhagener Synagoge einen Wachmann erschoss, sorgten sich die dänischen Sicherheitsbehörden auch um Familie Evar.
    "Plötzlich stand die Polizei vor unserem Haus. Sie sind gekommen, um auf uns aufzupassen. Sie hatten Tag und Nacht ein Auge auf uns, wollten sich vorbereiten - für den Fall, dass etwas Ähnliches auch in Aarhus geschehen würde."
    So spielt sich Jüdisches in Aarhus heute eher im Verborgenen ab. Im Programm des Kulturhauptstadtjahres kommt es kaum vor.