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Kulturinstitutionen
"Weiß und sehr männlich"

Kulturinstitutionen in Deutschland müssten dringend modernisiert und internationalisiert werden, sagte Hortensia Völckers, Direktorin der Kulturstiftung des Bundes, im DLF. Es gebe noch viel zu wenig Angebote für Menschen mit Migrationshintergrund. Jede große Firma habe doch heute eine gut durchmischte Leitung und Belegschaft.

Hortensia Völckers im Gespräch mit Mascha Drost | 26.03.2016
    Hortensia Völckers ist die künstlerische Direktorin der Kulturstifftung des Bundes.
    Hortensia Völckers wünscht sich, dass mehr Menschen mit Migrationshintergrund in Kulturinstitutionen sind (picture alliance / dpa / Horst Ossinger)
    Mascha Drost: Wie politisch soll und darf Kultur sein? Möglichkeit eins: In einem Sessel sitzen, ein Löffelchen Tee mit einem Stück aufgeweichter Madeleine zu nehmen und sich erinnern.
    Möglichkeit zwei: Ertrunkene Flüchtlinge exhumieren, nach Deutschland schaffen und vor dem Kanzleramt begraben zu wollen. Kunst und Kultur können so verfeinert wie realitätsscheu daherkommen, oder aber derart politisch aufgeladen, dass die Grenzen zwischen Kunst und Politik quasi aufgehoben sind. Die Aktionen des Zentrums für politische Schönheit gehören etwa dazu, Begräbnisse vor dem Kanzleramt, gefakte Rettungsaktionen für syrische Kinder, eine Brücke von Italien nach Afrika – Kunst oder schon Politik. Wie politisch darf und soll Kultur sein – mit dieser Frage beschäftigen wir uns ab heute und in den kommenden Tagen in einer kleinen Reihe und mit unterschiedlichsten Gesprächspartnern. Den Anfang macht Hortensia Völckers, Direktorin der Kulturstiftung des Bundes. Sie habe ich vor der Sendung gefragt: Wieviel politischen Ballast vertragen Kunst und Kultur eigentlich, ohne ihre Eigenständigkeit zu verlieren?
    Hortensia Völckers: Das ist eine weite Frage. Wir müssen, glaube ich, trennen zwischen Kultur und zwischen Kunst. Kunst muss gar nichts. Die ist so wie sie ist und wir müssen uns damit auseinandersetzen. Sie kann politisch offensichtlich sein, sie kann politisch versteckt sein, sie kann auch zunächst einmal abstrakt wirken. Kunst, wenn sie gut ist, ist immer widerständig für sich. Und insofern habe ich da überhaupt keine bestimmten Vorstellungen, ob es zu viel oder zu wenig ist. Die Kunst muss eine Qualität haben und wenn sie ihre Eigenständigkeit verliert, dann ist es eine Reportage oder dann ist es Journalismus oder dann ist es irgendwas anderes, aber es ist dann nicht mehr Kunst. Also sie muss sich schon abgrenzen können auch durch ihre Form und die Art und Weise, wie sie aussagt.
    "Ich wäre dafür, dass man mutiger ist als die Politik"
    Kultur ist ein anderes Thema. Kultur muss man anders sehen. Vielleicht können wir sprechen über Kulturinstitutionen. Davon haben wir ja hier sehr viele in Deutschland, die öffentlich gefördert sind und die im Moment zum Teil, aber zum großen Teil heftig dabei sind, ihr Eigenverständnis zu verteidigen. Die Kulturinstitutionen haben sich so wie die gesamte Zivilbevölkerung in einer unglaublichen Kohärenz die letzten Monate verhalten, weil man sie gebraucht hat. Es haben Flüchtlinge dort übernachtet, man hat geholfen, man hat Montags-Cafés eingerichtet, eine ganze Palette von Aktivitäten. Und ich bin der Meinung, das kann eigentlich gar nicht genug sein, weil Kultur ist nun mal der Ort, oder die Orte, wo Kultur produziert wird, sind die Orte, wo wir uns sehr politische Fragen stellen letztendlich: Wie wollen wir leben, zwischen Gut und Böse, Leidenschaft, alle die Dinge, die im Grunde genommen ja, wenn Sie so wollen, das Leben ausmachen, und das muss verhandelt werden. Allerdings wäre ich dafür, dass man mutiger ist als die Politik und konfrontativ ist und die anderen Meinungen zulässt und nicht ausgrenzt.
    Drost: Jetzt will ich noch mal ganz kurz weg kommen von diesen Aktionen, diesen Hilfsaktionen, diesen ganz spontanen, die es ja auch im Theater sehr viel gab, sondern vielleicht noch mal mehr auf die Bühne gucken, und auch da sehen wir ja sehr viele politische Statements zum Thema Flüchtlinge natürlich, zum Thema rechtsnationale Tendenzen. Wenn man sich solche Vorstellungen, solche Stücke ansieht, ist da nicht auch eine gute Portion Selbstvergewisserung dabei? Wir stehen auf der richtigen Seite, unser Publikum auch, aber wer denn da überzeugt wird, das ist doch im unwahrscheinlichsten Fall der AfD-Sympathisant oder der Pegida-Mitläufer auf der Straße. Das sind doch die ohnehin schon überzeugten.
    "Man müsste etwas mutiger sein und auch andere Meinungen zulassen"
    Völckers: Völlig richtig. Deswegen meine ich, man müsste etwas mutiger sein und durchaus auch andere Meinungen zulassen und darüber diskutieren. Denn ein Theater, ein Museum oder eine Stadtbibliothek sind ja Foren, die da sind, die öffentlich gefördert sind, damit wir kontrovers diskutieren.
    Drost: Aber wie aussichtsreich sind denn solche Diskussionen? Wer kommt denn überhaupt zu diesen Diskussionen? Kommen denn da tatsächlich die Gegner, die überzeugt werden sollen?
    Völckers: Dann muss man rausgehen. Da muss man sich schon was einfallen lassen. Weil ich glaube, mit sich selber zu sprechen und sich das zu sagen, was man eh schon glaubt, ist auf die Dauer nicht wirklich produktiv.
    Drost: Wie kann es denn Kultur verhindern, dann zum Steigbügel des guten Zwecks zu werden, der richtigen Einstellung, fast schon so eine Art agit-pop?
    Völckers: Ja, das können Sie jetzt so etwas zuspitzen, aber das ist ja nicht der Fall. Das ist vielleicht in Berlin und in ein paar von den größeren Städten, aber im Prinzip in der Fläche wird ja auf der Bühne noch ganz regulär die Stücke gespielt. Ich habe da überhaupt keine Aufregung. Ich glaube, die größten Teile auch dieser Fragen haben ja damit zu tun, dass das alles auch in der Presse so wahnsinnig zugespitzt wird.
    Drost: Ihrer Meinung nach ist dann sogar noch zu wenig politische Kultur auf der Bühne in der Gesellschaft zu sehen?
    "Diese Häuser müssen sich öffnen"
    Völckers: Nein! Wissen Sie, auf der Bühne passiert das, was ein Intendant und die Dramaturgen produzieren, und die müssen ja irgendwie letztendlich ein Publikum erreichen. Mich interessiert sehr viel mehr, dass diese Institutionen, die ja mehr sind als nur das, was Abends im Falle von Theater gezeigt wird, sondern sie sind ja große Häuser mit vielen Mitarbeitern und ich glaube, diese Häuser müssen sich öffnen. Sie müssen internationalisiert werden, sie müssen rausgehen, sie müssen eine Kompetenz erlangen, um auch die Zukunft der Stadtgesellschaften mit zu beeinflussen. Wir brauchen diese Fähigkeiten, die in diesen Häusern vorhanden sind.
    Drost: Und diese Häuser, die werden ja teilweise von verschiedenen Seiten dann in die Mangel genommen, von denen, die einerseits sagen, von meinem Steuergeld wird das alles subventioniert und dann machen die politische Sachen, mit denen ich überhaupt nicht einverstanden bin, und andererseits auch von denen, denen es dann völlig gegen den Strich geht, wenn es auf der Bühne dann etwas gemäßigter zugeht. Wie kann sich ein Haus, die Kultur, wie kann sich die in diesem Zwiespalt behaupten?
    Völckers: Das kommt darauf an, wie groß eine Stadt ist. In Berlin gibt es alles, von ganz traditionellem bis spießigem Theater, sage ich mal, was wichtig ist oder auch für ruhige Themen, und es gibt Theater, die fast schon auch in der ganzen Belegschaft mit Personal arbeiten, die Migrationshintergrund haben, und das ist auch wichtig, weil so eine große Stadt ist ja immer auch ein Signal für die Zukunft. Wir können die Zeit einfach nicht anhalten, sondern wir müssen die Zukunft mitgestalten, und es gibt genügend große Städte in Deutschland, wo 50 Prozent der Bevölkerung Migrationshintergrund hat, und wir wollen auch für die spielen. Also muss man eine gute Mischung finden und man muss die Kulturinstitutionen modernisieren. Die meisten, auch die, für die ich arbeite, haben fast keine Mitarbeiter mit Migrationshintergrund. Zeigen Sie mir mal Intendanten, die Migrationshintergrund haben.
    "Bei uns in den Kulturinstitutionen ist es weiß und oft auch sehr männlich"
    Drost: Außer dem Gorki-Theater.
    Völckers: Ja, eins in ganz Deutschland, sonst nirgends. Diese Leute, diese 15 Prozent unserer Bevölkerung - das werden immer mehr -, müssen sichtbar werden in den Leitungsfunktionen, nicht nur in der Kultur, aber da sind wir besonders zurückgeblieben. Ich glaube, jede große Firma, die Spitzenprodukte macht und international verkauft, hat eine richtig durchmischte Leitung und Belegschaft. Nur bei uns in den Kulturinstitutionen ist es weiß und oft auch sehr männlich.
    Drost: Wenn Sie Fördergelder verteilen von der Kulturstiftung des Bundes für bestimmte Projekte, spielt da politisches Engagement eine Rolle für Sie?
    Völckers: Nein, nicht wirklich. Eigentlich spielt zunächst einmal die Qualität der Kunst eine Rolle, wenn wir bestimmte Tagungen machen. Man muss sich ja bei uns bewerben und ein bestimmter Prozentsatz der Projekte werden dann gefördert. Wenn es Dinge gibt, wie Tagungen, Kongresse und so weiter, die sich mit solchen Themen beschäftigen, dann wird das sicherlich im Moment besonders berücksichtigt. Aber ich glaube, wir müssen verstärkt gucken, vor allen Dingen, dass wir die Institutionen und in der Zukunft die Belegschaft der Institutionen verändern. Das interessiert mich. Das Programm, ob da Flüchtlinge auf der Bühne sind oder nicht, da bin ich nicht so ein Freund von persönlich. Ich finde, das kann man, muss aber nicht. Sondern ich finde, es muss gute Kunst gemacht werden, und wenn die gut ist, ist sie immer widerständig. Dann ist sie immer ein Anlass zu Erkenntnis und Selbstreflektion.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.