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Kulturjahr 2013
Oftmals klagendes Cello beim Blick auf die Kultur

Die Kultur hat im Bundeswahlkampf kaum eine Rolle gespielt. Gestritten wurde aber um die Künstlersozialkasse oder um Millionen für Berliner Bauten. Ein Jahresrückblick mit Cello-Begleitung.

Von Jürgen König | 29.12.2013
    Ein Jahr geht zu Ende. Und ein Cello klagt. Zum Beispiel darüber, dass es auch in diesem Jahr nichts wurde mit dem Bundeskulturministerium.
    Cello
    Dass es für das Urheberrecht im digitalen Zeitalter ein verlorenes Jahr war.
    Cello
    Dass es wiederum nicht möglich war, ein Gesetz auf den Weg zu bringen, das die Deutsche Rentenversicherung verpflichtet, turnusgemäß alle vier Jahre zu überprüfen, ob Arbeitgeber ihre Beiträge zur Künstlersozialkasse zahlen. Da CDU/CSU und FDP im Bundestag gegen die Vorlage ihres eigenen Ministeriums stimmten, bleibt die Finanzlage der KSK kritisch. Immerhin: Die Reform der Künstlersozialkasse stünde jetzt auf der Tagesordnung, hört man aus allen Parteien. Irgendwie geht es also voran – nur wohin es geht, ist noch offen.
    Cello
    Was sonst noch geschah: Auch mit dem Suhrkamp-Verlag geht es voran - per Insolvenz zur Aktiengesellschaft, lautet die Devise. Das Vorgehen ist allerdings prozesshaft.
    Im Haushaltsausschuss des Bundestages zauberte Kulturstaatsminister Bernd Neumann, CDU, zehn Millionen Euro herbei. Die dadurch beflügelte Idee, mit der Berliner Gemäldegalerie vom "Kulturforum" im Westteil der Stadt auf die Museumsinsel in Berlins Mitte umzuziehen, brachte das gesamte deutsche Feuilleton in Wallung und auf die Barrikaden.
    Cello
    Doch mit einer 800-Seiten-Studie bereitete das Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung allen Umzugsträumen den Garaus, das Feuilleton atmete auf. Das Berliner Schloss bekam ohne Mehrkosten einen Grundstein, mit Mehrkosten bekam ihn auch die James-Simon-Galerie, das zukünftige Eingangsgebäude der Museumsinsel neben dem Pergamon-Museum: Statt 73 soll der Bau nun 98,8 Millionen Euro kosten. Mit feinem Gespür für die Erregbarkeit der öffentlichen Meinung wurde die 100-Millionen-Marke zumindest verbal noch unterschritten.
    Wann der Grundstein zum Berliner Freiheits- und Einheitsdenkmal gelegt werden kann, weiß niemand. Der Sockel, immerhin, wird saniert. 2015 soll es "ganz sicher" fertig sein. In Leipzig, wo der Wettbewerb zu einem Freiheits- und Einheitsdenkmal schon seit Dezember 2011 läuft, konnte sich die Stadt auch in diesem Jahr nicht zu einer endgültigen Bewertung der eingereichten Entwürfe durchringen. 2014 wird es aber ganz sicher so weit sein.
    Dass kulturelle Belange bei den Verhandlungen zu einem Freihandelsabkommen zwischen Europa und den USA ausgeklammert werden sollen, bekräftigte Kulturstaatsminister Neumann mit seiner Unterschrift eines entsprechenden Briefes an die irische EU-Ratspräsidentschaft. Seine Chefin, Kanzlerin Merkel, sah das ganz anders und setzt sich auch durch – und unser Cello muss wieder klagen.
    Cello
    Der 200. Geburtstag von Richard Wagner wurde reichlich gefeiert, der von Giuseppe Verdi schon weniger, an Georg Büchners 200. wurde hier und da erinnert, Friedrich Hebbel wurde - leider - völlig vergessen.
    Cello
    Memento mori: Viele Große der Kulturwelt sind gestorben in diesem Jahr. Unter anderem: Thomas Holtzmann, Peter Fitz, Jakob Arjouni, Dietrich Kittner, Otfried Preußler, Tissy Bruns, Wolfgang Sawallisch, Stéphane Hessel, Jérôme Savary, Dieter Pfaff, Peter Ensikat, Chinua Achebe, Reinhard Lakomy, Colin Davis, János Starker, Sarah Kirsch, Henri Dutilleux, Georges Moustaki, Willi Sitte, Walter Jens, Henning Ritter, Spas Wenkoff, Paul Raabe, Sławomir Mrożek, Wolfgang Herrndorf, Seamus Heaney, Otto Sander, Erich Loest, Marcel Reich-Ranicki, Paul Kuhn, Elisabeth Borchers, Peter Dussmann, Walter Schmidinger, Patrice Chéreau, Lou Reed, Doris Lessing, Dieter Hildebrandt, Peter Kurzeck, Wolf Jobst Siedler, Chris Howland, Peter O'Toole, Joan Fontaine.
    Cello
    Im Bundestagswahlkampf spielte Kulturpolitik nicht die geringste Rolle, abgesehen davon, dass "die Kultur" mit Vorliebe als "essenziell für unsere Gesellschaft" bezeichnet wurde. Dann der Schock: Der "Geldautomat" tritt ab. Bernd Neumann mit seinem ständig steigenden Kulturetat, das Amt des Kulturstaatsministers führte er zur Akzeptanz: Sein Verzicht auf eine dritte Amtszeit rührt das Kulturvolk zu Tränen.
    Cello
    Seine Nachfolgerin wird Monika Grütters, CDU.
    Cello
    Dass Monika Grütters auch Kunsthistorikerin ist, wird ihr beim Umgang mit dem Fall Cornelius Gurlitt und der bevorstehenden NS-Raubkunst-Debatte zugutekommen. Hier klagt das Cello nicht, es ist sogar zuversichtlich.
    Cello
    Und das Cello ist ernst zu nehmen, denn es gehört Christian Höppner, dem Präsidenten des Deutschen Kulturrats. Mit dem Koalitionsvertrag sei ein "qualitativer Sprung" geschafft worden, sagt er, endlich werde Kultur nicht mehr als "Sahnehäubchen" gesehen, sondern als Querschnittsaufgabe vieler gesellschaftlicher und auch politischer Bereiche erkannt.
    "Der digitale Wandel und seine Chancen – ich betone das – braucht eine kulturelle Handschrift. Es reicht nicht, so wie jetzt im Moment die Ministerien angelegt sind, das unter rein technologischen Gesichtspunkten zu betrachten. Und damit einhergehend natürlich die Frage: Wie schützen wir kreatives Schaffen? Das ist nach wie vor eine ungelöste und ganz zentrale Herausforderung. Und die zweite zentrale Herausforderung ist, dass wir wirklich kulturelle Teilhabe ermöglichen: sowohl im ländlichen Raum wie auch gerade für die nachwachsende Generation."
    Das Jahr geht zu Ende, das Cello wird für neue Töne neu gestimmt.
    Cello