Freitag, 19. April 2024

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Kulturpolitik in Polen
"Auch im Literaturbereich wird der Zugriff des Staates spürbar"

"Jetzt wird die Kulturpolitik für diese nationalistische Erinnerungs- und Identitätspolitik instrumentalisiert", so die Übersetzerin Dorota Stroinska im Dlf über die Einführung des Holocaust-Gesetzes in Polen. Es gehe nicht um die Bekämpfung der Auschwitz-Lüge, sondern um die Einführung einer inhaltlichen Zensur.

Dorota Stroinska im Gespräch mit Henning Hübert | 01.03.2018
    Eine Wandmalerei des Street art Künstlers Mariusz Waras zeigt in blutrot den polnischen Politiker Jaroslaw Kaczynski, Vorsitzender der nationalkonservativen PiS-Partei in einer römischen Toga als Julius Cäsar an einer Häuserwand in Danzig / Gdansk, Polen.
    Jaroslaw Kaczynski, Chef der polnischen Regierungspartei PiS, unterstützt und verteidigt das umstrittene Holocaust-Gesetz - Kritiker befürchten, es gefährde die freie Meinungsäußerung (imago / Michal Fludrax)
    Henning Hübert: In Polen ist heute das umstrittene sogenannte Holocaust-Gesetz in Kraft getreten.
    Es sieht Geld- und Haftstrafen vor, wenn jemand Polen eine Kollaboration mit der damaligen deutschen NS-Besatzung unterstellt. Äußerungen in den Bereichen Kunst und Wissenschaft sind davon zwar ausgenommen. Dennoch sind die Aufregung und die Verunsicherung rund um das neue Gesetz auch international sehr groß. Zum Thema Einflussnahme der Regierung auf die Geschichtsdebatte gibt es auch eine Wortmeldung aus der Gruppe der Kulturvermittler: Ein gemeinsames Schreiben von 37, auch deutschsprachigen Vermittlern der polnischen Literatur an Botschafter und Minister, das polnische Zeitungen veröffentlichten.
    Übersetzer, Verleger, Lektoren - darunter Gabriele Leupold, Marta Kijowska, Katharina Raabe und Jo Lendle - beklagen fortgesetzte Bemühungen der polnischen Regierung, die Demokratie auszuhöhlen und die Zivilgesellschaft einzuschüchtern. Hauptvorwurf: Der national-populistische Kurs der PiS-Partei habe das Ansehen Polens in der freien Welt in kurzer Zeit verspielt.
    Frage an die Mitunterzeichnerin und Koordinatorin, Dorota Stroinska: In dem Brief zählen Sie auch das neue Holocaust-Gesetz zu den Auswüchsen dieser Politik. Warum?
    Dorota Stroinska: Es ist so, dass das Ziel dieses erwähnten Gesetzes nicht so sehr die Bekämpfung der Auschwitz-Lüge oder des Neofaschismus ist, sondern dieses neue Gesetz gehört in die wirklich fatale Tradition der Verfolgung der Majestätsbeleidigung und in diesem Fall geht es um die Beleidigung des polnischen Staates und Volkes. Es ist eine Selbstverständlichkeit, die in diesem Gesetz behauptet wird, beinahe obsessiv, müsste man sagen. Natürlich ist das selbstverständlich, dass es keine polnischen Konzentrationslager waren. Dass man damit auch mit Freiheitsstrafe bestraft wird, das zeigt, dass es eigentlich gar nicht um die Bekämpfung der Auschwitz-Lüge geht, sondern schlicht und einfach um die Einführung einer inhaltlichen Zensur.
    "Ein unglaublicher Rückschritt"
    Hübert: Sie sind ja nun auch die Übersetzerin von Lutz Seilers "Kruso"-Roman ins Polnische. Hat denn dieses Holocaust-Gesetz ganz konkret nun auch Folgen für Schriftsteller, Übersetzer, Literaten?
    Stroinska: Unser Brief ist wirklich aus großer Sorge entstanden, dass diese Politik nun einen Rubikon überschritten hat, dass jetzt eine Spitze des Eisberges erreicht worden ist, nämlich eine Entwicklung, die Richtung nationalistische Erinnerungspolitik geht, die all diese Jahrzehnte des Aufbaus eines freundschaftlichen, eines offenen Miteinanders, der Öffnung, wie könnte ich sagen, des kollektiven Gedächtnisses in Polen für andere, andersartige Erzählungen, für Juden, für Ukrainer, für Deutsche, also all diejenigen Völker und Ethnien, die in Polen vor dem Zweiten Weltkrieg ein Drittel der gesamten Gesellschaft ausgemacht haben und die dann nach 1945 auch verschwunden sind.
    Und für alle diese Menschen, diese Ethnien, verschiedenen Glaubensrichtungen nach 1989, dafür gab es dann einen großen Prozess der Öffnung und der Aufnahme von all diesen Traditionen und Geschichten, auch im literarischen Bereich, und genau jetzt nach diesen 25 Jahren beginnt ein unglaublicher Rückschritt. Dieser Prozess der Öffnung hat aufgehört und jetzt wird die Kulturpolitik und nicht nur Theater und Film, sondern auch Literatur dafür instrumentalisiert, für diese nationalistische Erinnerungs- und Identitätspolitik.
    Versuch den Literaturbetrieb "zu kontrollieren"
    Hübert: Wird Ihrer Beobachtung nach als Übersetzerin noch gedruckt, jeweils in Fremdsprachen hinein oder im Polnischen, was der Markt hergibt, oder bemerken Sie da auch schon den neuen Wind aus der Regierung?
    Stroinska: Ja. Wie im Theater und im Film wird jetzt auch im Literaturbereich zunehmend der Zugriff des Staates spürbar. Das hat ja schon kurz nach der Parlamentswahl begonnen, und zwar ein paar Monate später wurde der Leiter des Buchinstituts abgesetzt, und da hat auch kein Protest von namhaften Autoren geholfen. Das war so das erste Zeichen, dass sich etwas ändert. Und als nächstes Zeichen, das ist, dass mehr und mehr Übersetzer, namhafte Übersetzer gefragt werden, wie können wir es durchsetzen, dass unsere Autoren, die wir für gut halten und eben diese nationalistische Linie vertreten, wie können wir das durchsetzen, dass sie auf dem deutschen beziehungsweise auf dem europäischen Buchmarkt erscheinen können.
    Und das Argument, dass so eine Art von Beeinflussung nicht möglich ist, weil natürlich die Verleger und die Leser darauf schauen, welche Qualität ein Werk hat und ob es literarischen, ästhetischen Maßstäben genügt, war dann die Nachfrage: "Auch nicht, wenn wir Geld zahlen?" Das heißt, da wird irgendwie immer spürbarer, dass auch in dem Bereich der Literatur einiges unternommen wird, um die Zielsprache, die es zwischen der polnischen und der deutschen Literatur gibt, auch zu kontrollieren und zu beeinflussen.
    Hübert: Die in Berlin arbeitende Übersetzerin Dorota Stroinska zum Protest der Kulturvermittler gegen polnisches Holocaust-Gesetz.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.