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Kultursymposium in Weimar
Die Neuvermessung der Welt

Soziale Medien, künstliche Intelligenz und erstarkender Nationalismus - die Welt wandelt sich in rasantem Tempo. Der Mensch kommt kaum hinterher. Wie sieht die Zukunft aus? Wie finden wir uns zurecht? Und wo sind Maschinen uns schon überlegen? Das Kultursymposium Weimar sucht nach Antworten.

Daniel Göpfert im Gespräch mit Karin Fischer | 19.06.2019
Auf dem Festivalgelände des E-Werks beim Kultursyymposium in Weimar 2019 stehen Zelte, auf die Bilder und Schriften projiziert sind.
Das Festivalgelände des E-Werks in Weimar ist einer von neun Veranstaltungsorten des Kultursymposiums (Joerg Glaescher/Goethe-Institut)
Karin Fischer: "Die Route wird neu berechnet". Beim Autofahren, wenn eine Maschine diesen Satz spricht, sind das ein paar bange Sekunden, in denen man verrückte Dinge tun kann, wie zum Beispiel einen Kreisverkehr mehrfach zu umrunden, bis der Navi einen wieder in die richtige Spur bringt. Das zweite Kultursymposium des Goethe-Instituts in Weimar will den Satz "Die Route wird neu berechnet" gesellschaftspolitisch ausdeuten und fragt nach Orientierung in einer immer komplexeren Welt. Und das mit Hilfe von über 70 Expertinnen und Experten aus dem Bereich Kultur, Wissenschaft, Medien, Wirtschaft oder Politik und mit insgesamt über 300 Teilnehmerinnen. Es geht international zu in Weimar und interdisziplinär, und ich konnte am Vormittag mit Daniel Göpfert sprechen, dem Projektleiter des Kultursymposiums in Weimar. Er wagt gleich am Eröffnungsabend einen Blick in die Zukunft mit der indischen Designerin und Futuristin Anab Jain, die Zukunfts-Szenarien kreiert und imaginiert. Wie müssen wir uns das vorstellen, habe ich ihn zuerst gefragt.
Luft der Zukunft
Daniel Göpfert: Das ist eine spannende Art und Weise, wie Anab Jain an diese Fragen herangeht, wie wir in Zukunft leben werden. Sie spricht mit Wissenschaftlern, und sie designt Zukunftsszenarien, wie sie eintreten könnten. Sie versucht, Prognosen zu erstellen und diese dann möglichst plastisch, möglichst praktisch herzustellen, nachzubauen. Sie baut dann zum Beispiel eine Welt oder eine Straße, in der Drohnen fliegen und uns überwachen oder Werbedrohnen unterwegs sind, die unsere Gesichtszüge ablesen und gucken, für welche Art von Werbung wir in dem Moment gerade empfänglich sind und die entsprechende Werbung uns dann zeigen. Oder sie produziert Atemluft aus Städten des Jahres 2050, wo man dann schon mal eine Nase nehmen kann und dann überlegen, ob man weiter mit Kohle heizen oder mit Benzinautos fahren möchte. Und insofern erhoffen wir uns da einen unterhaltsamen, spannenden, konkreten, aber auch vielleicht zum Nachdenken anregenden Vortrag von Anab Jain.
Fischer: Nochmal zurück zum Ausgangspunkt zurück: Die technischen Möglichkeiten werden immer größer, die gesellschaftlichen Herausforderungen auch, und der Zustand der Welt kommt einem vor wie damals bei der Erfindung der Eisenbahn, als der Indianer sinngemäß sagte: "Die Seele ist aber noch nicht dabei bei dieser Geschwindigkeit." Wir kommen einfach nicht mehr mit. Kein Mensch, und auch nicht die Europäische Union, ist in der Lage, Globalisierung, Klimawandel, Migration und, sagen wir mal, soziale Medien zusammen zu denken. Was war konkret Ihr Anliegen oder Ihr Erkenntnisinteresse mit diesem Symposion?
Populismus und Nationalismus
Göpfert: Uns ist aufgefallen – sicherlich fällt das vielen Menschen auf – dass wir in einer Zeit leben, wo sehr viele Dinge sehr schnell sich verändern - und zwar in vielen Bereichen parallel. Und wir haben uns drei dieser Bereiche mal rausgegriffen und gesagt: Die möchten wir mal näher betrachten und auch die Wechselwirkungen zwischen diesen Veränderungsprozessen in den Blick nehmen. Da ist zum einen das Thema der Autonomie, die Frage: Wie künstliche Intelligenz in den kommenden Jahren und Jahrzehnten unser Leben und unser menschliches Selbstbild verändern wird, wenn es absehbar ist, dass Computer und Maschinen intelligente Algorithmen viele Dinge schon jetzt besser können als der Mensch, zum Beispiel Schachspielen. Aber in absehbarer Zukunft auch viele andere Dinge, dass auch viele Berufe wegfallen werden und vielleicht ganz neue Berufe entstehen werden. Das ist also ein großes Feld, dieser technologische Wandel.
Dann haben wir als zweiten großen Bereich: die globale Erfolgswelle des Populismus und Nationalismus, die wir in den letzten Jahren beobachten konnten hier in Europa, aber auch in Ländern wie den USA, Brasilien und weltweit. Und da möchten wir auch fragen: Ist das ein temporärer Zustand? Wird sich das bald wieder geben? Oder stehen wir vielleicht am Anfang einer größeren Epochenwende hin zu einem neuen Zeitalter neuer Nationalismen? Und das möchten wir uns angucken, die Ursachen dieser Entwicklung, die Mechanismen, die wirksam werden, und die möglichen Folgen.
Und als drittes großes Thema schauen wir uns die Zukunft der Wirtschaft an, wo sich ja auch in den letzten 20 Jahren enorm viel getan hat. Es gibt heute riesige Unternehmen, die vor 20 Jahren noch niemand kannte und die heute zu den globalen Spitzenunternehmen zählen, die großen Zugriff auf Datenmengen haben und damit Dinge tun, wo wir mit der Gesetzgebung immer hinterherhinken und auch mit der Steuergesetzgebung. Und eine übergreifende Frage zu diesen Sektoren ist die Frage der Orientierung: In einer Welt, die sich so schnell verändert, in der ja auch Wahrheiten verschwimmen, wo immer mehr Leute Informationen senden und wir als Empfänger überlegen müssen, wem können wir eigentlich noch vertrauen, wo kriegen wir gesicherte Informationen her, da ist die Frage der Orientierung bedeutender als je zuvor.
Fischer: Stichwort digitaler Wandel: Sie schauen explizit etwa nach Estland, das ja als Vorreiter und Musterland der Digitalisierung gilt und extrem weit ist bei der so genannten "E-Governance". Mit durchschlagendem Erfolg vor allem für die heimische Wirtschaft, wie ich lese.
Göpfert: Genau. Da haben wir eine Frau zu Gast, Katrin Nyman Metcalf. Sie ist eine Beraterin der estnischen Regierung und, wenn man so will, eine der Mütter des estnischen digitalen Erfolgs. Estland ist ja Vorreiter in vielen Bereichen, wenn es um das Digitale geht. Und der Staat hat es sich dort zur Aufgabe gemacht, den Bürgern und Unternehmen das Leben größtmöglich zu erleichtern, Hindernisse aus dem Weg zu räumen. Das ist wahrscheinlich in keinem Land der Europäischen Union so einfach wie in Estland, ein Unternehmen zu gründen und mit so wenig physischem Aufwand verbunden. Man kann das sogar tun, wenn man gar nicht in Estland ansässig ist. Man kann sich dann eine so genannte "E-Residency" besorgen, also eine Staatsbürgerschaft von Estland nur über das Internet.
Fischer: Die sogar der Papst hat.
Göpfert: Genau, die hat sogar der Papst und Angela Merkel wohl auch. Man muss nicht alles übernehmen, aber man kann sicher davon lernen, was Estland in den letzten zwanzig Jahren richtig gemacht hat. Und das wird sicherlich auch ein spannender Beitrag zu dem Symposium.
Virtuelle Popstars und Avatare im Klassenzimmer
Fischer: Das wissenschaftlich-diskursive Programm wird künstlerisch angereichert und hält auch partizipative Formate bereit. Vielleicht beschreiben Sie mal eines davon und auch den speziellen Erkenntnisgewinn, den Sie sich davon versprechen?
Daniel Göpfert: Ja, das ist ein relativ breit gefächertes künstlerisches Programm. Es gibt unter anderem ein Ballett auf der Bühne von einem taiwanesischen Choreographen - Huan Wan Yi - und das Besondere an dem Programm ist, dass ein Mensch und ein Roboter zusammen tanzen. Und zwar ein großer Industrieroboter, der über 700 Kilo wiegt. Wir mussten eigens die Bühne verstärken dafür, damit er da überhaupt stehen kann. Und das steht natürlich sinnbildlich für die Zusammenarbeit zwischen Menschen und Maschinen, zwischen Algorithmen und uns, die ja in den nächsten Jahren eine immer größere Rolle spielen wird. Digitale Assistenten spielen ja heutzutage in unserem Leben schon eine große Rolle, und die Beziehung zwischen Menschen und Robotern werden noch ganz viele weitere Facetten entwickeln.
Wir haben da inhaltliche Beiträge dazu, etwa Mari Matsutoya, eine japanische Künstlerin, die sich mit dem Phänomen Hatsune Miku beschäftigt: Das ist ein Popstar in Japan, hat viele Hunderttausend Follower auf Instagram, füllt große Stadien mit Fans bei Konzerten. Das Besondere: Es gibt sie gar nicht, es ist ein rein virtuelles Produkt, und trotzdem ist sie so erfolgreich. Oder wir haben Karen Dolva zu Gast, eine Start Up Unternehmerin aus Norwegen, die baut Avatare die am Unterricht teilnehmen können. Wenn ein Kind lange krank ist, dann kann es mit Hilfe dieses kleinen Roboter-Avatars doch mitbekommen, was in der Klasse passiert, kann sehen und hören, was geschieht und kann auch aktiv am Unterricht teilnehmen.
Fischer: Das Goethe-Institut ist als "Global Player" der besonderen Art ja prädestiniert dazu, diese vielen unterschiedlichen Ansätze zusammen zu bringen. Sie fungieren in den Ländern vor Ort ja zum Teil selbst auch als "think tank" und als Motor kultureller Entwicklung. Im Vorfeld des Symposiums in Weimar, lese ich, gab es zum Beispiel eine Bustour im Senegal, mit deren Hilfe Schülerinnen und Schüler über Fake News und den kritischen Umgang mit sozialen Medien aufgeklärt wurden.
Fakten von Fake News unterscheiden
Göpfert: Ja, in vielen Ländern Afrikas, im Senegal zum Beispiel, sind die sozialen Medien die Informationsquelle Nummer 1, gerade bei jungen Menschen. Die informieren sich nicht über klassische Medien, sondern darüber, was ihnen Freunde schicken oder mit ihnen teilen. Und gleichzeitig gibt es keine systematische Sensibilisierung dafür, wie mit den verschiedenen Graden an Wahrheit, die ja im Internet kursieren, und mit bestimmten Meinungen, die nicht als Meinung gekennzeichnet sind, oder auch Fakten, die gar keine Fakten sind, wie damit umzugehen ist. Diese Sensibilisierung findet nicht statt, und da setzen wir an und haben eben eine Reihe von Workshops durchgeführt, wo wir mit Schülerinnen und Schülern gesprochen haben und überlegt haben, wie können wir eigentlich herausfinden: Ist eine Information, die ich im Internet erhalten habe verlässlich? Was sind die Quellen? Wie kann ich das nachprüfen? Was kann ich glauben? Wo bin ich lieber vorsichtig? Das ist, glaube ich, eine ganz wichtige Sache, gerade in Zeiten, wo auch in anderen Ländern, nicht nur in Afrika, sondern in anderen Teilen der Welt natürlich Populisten aller Couleur Dinge in die Welt setzen, einfach Behauptungen streuen. Wir haben ja ein ganz prominentes Beispiel mit dem amerikanischen Präsidenten, der ja auch, sagen wir mal, ein flexibles Verhältnis zur Wahrheit hat. Insofern ist das, glaube ich, eine ganz wichtige Fähigkeit, Fakten von Fake News unterscheiden zu können, die wir auch weiter fördern sollten.