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Kultursymposium Weimar
Teilen ist das neue Haben

Teilen und Tauschen sind Grundlagen menschlicher Kulturpraktiken. Auf dem Kultursymposium des deutschen Goethe-Instituts in Weimar diskutieren in diesem Jahr Vertreter aus Kultur, Wirtschaft und Politik darüber, unter welchen Voraussetzungen Menschen bereit sind, zu teilen.

Von Henry Bernhard | 02.06.2016
    Die Initiative Foodsharing sammelt in vielen deutschen Städten Lebensmittel ein, die andere in die Mülltonne schmeißen, und verteilt sie weiter.
    Die Initiative Foodsharing sammelt in vielen deutschen Städten Lebensmittel ein, die andere in die Mülltonne schmeißen, und verteilt sie weiter. (dpa/picture alliance/Patrick Seeger)
    "Mein Haus - mein Auto – mein Boot." Zwei Männer sitzen sich in der Kneipe gegenüber und prahlen mit ihren Statussymbolen. Damit machte die Sparkasse vor 20 Jahren Werbung. Heute sähe die Werbung wohl anders aus. Das Protzen mit Autos gibt es zwar immer noch, aber längst sind andere Dinge wichtiger geworden. "Weniger ist mehr." oder "Teilen ist das neue Haben" sind die Slogans, mit denen das Kultursymposium der der Goethegesellschaft "Teilen & Tauschen" in Weimar überschrieben sein könnte. Der Präsident der Goethegesellschaft, Klaus Dieter Lehman, erklärte die Motivation für eben dieses Thema, "Teilen & Tauschen", in seiner Eröffnungsrede:
    "Wenn die Ökonomie es wagt und sie tut es, mit wirtschaftlichen Analysen alle Bereiche des menschlichen Zusammenlebens zu erklären, dann nehmen wir uns die Freiheit umgekehrt, die Ökonomie anthropologisch oder kulturell zu betrachten."
    Gerade in einer Zeit, in der alle Lebensbereiche der Optimierung, der Monetarisierung unterliegen, in dem nicht nur die Wirtschaft auf maximalen Gewinn aus ist, komme es darauf an, den Blick auf Phänomene zu richten, die sich diesem Streben bewusst oder unbewusst entziehen, und von ihnen zu lernen. Der tschechische Ökonom Tomáš Sedláček zeigte in seinem mitreißenden Vortrag, dass das Nicht-Ökonomische, Solidarische viel näher liegt als oftmals vermutet. Unser Leben sei viel mehr nichtmonetär als monetär. Nur die Volkswirtschaftslehre wolle uns etwas anderes weismachen.
    Wenn wir nach Hause kämen, so Sedláček, würden wir unser Portemonnaie, unser Geld, unsere Kreditkarten ins Regal legen. Geld spiele zwar draußen überall eine Rolle, nicht aber im Kreise der Familie. Genau so sähe es innerhalb von Firmen aus und unter Freunden. Die israelische Soziologin Eva Illouz widersprach Sedláček: Sehr wohl spiele Geld eine große Rolle in der Familie, etwa als Taschengeld für Kinder oder als zugeteiltes Wirtschaftsgeld für Hausfrauen. Oder in den von der Wirtschaft romantisch verklärten Erwartungen zum Valentinstag.
    Nach Kapitalismus und Sozialismus kommt die Sharing Economy
    Kapitalismus und Konsumkultur würden immer mehr Lebensbereiche kolonialisieren. Wer dies anders sehe, scheine nicht auf diesem Planeten zu leben. Immer mehr soziale Beziehungen würden kommerzialisiert, Dinge, die wir früher aus moralischen oder anderen Verpflichtungen getan hätten, würden heute für Geld erledigt.
    Der amerikanische Soziologe und Ökonom Jeremy Rifkin entwarf im Anschluss eine Vision einer Welt, in der jeder gleichzeitig Konsument und Produzent ist. Die umfassende Digitalisierung aller Wirtschaftsbereiche würde ungeahnte Ressourcen freisetzen. Nach Kapitalismus und Sozialismus käme die Sharing Economy.
    Junge Leute etwa produzierten ihre eigene Musik fast ohne Kosten – und ob sie sie an einen oder an Millionen verbreiteten, sei faktisch egal. Kleine Firmen, die mit fast nichts agierten, könnten so Geld verdienen und es der alten Ökonomie zeigen. Im Teilen, etwa von Autos, und in lokaler, regenerativer Stromerzeugung sieht Rifkin die einzige Chance, die Erde vor dem Klimawandel zu bewahren. Seinen Vortrag aber wollte er nicht weiter teilen: Das Filmen war verboten.