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"Kunst der Oberfläche"
Ein Symposium der Komischen Oper Berlin über den neuen Erfolg der Operette

Von Julia Spinola | 03.02.2015
    Barrie Kosky hat an der Komischen Oper eine Ära der neuen Leichtigkeit ausgerufen. Da versteht es sich von selbst, dass auch ein wissenschaftliches Symposion keine trocken-papierene Angelegenheit sein darf, sondern das Publikum zugleich unterhalten will. Die Schauspielerin und Musicalsängerin Katherine Mehrling, eine der gefeierten Diven der Operettenproduktionen des Hauses, setzt also eine Intellektuellenbrille auf, rekelt sich zum "Theodor-Jazz" lasziv auf dem Flügel oder verballhornt besonders kryptisch formulierte Ausschnitte aus Adornos Schriften in breitem hessischen Dialekt. Das ist lustig - aber auch etwas wohlfeil. Denn es greift deutlich zu kurz, Adorno zum Buhmann zu stilisieren, dessen Kritik am Jazz und an der leichten Muse die als unselig empfundene Spaltung der Musik in eine "ernste" und eine "Unterhaltungs"-Sphäre zementiert habe.
    Einig waren sich die Teilnehmer einer Podiumsrunde zum Thema "E- und U-Musik" in der Feststellung, dass die Trennung der Sphären in Deutschland säuberlicher vollzogen worden sei, als in anderen Ländern. Barrie Kosky sieht darin vor allem eine bis heute nachwirkende Folge jenes brutalen Kahlschlags, den das Genre einer anspruchsvollen Unterhaltungskunst durch den Nationalsozialismus erlitten hat. Denn die Berliner Operette und die Jazz-Operette, die in den 20er- und 30er-Jahren am Metropoltheater, dem Vorgängerhaus der heutigen Komischen Oper, Erfolge feierte, war - mit Ausnahmen - eine von jüdischen Künstlern geprägte Kunstform. Ihre entscheidenden Protagonisten wurden ins Exil getrieben - wie die Sängerin Fritzi Massary und der Komponist Paul Abraham - oder ermordet.
    Der Musik- und Literaturwissenschaftler Kevin Clarke führte aus, wie die neu proklamierten völkischen Operettenideale von 1933 an umgesetzt wurden. "Artfremde Rhythmen" wie im Jazz waren von nun an zu eliminieren. Die sentimentalisierte Operette sollte dem arischen Volk "Kraft durch Freude" vermitteln. Matthias Kauffmann differenzierte in seinem Vortrag über "Volksgemeinschaftliche Ideologie und Operette im NS-Staat" eine gängige Vorstellung vom Wesen der nationalsozialistischen Propaganda. Es sei ein Missverständnis, so meinte er, in der Propaganda nur eine Gehirnwäsche zu sehen, die dem unschuldigen Volk von oben aufgezwungen worden sei. Vielmehr habe die Propaganda auch jene ideologischen Parolen aufgegriffen, die an den Stammtischen ohnehin bereits kursierten. Und auch die Elemente der NS-Operette seien von den Nationalsozialisten nicht neu erfunden worden. Die altbekannten Topoi der Operette wie Exotismus, Erotik und Starkult seien von ihnen aufgegriffen und ideologisch umcodiert worden.
    Dass Bruch und Kontinuität sich in der Geschichte der deutschen Operette keineswegs so deutlich ausmachen lassen, wie es auf den ersten Blick scheinen mag, war eine der wichtigen Erkenntnisse des Symposions. Bis in die jüngste Zeit hinein sind Rezeption und Aufführungspraxis von jener zahnlos-biederen Ästhetik geprägt, zu der die Gattung als Folge der NS-Zeit verkommen ist. Um dies zu erkennen, brauche man - so konstatierte Barrie Kosky - nur einmal einen Blick auf die jüngsten Kalman-Aufführungen Christian Thielemanns an der Dresdner Semperoper zu werfen:
    "So furchtbar, so furchtbar. Der Mann ist ein Genie mit Bruckner und Wagner und Strauss. Einer von den besten Dirigenten in der ganzen Welt. Aber so ein Missverständnis! Und es klingt wie im Dritten Reich."
    Kosky ist angetreten, dieses Operettenbild gründlich zu revidieren und der Operette das zurückzugeben, was ihr einst ausgetrieben wurde. In seinen Worten sind das "der Jazz, der Dreck, der Sex und das Subversive". Man darf gespannt darauf sein, ob das Revival, das die Operette unter seiner Leitung an der Komischen Oper erlebt, auch auf andere Bühne ausstrahlen wird.