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Kunst im Anbau

Das ehemalige Waffenlager, die Park Avenue Armory in New York ist eine der bekanntesten Kunststätten des Landes. Für moderne und alternativere Kunst-, Theater- und Musikaufführungen soll jetzt angebaut werden.

Von Sacha Verna | 21.08.2012
    98 Lautsprecher, dazwischen verteilt zwei Dutzend Holzstühle für das Publikum, das sich in fast völliger Dunkelheit dreißig Minuten lang "The Murder of Crows" anhört.

    Diese Toninstallation von Janet Cardiff und George Bures Miller ist das jüngste Projekt, das in der Park Avenue Armory seine New Yorker Premiere feiert. Die Park Avenue Armory wiederum ist New Yorks jüngster Veranstaltungsort, der Erfolge feiert. Das ehemalige Zeughaus liegt an feinster Adresse in der Upper East Side, einem Quartier, das nicht gerade als Tummelplatz der künstlerischen Avantgarde bekannt ist. Doch genau damit, mit ganz und gar unkonventionellen kreativen Darbietungen lockt der imposante rote Backsteinbau seit einigen Monaten immer zahlreicheres Publikum an.

    New York habe bisher über keinen großen alternativen Veranstaltungsort verfügt, sagt Rebecca Robertson. Sie ist die Präsidentin der Non-Profit-Organisationen, die mit Geldern von Stiftungen und privaten Sponsoren hinter der Park Avenue Armory steht. Mit "groß" und "alternativ" meint Rebecca Robertson die über fünftausend Quadratmeter umfassende Exerzierhalle der Armory. Diese erinnert an einen europäischen Bahnhof des neunzehnten Jahrhunderts und hat mit den plüschigen Konzertsälen einer Carnegie Hall oder den Broadway-Bühnen tatsächlich keine Ähnlichkeit. Sie seien von Anfang an mit Projektvorschlägen von Vertretern aus allen Bereichen der Kunst überhäuft worden, sagt Rebecca Robertson:

    "Wir sagten, ihr könnt diese Halle kostenlos nutzen, wenn ihr ein Projekt habt, dass solche Dimensionen benötigt. An Gewöhnlichem sind wir nicht interessiert. Euer Projekt muss uns brauchen, um am besten realisiert werden zu können."

    Diese Aufforderung hat bisher in der Inszenierung von Leonardo da Vincis "Letztem Abendmahl" resultiert, einer filmischen Präsentation in 3D des britischen Regisseurs Peter Greenaway. In der Aufführung von Karlheinz Stockhausens "Gruppen", einem Stück für drei Orchester, in deren Mitte das Publikum sitzt. Es gab Christian Boltanskis Installation "No Man’s Land", in der ein fünf Stockwerke hoher Kran einen Monat lang mehrere Tonnen Altkleider herumwuchtete. Und es gab eine Mission zum Mars zum Zuschauen und Mitmachen unter der Aufsicht des Kunstbastlers Tom Sachs.

    Manche der Produktionen gehen auf die Zusammenarbeit mit anderen Institutionen zurück. Bernd Alois Zimmermanns monumentale Oper "Die Soldaten" zum Beispiel übernahm die Park Avenue Armory von der Ruhrtriennale. Künftig sind jedoch vermehrt Auftragsproduktionen geplant.

    Die künstlerische Leiterin der Park Avenue Armory Kristy Edmunds sieht darin für Künstler eine Herausforderung und Chance zugleich:

    "So viele unserer Kulturorganisationen sind überprofessionalisiert. Es gibt einen festen Rahmen, in dem die Künstler ihr Werk realisieren können. Hier hingegen müssen sie den Rahmen und das Werk erfinden."

    Kristy Edmunds hält es durchaus für möglich, dass die Park Avenue Armory zum Entstehungsort für eine ganz eigene Kunstgattung wird. Kunst, die sich nicht mehr präventiv zurechtschrumpft, um den architektonischen Prämissen traditioneller Kulturtempel zu genügen.

    Derlei Visionen kosten Geld. Zurzeit wird das Gebäude einer Totalrenovation unter der Leitung der Architekten Herzog und De Meuron unterzogen. Zweihundert Millionen Dollar stehen dazu zur Verfügung. Das Jahresbudget beträgt neun Millionen Dollar, wovon fünf Millionen Dollar für das künstlerische Programm reserviert sind – fast nichts, im Vergleich zu den dreihundert Millionen Dollar, die die Metropolitan Opera jährlich verspielen darf, oder zu den 150 Millionen Dollar des Museum of Modern Art. Hoffentlich reicht es trotzdem, um die Park Avenue Armory als Tanz- und Theaterhaus zu etablieren, als Oper und Konzerthalle und als Museum, das zu spektakulären Phantasien animiert.