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Kunst im Kapitellsaal

Elfenbein, Gold und Edelsteine - der Halberstädter Domschatz gehört zu den bedeutendsten und umfangreichsten mittelalterlichen Kirchenschätzen, die am ursprünglichen Bestimmungsort erhalten geblieben sind. Nach Umbauarbeiten können Touristen die Sammlung nun wieder besichtigen.

Von Susanne Arlt | 13.04.2008
    Der Dom zu Halberstadt: Schon von weitem sieht der Besucher seine zwei prächtigen gotischen Spitztürme in den Himmel ragen. Viele Kirchen mögen prächtiger, merkwürdiger, kunstreicher sein als der Halberstädter Dom, schrieb Ricarda Huch. Aber dieser Dom scheint mir von allen der Edelste zu sein, fand die Dichterin und Philosophin.

    "Halberstadt - Ihr Tor zum Harz", wirbt die Stadt seit der Wende. Doch die meisten Besucher sind auf der Durchreise. Entweder wollen sie weiter nach Wernigerode und mit der Schmalspurbahn auf den Brocken fahren - oder sie sind auf dem Weg nach Quedlinburg. Die Altstadt mit ihren 1200 Fachwerkhäusern und ihr berühmter Domschatz sind Welterbe. Der Schatz galt lange als verschollen. Ein US-Offizier raubte ihn nach dem Zweiten Weltkrieg aus einer Höhle und versteckte ihn in Texas.

    Soviel spannenden Krimi habe Halberstadt nicht zu bieten, sagt Stadtführerin Helga Scholz. Auch die ehemals winkligen Gassen aus uraltem Pflaster und weiträumigen, von Fachwerkhäusern umsäumten Plätzen aus sechs Jahrhunderten findet man kaum noch in Halberstadt. Einen Monat vor Kriegsende bombardierten die Alliierten die Stadt und legten sie in Schutt und Asche. Daran konnte auch der Wiederaufbau des historischen Stadtzentrums Ende der neunziger Jahre nicht viel ändern.

    "Was mich als Stadtführer immer ein bisschen ärgert und traurig macht, dass viele Leute hier vorbeifahren an Halberstadt; so nach dem Motto, auch na ja, eine graue Stadt. Aber wenn man von weitem die Türme sieht, müsste man normalerweise neugierig werden, warum hat die Martinikirche ungleiche Türme, warum hat die Liebfrauenkirche vier Türme, ganz selten in unserem mitteldeutschen Raum, und dann haben wir die staatlichen Türme unseres Domes, wir haben hier wirklich geschichtsträchtiges Gebiet."

    Halberstadt ist eine der Wiegen der deutschen Christenheit. Karl der Große gründete hier 804 das älteste Bistum Mitteldeutschlands. Die heidnischen Sachsen war dem christusgläubigen Regenten ein Dorn im Auge. 33 Jahre lang lag Karl der Große mit den Sachsen im Clinch. Darum wurde das neue Bistum nicht nur Missionsstützpunkt, sondern diente auch der Grenzsicherung.

    Von der romanischen Kirche aus dem neunten Jahrhundert ist heute nichts mehr zu sehen. Als die gotische Kathedrale 1236 errichtete wurde, wurde die romanische Kirche Stück für Stück abgerissen. 250 Jahre lang dauerte es, bis das neue Gotteshaus das Zentrum der Stadt bildete, erzählt Stadt- und Domschatzführerin Helga Scholz:

    "Man sagt eigentlich: der reinste gotische Dom Deutschlands. Einmal ist nach den gleichen Plänen immer gearbeitet worden. Es gab Unterbrechungen in der Bauzeit, fertig geworden ist man dann 1486 und hat dann die Weihe 1491 vorgenommen. Und seit der Zeit steht er so in seiner Pracht, wie wir ihn sehen, und man muss schon sagen, wenn man hier zuerst reinkommt, dann ist man gefangen genommen von der Höhe, von diesen aufstrebenden Pfeilern, von dem Licht, das einfällt."

    Halberstadt - die 1200 Jahre alte Bischofsstadt präsentiert sich von heute an nicht mehr nur als Tor zum Harz, sondern auch als Tor zum Mittelalter. Mit den Bischöfen kamen auch die kostbaren Reliquien. Die Heiligengebeine waren für gläubige Christen damals wertvoller als Gold oder Edelsteine. Auf über 1000 Quadratmeter werden die Schätze in der Domklausur gezeigt. Zu dem Fundus gehören mehr als 650 Kunstwerke aus dem fünften bis 18. Jahrhundert. Aber nur die Hälfte dieser alten Teppiche, Gewänder, Bischofsmützen, Goldschmiedearbeiten und Elfenbeinschnitzereien werden in der Domschatzausstellung zu sehen sein.

    Zu Beginn des 13. Jahrhunderts brachte Bischof Konrad von Krosigk von einem Kreuzzug die ersten sakralen Kostbarkeiten nach Halberstadt. Er hatte sich zuvor den Zorn des Papstes zugezogen, wurde gebannt und durfte fortan keine Gottesdienste mehr ausrichten: eine Schmach für den Geistlichen adliger Abstammung. Vermutlich nahm er darum an dem vierten Kreuzzug teil. Die Ritter fuhren mit ihren Schiffen - aber nicht nach Jerusalem, sondern nach Konstantinopel. Obwohl die meisten Bewohner dort dem christlich-orthodoxen Glauben angehörten, plünderten die Kreuzritter in angeblich missionarischer Absicht die Stadt, erzählt Stadtführerin Helga Scholz.

    "Und zwar fürchterlich. Also man sagt, dass die Menschen da im Blut gewatet sind, also überhaupt keine Rücksicht genommen haben, den Palast geplündert. Sie haben die Kirchen und Kapellen beraubt, und im Zuge dieses Kreuzzuges ist Konrad von Krosigk an eine riesige Masse von Reliquien und auch an wertvolle Gefäße gekommen, und vor allem an Knochenpartikel von Heiligen."

    Jörg Richter, Kustos und somit Wächter des Halberstädter Domschatzes steht in der Schatzkammer. In dem Raum ist es kühl und dunkel. Das massiv gemauerte Tonnengewölbe sei schon im 13. Jahrhundert von den Domherren als Schatzkammer genutzt worden, sagt der Kustos. Schonendes Glasfaserlicht lässt die goldenen, mit Edelstein besetzten Reliquiare erstrahlen. In dieser Kammer befindet sich das Kostbarste, was eine große Kirche erwerben konnte.

    "Die kostbarsten exotischsten Materialien, die man sich denken konnte, waren gerade gut genug, um die heilige Substanz zu umkleiden. Deshalb gibt es hier Behälter aus Elfenbein, Gold und Silber, Edelsteine. Es gibt auch Reliquiare, die aus Straußeneiern gearbeitet worden sind."

    Doch es sind die Arme aus Gold, die den Blick sofort auf sich ziehen. Bei diesen sogenannten redenden Reliquiaren spielt die äußere Form auf ihren Inhalt an. Der Arm ist wie der Mund das wichtigste Organ, über das der christliche Glaube kommuniziert werden kann. Über die goldenen Hände konnten die Gläubigen in körperlichen Kontakt mit den Heiligen treten. Sie durften sie küssen. Der Priester erteilte mit der Hand den Segen. Sechs Armreliquiare sind in der Ausstellung zu sehen. Hinter einer eingearbeiteten Bergkristallscheibe kann der Betrachter zum Beispiel den mumifizierten Finger des heiligen Nikolaus sehen oder ein Stück Schädeldecke des heiligen Stephanus, nach dem der Halberstädter Dom benannt wurde. Domkustos Jörg Richter:

    "Mit der Authentizität dieser Reliquien ist es natürlich schwierig. Dass was uns interessiert in der Darstellung ist eigentlich die religiöse Praxis. Aber die Verbreitung in Wort und Text genügt offenbar nicht. Wir haben ein Bestreben, uns der Geschichte über Dinge zu versichern. Die Reliquien sind sozusagen Speicher der Erinnerungen innerhalb der Heilsgeschichte und der Kirchengeschichte."

    Auf dem kunstvoll gewebten Abrahamteppich sind Szenen aus dem alten Testament zu sehen. Der Christus-Apostel-Teppich zeigt eine endzeitliche Vision, beschreibt die zweite Wiederkehr Christi am jüngsten Tag.

    "Das ist sicher der Raum, den andere große Museen weltweit gerne hätten. Zu sehen sind zwei große romanische Bildteppiche, über zwölf Meter lange Teppiche aus dem 12. Jahrhundert. Es sind die ältesten gewirkten Wandteppiche, die weltweit überhaupt erhalten geblieben sind."

    Doch am wohl außergewöhnlichsten ist die Tatsache, dass der Domschatz nicht nur die Weltkriege, sondern auch die Reformation unbeschadet überstanden hat. Es gab keinen Bildersturm wie beispielsweise im Rheinland. Die Reformation erreichte Halberstadt erst sehr spät. Und von 1591 an - man mag es kaum glauben - bestand am Dom ein ökumenisches Domkapitel. Die Domherrenstellen der Adeligen blieben bestehen. Täglich gab es katholische und evangelische Gottesdienste in den anliegenden Kapellen im Kreuzgang.

    "Ja ,das ist ein ganz ungewöhnlicher Fall, dass sich ein Domkapitel so zusammensetzt und sich eine eigene Gottesdienstordnung erarbeitet, die eben beiden Konfessionen gerecht wird. Es ist auch ein aktuelles Thema und wird gerade auch sehr intensiv erforscht. Letztlich stehen da auch wirtschaftliche Interessen dahinter, das Domkapitel wurde von Adeligen aus der Region besetzt, und diese Leute haben einfach begriffen, dass man besser miteinander leben kann, wenn man sich friedlich einigt."

    Im neuen Königreich Westfalen, das Jerome Bonaparte unterstand, wurden 1810 alle großen Stifte aufgelöst und ihre Besitztümer für die Staatskasse eingezogen. Die Ökumene in Halberstadt fand sein Ende, die Schatzkammer aber wurde nicht geplündert. Der damalige Domprediger Friedrich Bernhard Augustin war ein großer Kunstkenner. Er setzte sich geschickt dafür ein, dass die Halberstädter Schatzstücke an ihrem Ort blieben, sagt Domkustos Jörg Richter.

    "Er hat das kleingeredet, ja es gibt da alte Gebeine von Heiligen, die aber so keinen großen Wert haben und ansonsten ja das Altargerät, dass wird von der Gemeinde genutzt, dass kann man auch nicht abgeben, das ist also ganz spannend zu lesen. Er hat der königlichen Regierung in Kassel mehr oder weniger ausgeredet, dass hier am Dom etwas zu holen sei."

    Für den Besucher der neuen Domschatzausstellung gibt es dafür in Halberstadt heute umso mehr zu sehen.