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Kunst im Zeitalter der technischen Totalokkupation

Wenn es um Gegenwartskunst geht, leistet das Karlsruher ZKM gern Pionierarbeit. So auch nun mit der ersten großen Themenschau des US-Künstlers Matthew Day Jackson. Der 39-Jährige fragt in seinen Werken nach der technologischen Invasion unserer Welt.

Von Helga Spannhake | 17.05.2013
    "Hallo, ich heiße Matthew Day Jackson. Ich bin ein Künstler from Brooklyn NY."

    Gleich am Eingang im ersten Lichthof des Museums schillert tiefsilbern eine utopisch wirkende riesige Kunstkapsel, die eigentlich einmal ein B29 Bomber war, so Ausstellungskurator Andreas Beitin:

    "Es ist ein B29-Bomber mit dem 1945 die Atombomben über Hiroshima und Nagasaki abgeworfen worden sind. Matthew Day Jackson hat das letzte verfügbare Modell am Markt gekauft und hat es eben zu dieser Kunstkapsel umgebaut."

    Die nun hochglanzpoliert auf ihrem Gestell über dem Betrachter ruht – aus dem gefürchteten Kriegsobjekt wurde ein friedliches Kunstobjekt. Geboren 1974 in Kalifornien beschäftigt Matthew Day Jackson in seinem Kunstschaffen vor allem die Frage nach dem kulturellen Einschlag der Atombombe. In seinen Werken hinterfragt er ihren Einfluss und den der Technologisierung allgemein, so ZKM Chef Peter Weibel:

    "Der Einfluss der Technologie auf unser Leben ist ja nicht nur ein friedlicher, sondern verheimlichterweise auch ein militärischer. Man könnte gewissermaßen auch sagen, wir leben in einem Zeitalter einer technologischen Okkupation. Wir sind besetzt, der Alltag, alles ist besetzt von Maschinen. Und es ist wichtig darauf hinzuweisen, dass die nicht nur zivile Ziele verfolgen, sondern auch aus dunklen militärischen Quellen kommen. Diese Transformation von Kriegsmaschinen in Friedensmaschinen das ist eine wichtige Aufgabe des ZKM und die kann man exemplarisch an dieser Ausstellung von Matthew Day Jackson zeigen."

    Gewalt im Namen der Forschung will auch das Werk "Scale model of the known universe" verdeutlichen. Ein metallisch glänzender Globus aus Edelstahl ist von zahlreichen Einkerbungen durchzogen:

    Martin Hartung: "Die Sphäre wurde in Washington, in Walla Walla hergestellt, einem kleinen Ort im Bundesstaat Washington in Amerika und wurde dann nach der Herstellung vom Künstler mit allerlei Gewehr und Schusswaffen beschossen. So erklären sich die Einschüsse und Eindellungen in dem Werk."

    Der zweite Kurator der Ausstellung, Martin Hartung, hat sich in New York intensiv mit Matthew Day Jacksons Kunst auseinandergesetzt: Erfindungsreichtum - inhaltlich ästhetische und konzeptionell anspruchsvolle Kunst sowie der Umgang mit unterschiedlichsten Materialen zeichnen für ihn den Künstler aus:

    "Es macht ihn aus, dass er ganz neue Formen der Skulpturfindung - denen nachgeht. Er arbeitet mit Hightech-Materialen und verbindet die gleichzeitig mit handwerklichen Fähigkeiten zu einem Konvolut an Themen. Und das ist sehr singulär in der heutigen zeitgenössischen Kunst."

    Hauptsächlich skulptural arbeitet Matthew Day Jackson, aber in der Ausstellung werden auch vier Videoinstallationen präsentiert. Öfter finden sich Spiegelungen in den Werken Matthew Day Jacksons. Er verwendet gern polierte Flächen oder Glas: So wird der Betrachter plötzlich Teil des Kunstwerkes. Damit appelliert Matthew Day Jackson an das Verantwortungsbewusstsein jedes Menschen: Seine Grundaussage - "Eine bessere Welt ist möglich":

    Das zweite monumentale Werk der Ausstellung ist der Kiloton Room. Mit einem Kantenmaß von 8,46 Metern und einem Volumen von rund 600 Kubikmetern entspricht diese gigantische Holzbox der räumlichen Ausdehnung von einer Kilotonne TNT – vergleichbar mit der destruktiven Kraft, die bei den Explosionen der ersten Atombombentests in der Wüste von Nevada wirkten. Destruktive Resultate menschlicher Erfindungskraft – die dunkle Seite kultureller Höchstleistung: Matthew Day Jackson verbindet in seinem vielseitigen Kunstschaffen Geschichte mit einer fiktionalen Spurensuche:

    19 Werke sind insgesamt in der Ausstellung zu sehen. Dazu gehört auch eine große mondgraue Leinwand in Trockenbaumanier – ziemlich zentral in der Mitte ein Farbtupfer, ein nachgezeichnetes Polaroidfoto einer amerikanischen Familie:

    Martin Hartung: "Der Titel der Arbeit ist FPOTM, eine Abkürzung für Family Portrait On The Moon. Der Astronaut Charles Duke hat dieses Portrait tatsächlich bei seiner Reise auf den Mond, bei einer der Apollo Missionen dort hinterlassen. Es ist ein Portrait von sich und seiner Familie – seine Frau Dorothy und ihre beiden Söhne, Charles und Tomas und dieses Foto liegt normalerweise in einer Plastikhülle tatsächlich auf dem Mond."

    An der gegenüberliegenden Wand eine Fotoserie: Zu sehen – der Künstler und seine Familie, allerdings aufgenommen mit einer Hochgeschwindigkeitskamera, die eigentlich Ende der 50er Jahre entwickelt wurde, um die Eigenschaften von Schockwellen und Explosionen festzuhalten. Durch die enorme Anzahl der Mehrfachbelichtungen erscheinen die Personen flüchtig, wie Geister. Die Arbeit weist auf die Kürze des Lebens hin und darauf, wie leicht es von einem Moment zum anderen enden kann.


    Die Ausstellung "Total Accomplishment" von Matthew Day Jackson läuft im ZKM in Karlsruhe noch bis zum 10. November 2013.