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Kunst in der französischen Provinz
Macron-Regierung will das Kulturerbe dezentralisieren

Ein schöner Effekt der Französischen Revolution: Jeder Bürger hat seitdem Zugang zu den nationalen Kulturschätzen und den früheren Kunstsammlungen von König und Adel. Jetzt will Frankreichs Kulturministerin Nyssen diese Kulturgüter nicht nur in Paris zeigen, sondern auch in die Provinz transportieren.

Von Suzanne Krause | 12.04.2018
    Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Kulturministerin Francoise Nyssen
    Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Kulturministerin Francoise Nyssen (AFP / LUDOVIC MARIN)
    Die Pariser Kulturministerin Françoise Nyssen wartet mit einer Anekdote auf, um die Dringlichkeit ihres kulturellen Aktionsplans zu verdeutlichen:
    "Als ich kürzlich im nordfranzösischen Lens war, haben mir dort der Bürgermeister und die Fans des lokalen Fußballklubs anvertraut, wie gerne sie da Vincis Mona Lisa in ihrer Stadt sehen würden. Da muss man aufhorchen: Die Franzosen wünschen sich, emblematische Werke aus dem nationalen Kulturgut ganz in der Nähe zu haben."
    Die Mona Lisa zu einem Gastspiel nach Lens zu bringen, erscheint gar nicht so abwegig. Denn in der ehemaligen Bergwerkssiedlung eröffnete Ende 2012 ein hochmodernes Museum - eine Zweigstelle des Louvre.
    Unentbehrlich in der Hauptstadt?
    Doch die Verantwortlichen des Pariser Louvre wollen den Star ihrer Gemäldesammlung nicht ziehen lassen, wie sie die Ministerin sehr schnell sehr eindeutig haben wissen lassen. Bei anderen Gemälden und Kunstwerken, die Françoise Nyssen auf Tour de France schicken will, dürfte der Widerstand auf Seiten der Kuratoren geringer ausfallen. Offene Ohren fand Nyssen bei den öffentlichen Bühnen in Paris:
    "Auch die Opera de Paris zieht im kommenden Jahr anlässlich ihres 350. Geburtstags mit. Ihr Ensemble wird Städte ansteuern, in denen man bislang niemals war, während die Ballettstars landauf, landab Masterclass-Veranstaltungen planen."
    Auch der Ausbau innovativer Kulturzentren liegt der Ministerin am Herzen. Gemeint sind die sogenannten Micro-Folies wie die in Sevran, einem sozialen Brennpunkt im Norden von Paris. Sie eröffnete im Januar 2017 in einem geräumigen Zeltbau, umgeben von aufgehübschten Plattenbauten.
    Experiment von Stadterneuerung und Kulturtransfer
    Das Herzstück der Micro-Folie ist das Musée numérique: ein Museum mit Digitalfotos berühmter Gemälde und Kunstwerke, die auf die Großbildleinwand im Kulturtreff projiziert werden. Ein niedrigschwelliger Schnupperkurs, um sich mit dem nationalen Kulturreichtum vertraut zu machen, sagt Phaudel Khebchi, Direktor der Micro-Folie in Sevran.
    "Wir haben kürzlich mit einer Gruppe von 50 Frauen deren Besuch im Schloss von Versailles vorbereitet. Wir haben sie eingewiesen in die Geschichte, in die Bedeutung des Ortes. Als sie danach das Schloss besichtigten, fühlten sie sich dort nicht fremd. Im Gegenteil, sie konnten entschlüsseln, was sie dort sahen. Und das vermittelte ihnen ein völlig neues Selbstvertrauen."
    Eine Schulklasse ist gerade im Aufbruch. Den halben Vomittag haben die Neunjährigen mal wieder auf der großen Bühne geprobt.
    Kreatives Theater auch in der Banlieue
    In Kürze werden sie ihr selbstgeschriebenes Theaterstück im Kulturtreff vor den Eltern und Freunden aufführen, sagt Lehrerin Aurélie Queriniard.
    "Hier in der Micro-Folie finden wir für unser Theaterprojekt Unterstützung von Bühnenprofis. Und darüber hinaus waren wir auch schon mehrfach zum Kunstunterricht im digitalen Museum."
    Begeistert erzählt ein Schüler von den Computern mit 3-D-Druckern, die schräg gegenüber stehen. Gedacht für die Besucher, die so selbstentworfene Objekte fabrizieren, ihrer Kreativität Ausdruck geben können. Ein Grundprinzip der Micro-Folies. Deren Konzept stammt von den Verantwortlichen des Pariser Kulturparks La Villette. Als Partner fungieren zwölf Kulturinstitutionen wie Louvre, Picasso-Museum oder auch Philharmonie. In 15 Monaten Existenz hat die Micro-Folie in Sevran 25.000 Besucher angelockt. Und tief in der französischen Provinz entstanden seither drei Ableger. Kulturministerin Françoise Nyssen träumt davon, Frankreich mit 200 Micro-Folies auszustatten - überall dort, wo bislang Kultur Mangelware ist.