Donnerstag, 25. April 2024

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Kunst in der Provinz
"Wir kommen ein Stück weit auf die Landkarte"

Kassel, Münster, Marl - drei Städte, die eher als Provinz gelten, bestimmen ab diesem Wochenende das Kunstgeschehen. Braucht es kleine Orte um große Kunst zu zeigen? "Wir kommen ein Stück weit auf die Landkarte", sagte Georg Elben, Direktor des Marler Skulpturenmuseums Glaskasten, im Dlf.

Georg Elben im Corsogespräch mit Susanne Luerweg | 09.06.2017
    "Skulptur Projekte" steht auf einem Transparent am 09.06.2017 hinter einer grünen Verkehrsampel in Münster (Nordrhein-Westfalen). Die Eröffnung der fünften Ausgabe der Zehn-Jahres-Großausstellung Skulptur Projekte ist am 10.06.2017. Ihr Ableger ist im 60 Kilometer von Münster entfernten Marl.
    "Skulptur Projekte" steht auf einem Transparent am 09.06.2017 hinter einer grünen Verkehrsampel in Münster (Nordrhein-Westfalen). (Friso Gentsch/dpa)
    Susanne Luerweg: Kassel, Münster und Marl – das sind ab diesem Wochenende die Hotspots der Kunstszene in Deutschland. In Kassel startet der zweite Teil der documenta, in Münster eröffnen zum 5. Mal die Skulpturprojekte. Und ähnlich wie die documenta mit Athen, bildet Münster mit Marl eine Partnerschaft. Die kleine Stadt, die als eine Art Scharnier zwischen Ruhrgebiet und Westfalen fungiert, zeigt bereits seit letzten Sonntag "The Hot Wire - der heiße Draht", so der Titel.
    Kurator, Ausstellungsleiter ist Georg Elben, Direktor des Marler Skulpturenmuseums Glaskasten, den ich nun am Telefon begrüße, direkt nach der Pressekonferenz in Münster. Herr Elben. Schönen guten Tag.
    Georg Elben: Schönen guten Tag.
    Luerweg: Kassel, Münster, Marl. Drei Städte, die alle eher unter Provinz firmieren und nun das Kunstgeschehen bestimmen. Braucht es - im Grunde genommen - kleine Orte, um große Kunst zu zeigen?
    Elben: Naja. In Marl ist es wirklich eine Geschichte, die jetzt hier ausgestellt wird, die wirklich so das Rampenlicht einmal abbekommt. Eine Geschichte, die von der Stadt schon ganz spannend ist, weil Marl ist in den 50er Jahren eine der reichsten Städte Deutschlands gewesen mit zwei großen Zechen und dem Chemiepark, die auch in Marl damals die Steuern direkt gezahlt haben. Und zu der Zeit hat man einen großen Gestaltungswillen gehabt. Man hat ein internationales Rathausprojekt angeschoben, was von den holländischen Architekten Van den Broek und Bakema gewonnen worden ist. Und dazu hat es auch sofort schon Ankäufe von Skulptur auf sehr hohem Niveau gegeben, sowohl als Schmuck für die Amtsstuben, wie auch mit Skulpturen für den Außenraum. Und das ist im Prinzip der Grundstock für die Sammlung in Marl.
    "Die wirtschaftliche Lage Ruhrgebiet hatte große Auswirkungen auf die Kunst"
    Luerweg: Ja, es heißt ja so schön bei Kassel und Athen, von Athen lernen. Das heißt, die Münsteraner können in diesem Fall jetzt auch von Marl lernen, weil ich glaube skulpturentechnisch war Marl tatsächlich schon vor Münster.
    Elben: Ja. Es hat zwei wichtige Ausstellungen Anfang der 1970er Jahre gegeben. 70 und 72 unter dem Titel "Stadt und Skulptur". Und da sind, neben deutschen Künstlern, einmal holländische und einmal schweizer Künstler eingeladen worden. Und einige von den Skulpturen sind auch direkt angekauft worden als 'Freiluftausstellung' direkt vor dem Rathaus, ganz provisorisch aufgestellt, das hat ziemlich Furore gemacht damals.
    Georg Elben, Direktor des Skulpturenmuseum Marl.
    Georg Elben, Direktor des Skulpturenmuseum Marl. (picture alliance / Roland Weihrauch)
    Luerweg: Aber egal, wie weit man da vorne ist in puncto Skulpturen: Kann man nicht ohnehin so sagen, Marl und Münster sind genauso wie Kassel, Provinz. Ist so, oder?
    Elben: Das ist richtig. Wir haben uns schon große Mühe gegeben, auch erst mal jetzt zu vermitteln, wo Marl genau liegt. Also, mehr oder weniger in der Mitte, geografisch, zwischen Essen und Münster. Und Marl hat einfach mit der Situation in der Wirtschaft große Probleme gehabt im nördlichen Ruhrgebiet. Und das hat natürlich auch Auswirkungen auf die Kunst gehabt, auf die Situation, mit welchen Mitteln man ein kommunales Museum fördert.
    Von Kirschen- und Melonensäulen
    Luerweg: Jetzt ist es aber so, die Skulptur Projekte, die bei Ihnen ja schon letzten Sonntag begonnen hat, hebt Marl jetzt nochmal ganz anders auf die Landkarte. Und ähnlich wie bei Kassel und Athen gibt es auch bei Marl und Münster Künstler, die an beiden Orten ausstellen, aber unterschiedliche Dinge?
    Elben: Das ist richtig. Also es sind insgesamt sechs Projekte, die unter dem Titel "Skulpturentausch", unter diesem Gedanken teilweise in Marl und in Münster gleichzeitig zu sehen sind. Die Ausstellung "The Hot Wire" fasst die zusammen, und, wenn ich das mal so ein bisschen aufblättern darf: Wir haben also die Fahrradständer-Skulptur von Richard Artschwager nach Marl holen können, die zuletzt in Münster auf dem Schlossplatz zu sehen war, die steht jetzt hinter dem Rathaus. Beton kommt zu Beton, das passt sehr gut. Das ist einfach ein ganz anderes Umfeld, wo dann auch die Skulptur eine andere Wertigkeit oder eine andere Bedeutung bekommt.
    Thomas Schütte hat - und wir wollten gerne die Kirschensäule aus Münster haben - hat aber dann gesagt, das wird nicht heile vonstattengehen, der Sandstein ist sehr empfindlich und hat dann angeboten, ein neues Projekt für Marl zu entwickeln. Eine zweite Säule, nämlich die Melonensäule. Weil schon 1987, als er für Münster die Kirschensäule geplant hat, Melonen mit in der Diskussion gewesen sind, nur eben jetzt nicht mehr aus Sandstein zumal, sondern aus Beton, zehn Prozent vergrößert und mit drei farbenfrohen Melonenschnipseln oben drauf.
    "Wir kommen ein Stück weit auf die Landkarte"
    Luerweg: Das zeigt ja schon ganz schön, finde ich, den Unterschied zwischen Münster und Marl: Das eine ist diese beschauliche kopfsteinbepflasterte Stadt Münster, eine Studentenstadt, und Marl ist eine schicke Betonhochburg. Also da passt sich Thomas Schütte mit seiner Skulptur nicht schlecht an.
    Elben: Ja, das ist richtig. Nur auf der anderen Seite ist die schicke Betonhochburg, die sie mal gewesen ist in den Anfangsjahren...
    Luerweg: ...ist nicht mehr so schick.
    Elben: Die ist heute doch ganz stark ramponiert. Und auch das Selbstwertgefühl ist dann nicht so groß, deswegen ist es toll, dass wir sie da haben und als Gegenpol, als Folie für die Skulpturprojekte in Münster, macht Marl sehr viel Sinn. Kasper König hat das immer in das Bild gefasst, was ich sehr überzeugend finde. Münster hat nach dem Krieg ein Rathaus wieder aufgebaut mit Butzenscheiben.
    Marl hat mehr oder weniger zeitgleich ein Rathaus aus Beton errichtet, mit den Scheiben im großen Ratssaal, eingelassen in Beton in den Farben Rot, Blau und Gelb, den De Stijl-Farben, also es ist ein ganz anderer Hintergrund, ein ganz anderes Wollen, in die Zukunft zu blicken, was Marl in der Nachkriegszeit ausgemacht hat. Und da versuchen wir jetzt anzuknüpfen.
    Luerweg: Herr Elben, Sie sagen gerade, es ist auch wichtig für das Selbstbewusstsein. Wie wichtig ist es tatsächlich, dass dieser Kunstzirkus jetzt durch die Provinz sich bewegt. Also was bleibt da zum Schluss? Bleibt da was hängen für Marl? Mehr als vielleicht die ein oder andere Skulptur?
    Elben: Ich glaube sicher, dass da etwas hängen bleibt, weil wir damit ein Stück weit auf die Landkarte kommen. Es ist wie ein großer Spot, der angedreht worden ist, um Marl mal deutlich zu machen, wo es ist und was es eigentlich hat. Wir haben insgesamt 100 Skulpturen etwa - je nachdem, wie man es zählt - im Außenraum. Also es war schon eine Menge an Fundament da, wo man jetzt auch nur wenig dazu bringt. Temporär ist das Ziel, aber wie viel jetzt bleiben wird, muss man mal sehen.
    Aber alleine dadurch, dass man jetzt über Marl redet, hilft es ungemein und stärkt damit das Selbstbewusstsein, stärkt aber auch in der Stadt die Stellung für Kunst und für das Skulpturenmuseum. Und von daher kann ich da eigentlich nur wirklich positive Aspekte sehen und erwarte mir davon doch einiges. Besucher, die aus Venedig, Kassel nach Münster fahren, manche machen jedenfalls einen Abstecher über Marl. Und das trägt auf jeden Fall dazu bei, dass man über Marl redet und vielleicht damit einen neuen Ort kennengelernt hat.
    Luerweg: Georg Elben, Direktor des Skulturenmuseum Glaskasten in Marl, wo derzeit die Ausstellung "The Hot Wire" stattfindet. Mehr zu Münster und den morgen beginnenden Skulpturprojekten gibt es heute bei den Kollegen von Kultur heute um 17:35 Uhr. Herr Elben, danke für das Gespräch.
    Elben: Herzlichen Dank.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.