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Kunst in Israel
Von der Gefahr der Selbstzensur

Freie Meinungsäußerungen von Künstlern sind von der israelischen Regierung nicht gern gesehen. Kulturelle Einrichtungen, die sich kritisch mit Politik auseinandersetzen, müssen mit der Kürzung staatlicher Subventionen rechnen. Die Solidarität unter den Künstlern ist allerdings groß.

Von Ruth Kinet | 19.02.2017
    Außenansicht des Helga and Paul Amir Building, einem großen Anbau an das bisherige Tel Aviver Kunstmuseum (undatiertes Handout). Mit einer Ausstellung des deutschen Malers und Bildhauers Anselm Kiefer eröffnet das Tel Aviver Kunstmuseum nach jahrelangen aufwändigen Bauarbeiten ein eindrucksvolles neues Gebäude. Das Helga and Paul Amir Building, ein großer Anbau an das bisherige Museum, wird am 2. November 2011 seine Türen für die Besucher öffnen. Der Entwurf des amerikanischen Architekten Preston Scott Cohen orientiert sich an der Bauhaustradition der «Weißen Stadt» Tel Aviv. Foto: Amit Geron
    Das Kunstmuseum in Tel Aviv: Die israelische Ministerin für Kultur und Sport, Miri Regev, droht etablierten kulturellen Einrichtungen immer wieder mit der Kürzung staatlicher Subventionen. (dpa / Amit Geron)
    Es war Ende Juli 2016 als die Präsidentin des renommierten Shenkar College für Technik, Design und Kunst in Tel Aviv, Yuli Tamir, ein Bildelement einer zwölf Meter langen Werkserie abhängen ließ. Das Gemälde zeigte einen Frauenakt, dessen Gesicht manche Ausstellungsbesucher an die Justizministerin Ayelet Shaked erinnerte. Nachdem die Werkserie zuvor alle akademischen Instanzen und Prüfungskommissionen passiert hatte, fiel einem Journalisten die Ähnlichkeit auf. Er stellte eine Anfrage an die Präsidentin des Colleges und den Sprecher des Justizministeriums.
    Mit einem Mal sah die Präsidentin Yuli Tamir die Würde der Frau verletzt und ließ das Bild entfernen. Der Kunst-Professor Larry Abramson war entsetzt. Er war damals Leiter des Fachbereichs Kunst am Shenkar College:
    "Hier prallten unterschiedliche Prinzipien und Werte aufeinander: Sie sah die Würde der Frauen verletzt und berief sich bei der Begründung ihrer Entscheidung, das Bild aus der Ausstellung zu nehmen, auf den Schutz der Frauenrechte. Ich berief mich auf die Wahrung der Meinungsfreiheit, die meiner Ansicht nach von grundsätzlicherer Bedeutung ist. Als die Präsidentin der Hochschule darauf bestand, das Bild zu zensieren, habe ich mein Amt als Leiter des Fachbereichs Freie Kunst an der Hochschule niedergelegt."
    Am Sapir College bei Sderot und an der Jerusalemer Kunstakademie Bezalel gab es ähnliche Fälle, aber die jeweiligen Präsidenten haben dem Druck von außen widerstanden. Zur Sicherheitsüberprüfung einer Studentin, die im ersten Semester an der Jerusalemer Kunstakademie Bezalel studiert, schaltete sich sogar die Polizei ein. Auf Facebook und Twitter war behauptet worden, sie habe mit einem Plakatentwurf zur Ermordung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu aufgerufen.
    Solidarität unter Studierenden
    Sie hatte das berühmte Obama-Poster des Künstlers Shepard Fairey mit dem Schriftzug "Hope" zur Grundlage genommen, das Wort "Hope" durch "Rope", also "Strick" ersetzt, aus Obama Netanjahu gemacht und ihm einen Henkersknoten vors Gesicht montiert. Am Tag nach der Befragung der Studentin durch die Polizei solidarisierten sich die Studenten am Shenkar College in Tel Aviv mit ihr, verschlossen sich ihre Münder mit schwarzen Klebestreifen und blockierten für eine halbe Stunde den Verkehr.
    "Diese Spontan-Demonstration hat mir gezeigt, dass meine Abdankung vom Sommer nicht umsonst war. Die Studenten haben begriffen, dass der Kampf um Meinungsfreiheit mit einem Preis verbunden ist und dass Meinungsfreiheit nichts ist, was uns gehört und was alle Menschen einfach automatisch genießen."
    Davon ist auch die Fernsehjournalistin Ilana Dayan überzeugt, die für ihre investigativen Recherchen bekannt ist. Sie wurde an der Universität Yale in den Vereinigten Staaten mit einer Arbeit über Meinungsfreiheit promoviert. Wie kaum eine andere Journalistin in Israel verkörpert sie Unabhängigkeit. Oft schon wurde sie von Politikern unter Druck gesetzt. Ilana Dayan glaubt dennoch an die Vitalität der israelischen Demokratie:
    "Wenn eine Gesellschaft wirklich demokratisch ist, dann ist sie an den Krach, das Durcheinander und das Chaos gewöhnt, das die Meinungsfreiheit hervorbringt. Ich denke, dass die israelische Gesellschaft tatsächlich an diesen Lärm gewöhnt ist. Die Meinungsfreiheit ist dann in Gefahr, wenn sich die Öffentlichkeit weniger für sie interessiert."
    Diese Form der Wachheit, die das Leben in Israel den Bürgern des Landes permanent abverlangt, kann die künstlerische Arbeit auch befeuern. Davon ist der Kunstprofessor Larry Abramson vom Shenkar-College in Tel Aviv überzeugt:
    "Es gibt Zeiten, in denen die Politik der Kunst den Rücken zuwendet, oder Zeiten, in denen die Politik die Kunst verfolgt. Wir werden auch einen Weg finden, Kunst zu machen unter den Bedingungen der Verfolgung."
    Lesen Sie auch den Beitrag Israels Kulturschaffende - Zur Staatstreue verpflichtet, der sich mit den Folgen der israelischen Kulturpolitik auf die Theater im Land beschäftigt. Diese Theater sind dazu verpflichtet, Vorstellungen in jüdischen Siedlungen zu geben. Wer sich dagegen wehrt, muss mit weniger Subventionen rechnen.