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Kunst ist eine Waffe

Das Zentrum für politische Schönheit in Berlin ist eine Aktionskünstlergruppe, die sich für Menschenrechte einsetzt. Da wird Angela Merkel bei eBay zum Kauf angeboten oder ein Berg Schuhe soll an die Opfer von Srebrenica erinnern.

Von Oliver Kranz | 05.06.2012
    "Wer hat Informationen, die zur Verurteilung dieser Menschen führen?" – das steht auf riesigen Plakaten in der Berliner Innenstadt – darunter die Namen von Eigentümern des Rüstungsunternehmens Krauss-Maffei Wegmann, darüber die versprochene Prämie: 25.000 Euro. Das riecht nach Selbstjustiz. Doch so ist das Plakat nicht gemeint.

    "Wir wollen die nicht lynchen. Im Gegenteil: Gewalt wäre kontraproduktiv. Darum haben wir auch keine Adressen veröffentlicht oder irgendwas. Wir wollen, dass die ins Gefängnis kommen. Da gehören sie hin. Und das wird die Staatsanwaltschaft selbst tun, der wir die Hinweise, die bei uns eingehen, übermitteln werden."

    Die Hinweise, von denen Philipp Ruch vom Zentrum für politische Schönheit spricht, betreffen nicht den Waffenhandel. Der ist nach der gegenwärtigen Gesetzeslage völlig legal. Es geht um Hinweise auf Steuerhinterziehung, Insiderhandel oder illegal beschäftigte Haushaltshilfen. Die Eigentümer des Rüstungskonzerns sollen unter Druck gesetzt werden. Burkhart von Braunbehrens drohte bereits mit rechtlichen Schritten. Er ist mit 25 Millionen Euro an Krauss-Maffei Wegmann beteiligt.

    "Es ist klar, wenn man gute Aktionskunst macht, dann wird es strafrechtlich schnell relevant. Deshalb haben wir ein ganzes Anwaltsteam inzwischen zusammengescharrt, die das Zentrum für politische Schönheit schützt, sodass wir den Kampf umso offensiver führen können."

    Denn Kunst, wie das Zentrum für politische Schönheit sie versteht, ist eine Waffe. Natürlich ist es nicht ungefährlich, sich mit einem millionenschweren Konzern anzulegen – doch in dieser Hinsicht ist Philipp Ruch Überzeugungstäter.

    "Ich glaube, wenn man will, dass ein bestimmter politischer Widerstand existieren soll in der Bundesrepublik, muss man den auch auf sich nehmen. Sehen Sie, die Aktion, wie wir sie heute machen, würden wir die in einem Land wie Saudi Arabien machen, wo die Panzer hin geliefert werden, dann wären wir am nächsten Tag entweder tot, auf jeden Fall hätten wir in den Untergrund gemusst oder wir würden im Gefängnis mehrjährige Haftstrafen absitzen. Das heißt, wir haben ein unglaubliches Privileg in dieser Bundesrepublik: sozusagen die Schönheit des deutschen Rechtsstaats, der uns Künstler schützt, der leider aber auch Panzerhersteller schützt. In dem Sinn muss man das zivilgesellschaftlich künstlerisch ausfechten und schauen, welche Seite gewinnt."

    Und trotzdem würde Philipp Ruch niemandem seine Privatadresse verraten. Es hat bereits Hackerangriffe auf Computer des Zentrums für politische Schönheit gegeben, die vermutlich mit der Aktion zu tun haben. Unter www.25000-euro.de können Straftaten der Eigentümer des Rüstungskonzerns gemeldet werden. Dort findet man auch einen Fahndungsticker, der anzeigt, ob das bereits vorliegende Material für eine Verurteilung ausreicht. Über Wolfgang Bode zum Beispiel, den langjährigen Geschäftsführer von Krauss-Maffei Wegmann, sind bereits so viele Hinweise eingegangen, dass der Fahndungsticker bei 40 Prozent steht.

    Philipp Ruch ist Politikwissenschaftler und arbeitet zurzeit an seiner Doktorarbeit. Das Zentrum für politische Schönheit hat er vor vier Jahren gegründet, weil er von den politischen Parteien enttäuscht war.

    "Das war so, dass ich in einer großen deutschen Volkspartei mich engagieren wollte und relativ schnell nach ein paar Monaten gemerkt habe: Hier ist ja alles organisiert, also vom Briefträger bis zur Generalsekretärin ist alles klar, aber wo ist der Raum, um einfach mal frei zu denken - also nicht das übliche Parteiprogramm-Gesülz, sondern konkrete Ideen, die die Welt besser machen?"

    Die erste Aktion des Zentrums für politische Schönheit war das Anschlagen eines Thesenpapiers am Hauptportal des Berliner Reichstagsgebäudes.

    "Da sind wir mit Pferden hin geritten und haben versucht à la Martin Luther zehn Thesen, zehn Schönheitsthesen sind das, anzuschlagen…"

    Natürlich musste die Gruppe feststellen, dass sich an den modernen Stahl- und Glastüren des Portals keine Papiere annageln lassen. Das Presseecho war trotzdem überwältigend. Die zentrale These wurde überall zitiert: Hoffnungen sind nicht dazu da, aufgegeben zu werden. Im September 2009 richteten Ruch und seine Mitstreiter vor dem Bundeskanzleramt ein "Forum der verlorenen Hoffnungen" ein.

    "Mein politischer Traum ist einfach. Ich träume von einer Welt, in der alle Politiker immer die Wahrheit sagen. Ich träume von einer Welt, in der keiner lügt und nie. Ich will nicht beschützt werden durch Lügen."
    Eine gute Stunde lang wurden Träume und Wünsche für eine bessere Politik vorgetragen, die das Zentrum für politische Schönheit zuvor in Umfragen gesammelt hatte – ein durchaus sinnvolles Projekt. Es war gerade Bundestagswahlkampf und viele Politiker übten sich in Volksnähe. Die Presse berichtete trotzdem kaum. Die Aktion war zu geradlinig geplant, um als originell zu gelten.

    Inzwischen haben Philipp Ruch und seine Mitstreiter dazugelernt. Sie wissen genau, auf welche Signale die Medien reagieren und haben ihre Fahndungsseiten im Internet mit Facebook und Twitter verlinkt. Ob es auf diese Weise gelingt, den Panzerverkauf an Saudi-Arabien zu verhindern, ist fraglich – das Geschäft ist immerhin vom Bundessicherheitsrat genehmigt worden.