Manche Künstler halten Kunst für eine Lizenz, ihren Mitmenschen auf die Nerven zu gehen, sie zu erschrecken und ihnen das Leben schwer zu machen. Die Kunstlizenz kann sich zwar jeder selbst ausstellen, aber wuchtiger wirkt sie, wenn sie von einer großen öffentlichen, staatlich finanzierten Institution wie den Berliner Festspielen signiert ist. Eine solche Kunstlizenz riecht nach amtlich verbriefter Gemeinnützigkeit, also nach etwas ganz Edlem.
Deshalb hatten die Berliner Polizisten wieder mal schlechte Karten, als sie am Samstagnachmittag mit 30 Mann zum Apple-Store am Ku'damm rauschten –obendrein mit Feuerwehr und Spezialkräften vom Katastrophenschutz. "Überreagiert" hätten die Behörden, ließ sich der Berliner-Festspiele-Intendant dazu vernehmen.
Denn was war passiert? Ein "Künstler", erkennbar an seiner beängstigend irren Aufmachung (den Kopf bunt bemalt, daran lange Zöpfe, Kabel und Schläuche geklebt, den Körper in blau-weißes Rennfahrertrikot gehüllt, darüber ein Geschirr aus Lederriemen) war mit ein paar "Mitstreitern" in den Computerladen marschiert und hatte mit dem Ruf: "Dies ist kein Quecksilber!" eine metallisch glänzende flüssige Materie, die genau wie Quecksilber aussah, auf die ausgestellten Geräte, auf Tische und Boden gegossen.
Solche Künstler zu stoppen, ist ein Gebot der Zivilisation
Das war natürlich für die Kunstköpfe der Berliner Festspiele vom hochmögenden Intendanten bis hinab zum kleinsten und gemeinsten Aktionisten, der bei Apple mal eben ein künstlerisches Zeichen gegen Kapitalismus und Ausbeutung setzen will, Kunst in Reinkultur. Für die 500 anwesenden Kunden und Angestellten des kapitalistischen und ausbeuterischen Ladens war es eher Terror.
Wir leben nämlich, was manche Berliner Künstler und Festspielintendanten trotz ihrer monomanisch beschworenen Affinität zur Aktualität vielleicht noch nicht recht mitbekommen haben, in einer Zeit des Terrors, und die fürchterliche Vermutung, dass so ein Apple-Store ein ähnlich gutes Attentats-Ziel sein könnte wie ein Luxus-Café oder eine Music Hall, lässt sich auch an einem sonnigen Samstagnachmittag nicht völlig verdrängen.
Nun war das Zeug, das die Berliner Festspielkünstler da verteilten und verschütteten, harmlos. Weswegen der Schmunzel-Intendant die polizeiliche Aufregung gar nicht verstehen kann. Sollte ihm mal jemand im Tiergarten mit geladener Waffe entgegentreten und nicht schießen, findet er das sicher auch okay, weil: Es ist ja nichts passiert. Dieser grobschlächtige "Is-ja-nix-passiert"-Zynismus bildet allerdings einen hübschen Kontrast zu der famosen künstlerischen Sensibilität, für die sich solche Herrschaften sonst so teuer bezahlen lassen. Sind sie nicht bei jeder anderen Gelegenheit wegen jeden auch nur potenziell denkbaren Ungemachs als Warner auf der Palme? Geben sie sich nicht jeder Atomhysterie hin, wenn irgendwo radioaktive Strahlung droht, die nur halb so stark ist wie die eines Leuchtzifferblatts?
Aber die Leute mit falschem Quecksilber erschrecken, das geht in Ordnung? Nein, die gigantisch dreiste Rücksichtslosigkeit, mit der irgendwelche Erleuchteten auf den Nerven ihres ahnungslosen Publikums herumtrampeln, ist nichts anderes als totalitär. Menschen überwältigen, um die eigenen krausen Ideen auszuleben: das ist schon immer eine Nachtseite des Künstlertums gewesen. Solche Künstler zu stoppen ist dann ein Gebot der Zivilisation.