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Kunstfest Weimar 2016
Zusammenspiel der Genres

Es ist das größte Kulturfestival im Freistaat Thüringen, das Kunstfest Weimar. Bis vor zwei Jahren stand es unter der Ägide von Nike Wagner. Ihr Nachfolger ist Christian Holtzhauer, ein Mann, der vom Sprechtheater kommt und neue spannende Akzente setzt.

Von Claus Fischer | 30.08.2016
    Konfetti regnet am 19.08.2016 während der Eröffnung des Kunstfestes Weimar
    Größtes Kulturfestival Thüringens: das Kunstfest Weimar (picture alliance/dpa/Foto: Candy Welz)
    Musik: Saunders, STILLE für Violine und Orchester
    "Un – Schrägstrich – Ruhe", so war das Eröffnungskonzert des diesjährigen Weimarer Kunstfestes überschrieben. Im Mittelpunkt stand "Still" für Violine und Orchester, ein Werk der englischen Komponistin Rebecca Saunders.
    "Sie spielte ja auch selber Geige, das spürt man," sagt Solistin Carolin Widmann, die "Still" im Jahr 2011 gemeinsam mit der Komponistin einstudiert und anschließend uraufgeführt hat. "Sie weiß ganz genau, was möglich ist auf der Geige, und wenn ich sage: Das ist unmöglich, dann nimmt sie die Geige und zeigt mir, wie es geht."
    Die Wiederaufführung des Werkes in Weimar stellte, wenn man so will, dessen Erweiterung dar. Denn neben der Solistin Carolin Widmann und dem Orchester, der "Jungen Deutschen Philharmonie" unter Leitung von Sylvain Cambreling, agierten auch etwa zehn Tänzerinnen und Tänzer auf der Bühne – angeleitet von Deutschlands derzeit prominentester Choreographin der modernen Tanzszene Sasha Waltz. Diese Visualisierung ist sinnvoll, meint Carolin Widmann.
    "Im ersten Teil ist es wie ein ständiges Gegen-die-Wand-Rennen und nicht Weiterkommen, dann wieder Generalpause, dann noch einmal ein Versuch. Also da ist schon ziemlich viel Bewegung drin, die aber im Nichts endet."
    Ausgedrückt wurde diese Unruhe durch eine Traube männlicher Tänzer, allesamt mit freiem Oberkörper, die sich um Carolin Widmann gruppierten und sich immer wieder vergeblich gegen eine imaginäre Wand auflehnten. Die Solistin selbst ließ sich selbst in dieses Geschehen miteinbeziehen, wirkte an einigen Stellen wie ein Teil der Choreographie - alles erschien dadurch wie aus einem Guß. Christian Holtzhauer, dem künstlerischen Leiter des Weimarer Kunstfestes, war dennoch bewußt, daß er mit dieser Produktion in den Augen mancher Zuschauer "Feuer und Wasser" zusammenbrachte.
    "Naja, die Hardcore-Traditionalisten auf beiden Seiten, sowohl die, die aus der klassischen Musik kommen, wie auch die, die aus dem zeitgenössischen Tanz kommen, sind vielleicht ein bißchen befremdet. Es ist ja nicht nur so, daß die Klassikfans die Konservativen sind und die Tanzfans die Progressiven."
    Die Künste miteinander verbinden
    Die verschiedenen Genres der Gegenwartskunst miteinander zu verbinden – das ist das Credo von Christian Holtzhauer und auch der inhaltliche rote Faden seines Kunstfest-Programms. Vorgängerin Nike Wagner hatte dagegen jede Saison unter ein bestimmtes Motto gestellt, entnommen dem Klavieroeuvre ihres Ur-Urgroßvaters Franz Liszt. Die Gefahr, daß sein Kunstfest ohne thematische Vorgabe ein "Gemischtwarenladen" wird, sieht Christian Holtzhauer dennoch nicht.
    "Es gibt schon deutliche programmatische Schwerpunkte, auch in diesem Jahr. "Kunst und Widerstand", "Kunst und Politik" ist ein sehr wichtiges Thema. Ich mag aber keine Überschriften über die einzelnen Festivalausgaben schreiben, weil wir dann Gefahr laufen, dass alle Zuschauer nur noch auf die Gemeinsamkeiten der Produktionen schauen und die einzelnen Arbeiten nicht mehr für sich selber stehen."
    Keinkunst trifft Sinfonik
    Was deutlich auffällt im Vergleich zur Ära Nike Wagner: Die Musik ist bei Christian Holtzhauer nicht mehr die prägende Kunst im Programm. So gab es in der ersten Hälfte seines Kunstfestes lediglich eine weitere sinfonische Produktion, allerdings von ebenso singulärem Charakter wie das Eröffnungskonzert. In deren Mittelpunkt stand Anna Maria Scholz aus Dresden, bekannt unter dem Pseudonym "Annamateur". Als Sängerin, Schauspielerin und Kabarettistin wurde sie bereits mit mehreren Kleinkunstpreisen geehrt. Auf jeden Fall verkörpert sie Christian Holtzhauers Ansatz der Verbindung mehrerer Künste quasi in einer Person.
    "Ich betrachte mich als einfach "musisch" und nehme dann einfach alles an Mitteln, um mich auszudrücken, um die Themen oder Geschichten zu erzählen, die mir vorschweben."
    Annamateur trat beim Kunstfest Weimar erstmals mit einem großen Sinfonieorchester auf, der aus engagierten Laien und semiprofessionellen Musikern bestehenden "StüBa-Philharmonie", benannt nach dem Ort ihrer Gründung, dem Dorf Stützerbach im Thüringer Wald. Das Repertoire des Abends: Songs von Rio Reiser, dem einstigen Frontmann der Band "Ton-Steine-Scherben".
    "Ich bin experimentierfreudig. Und das hat mich interessiert: die Mischung von dem "linken Kram", den man dazu im Kopf hat – und das eben mit Orchester! Und jetzt hab ich aber gemerkt, daß da ganz viel Poesie drinsteckt."
    Musik: Annamateur und Stüba-Philharmonie
    Die Bearbeitung der Rio-Reiser-Songs für Sängerin und Sinfonieorchester besorgten Renard A. Aust und der künstlerische Leiter der StüBa-Philharmonie Jan Maihorn. Als Annamateur und das Orchester dann zur Probenphase zusammenkamen, wurde aber nicht strikt nach Notentext agiert.
    "Man mußte Stimmen rausnehmen und mal gucken, ob man irgendwas umwerfen kann, und deswegen war es auch ein sehr intensiver Prozess."
    Dessen Ergebnis begeisterte am Ende nicht nur die Musiker, sondern auch das Weimarer Publikum, das sich zu Beifallsstürmen hinreißen ließ. Annamateur machte aus den Rio-Reiser-Songs Melodramen von großer Intensität, zog alle verfügbaren Register einer Kleinkunst-Diva, von revolutionärem Pathos über sinnierender Traurigkeit bis hin zu bizarrer Komik.
    Musik: Annamateur und Stüba-Philharmonie
    Unterhaltungskunst trifft Sinfonik – auch diese Kombination funktionierte und zeigte, dass Christian Holtzhauers Festivalkonzept in jedem Fall zukunftsträchtig ist.
    Ausblick mit gemischten Gefühlen
    Auf dem Gebiet der Musik wird es in dieser Saison allerdings nur noch zwei Programmpunkte geben. Der Performancekünstler Daniel Wilde verbindet in einer Installation Musik von John Cage mit Statements von Menschen, die nach Deutschland geflüchtet sind. Und zum Finale am kommenden Sonntag wird das Publikum eingeladen, auf dem Weimarer Theaterplatz Tango zu tanzen. Daß die Musik in diesem Jahr im Programm nicht prägend war, ist schade. Das kann sich aber, so betont Christian Holtzhauer, in den nächsten Jahren ändern – vorausgesetzt, der Etat macht das möglich. Die Finanzierung des Weimarer Kunstfestes übernimmt zum größeren Teil der Freistaat Thüringen mit 650 000 Euro pro Saison. Dazu kommen Mittel der Stadt Weimar in Höhe von 250 000 Euro.
    "Hier ist es tatsächlich so, daß wir im Moment noch nicht wissen, ob die Stadt Weimar ihren finanziellen Anteil über 2018 hinaus aufbringen kann. Ich glaube, sie wäre gut beraten, ihn aufzubringen. Weil die Stadt Weimar leistet den vergleichsweise geringsten Anteil des Gesamtbudgets am Kunstfest, profitiert aber am meisten davon."
    So hat Christian Holtzhauer momentan nur für die nächsten zwei Jahre Planungssicherheit.
    Keine gute Perspektive für das größte Kulturfestival im Bundesland Thüringen.