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Kunsthaus Zürich
Geschlechtsteile und bösartige Sexpuppen

"Untitled Horrors" heißt die Ausstellung mit Arbeiten von Cindy Sherman, die derzeit im Kunsthaus Zürich zu sehen ist. Manche Bilder gehen an die Ekelgrenze – wobei man nicht genau weiß, ob die Vanitas-Stillleben mit den vermodernden Speisen uns nicht doch mehr treffen als die irgendwie auch skurrilen Sex-Prothesen. Aber die Schau ist gut inszeniert, das Grauen abgedämpft, findet Christan Gampert.

Von Christian Gampert | 08.06.2014
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    Eine Besucherin der Ausstellung "Untitled Horrors" schaut sich die Fotografie "Untitled 544" von der amerikanischen Künstlerin Cindy Sherman im Kunsthaus Zürich an. ( picture alliance / dpa / Walter Bieri)
    Wenn man hereinkommt, glaubt man der Seligsprechung der Cindy Sherman beizuwohnen. Wie ein Flügel-Altar, wie ein Triptychon sind gleich an der ersten frontalen Wand ihre Selbstporträts gruppiert, seitlich neckisch erweitert um ein viertes Bild - heute wird eine Form oder ein Topos durch die Variation erst richtig schön.
    Die große Selbstinszenatorin Cindy Sherman
    Cindy Sherman hat an der Hängung selbst mitgearbeitet, kurz vor der Pressekonferenz entschwand sie, die very important person, gen Amerika, Termine, Termine. Das alles ist strategisch höchst geschickt gesetzt; Kunsthaus-Direktor Christoph Becker moserte ein bisschen gegen das Museum of Modern Art und dessen chronologische Sherman-Hängung, bei der auch manches gefehlt habe, vor allem das moralisch Anstößige. Hier nun, in Zürich, habe man etwas ganz anderes versucht, eine wilde Gleichzeitigkeit aller Werkphasen sozusagen, natürlich mit dem Segen und den Handreichungen der großen Selbstinszenatorin Cindy Sherman herself.
    "Die Idee dieser europäischen Ausstellungs-Tournee, die hat sie von Anfang an unterstützt. Also das Werk eben nicht chronologisch auszubreiten. Das war auch ein Experiment, ob das geht, ob die Werke eben auch sich gegenseitig aushalten. Aus 40 Jahren. Das war nicht von vornherein selbstverständlich, dass das gehen würde."
    Sherman als Nutte, Leiche und Frau Muttergottes
    Aber ja, es geht. Das liegt zum einen daran, dass Shermans Verkleidungen und Rollenspiele aus dem historischen Abstand manchmal wirken wie profane Heiligenbilder, Covergirls der Subkultur, Ikonen eines frühen, verzweifelten, grotesken Feminismus. Cindy Sherman ist alles gewesen, Nutte und Leiche, Muttergottes und Rubens-Frau, Meisje und zugespachtelte Upper-Class-Maske, Dame mit dem Fächer und Obdachlose, Blondie und Girlie und Kriminelle und Clownin. Vor allem aber ist sie eine Priesterin ihrer selbst, die sich alles einverleibt. Und das Verrückte ist, dass die relativ kleinen Schwarz-Weiß-Bilder ihrer Frühphase, die "Untitled Film Stills", in denen sie die Posen von Filmschauspielerinnen nachstellt, neben den bunten und großformatigen neueren Arbeiten durchaus bestehen können. Alles wird zu allem in Bezug gesetzt, manchmal ergeben sich motivische Gruppen, aber man läuft durch die Räume wie durch eine große, sakrale Installation, die die verschiedenen Werk-Phasen der Protagonistin durcheinander collagiert und sagt: Das bin ich - und das bin ich überhaupt nicht.
    Obszöne Verrenkungen der Sexpuppen
    Denn natürlich zeigt Cindy Sherman etwas von sich – und macht sich zugleich unsichtbar hinter den Verkleidungen. Sie ist das Model, aber sie führt auch die Regie: Sie hat die Kontrolle. Von den frühen Bildern mit den Doris-Day-Posen bis zu den späten, grotesken, obszönen Verrenkungen ihrer Sex-Puppen ist es ein weiter Weg: Er führt von der oberflächlichen, kritisch gesehenen Anpassung des amerikanischen Weibchens hin zu den sexuellen Nachtseiten der Gesellschaft.
    Rein formal hat sich Cindy Sherman dabei von der scheinbaren Betulichkeit ihrer Schwarz-Weiß-Arbeiten zu digital erzeugten pompösen Bildern voran bewegt, zu obszönen Arrangements von skulptural aufgefassten, hässlichen Geschlechtsteilen und bösartigen Sexpuppen, Hans-Bellmer-hafte surreale Torsi, die den Warencharakter der Sexualität, so hätte man früher gesagt, bloß legen. Und nicht nur den.
    Skurrile Sex-Prothesen
    In Zürich hat man - trotz der demonstrativen Abgrenzung von den USA - ganz viel Angst, dass das Anstoß erregen könnte oder dass keiner kommt. Zugegeben: Manche Bilder gehen an die Ekelgrenze - wobei man nicht genau weiß, ob die Vanitas-Stillleben mit den vermodernden Speisen uns nicht doch mehr treffen als die irgendwie auch skurrilen Sex-Prothesen. Aber die Schau ist gut inszeniert, das Grauen abgedämpft. Das Vergängliche und das Abseitige und die Welt als Rollenspiel: Cindy Shermans stärkste Arbeiten sind immer noch die, in denen sie Kunstgeschichte re-inszeniert (und nicht nur Modemagazine persifliert). Also im Zweifelsfall lieber die Maria Lactans mit der großen Brust-Attrappe als die harmlosen Gesellschaftshasen. Die Muttergottes Cindy darf dann auch heilig sein, mitten in Zürich. Das wollte sie wahrscheinlich schon immer.