Samstag, 20. April 2024

Archiv

Kunsthistorisches Museum Wien
Velàzquez' Königsdisziplin

Ruhm und Ehre erreichte Diego Velázquez schon zu Lebzeiten als Porträtmaler am spanischen Hof, wo er 37 Jahre seines Lebens verbrachte und das Herrschaftsporträt revolutionierte. Eben jene Schaffensphase stellt auch die aktuelle Velàzquez-Retrospektive im Kunsthistorischen Museum in Wien in den Vordergrund. Genauestens berechnete Farbverläufe, deren Motive sich erst nach einem Schritt zurück offenbaren.

Von Carsten Probst | 28.10.2014
    Velàzquez-Porträts im Kunsthistorischen Museum in Wien. Aufgenommen am 28.10.2014
    Velàzquez-Porträts im Kunsthistorischen Museum in Wien. (picture alliance / dpa / Herbert Neubauer)
    Ähnlich wie bei seinem Vorbild Tizian gewinnt auch Diego Velázquez' Malerei erst durch das Betrachten aus unmittelbarer Nähe ihre überwältigende Brillanz. Gute Reproduktionen oder Aufnahmen vermitteln zwar einen Eindruck von der psychologischen Durchdringung seiner Figuren und seiner geradezu naturalistischen Auswahl von Farben. Vor den Leinwänden aber erschließt sich erst die ganze technische Leichtigkeit, mit der Velázquez vorging und die auch heute noch, zurückhaltend ausgedrückt, erstaunt – nein, sagen wir es, wie es ist: betört, berührt, innerlich aufwühlt.
    Zum Beispiel eines jener frühen kleinen Porträts, das aus Boston für diese Ausstellung entliehen wurde. Der damals 23-jährige Velázquez, aus seiner Heimatstadt, der Handelsmetropole Sevilla kommend, bewarb sich mit diesem Bild am spanischen Hof um die Dienste des jugendlichen Königs Philipp des IV. Das Bild zeigt den damals bekannten Dichter und Gelehrten Don Luis de Góngora, und es gelingt Velázquez, mit überaus leichtem Pinselstrich dem markanten Gesicht de Góngoras geradezu beiläufig so viele verschiedene Charaktereigenschaften einzuschreiben, dass ein höchst gegenwärtiges Porträt entsteht.
    Zugleich aber bleibt der Farbauftrag stets erkennbar. Je näher man tritt, desto mehr erscheint das Bild als feine Überlagerung dünnster Farbschichten und Farbwolken, erst im Zurücktreten setzt sich die optische Einheit zusammen. Das unterscheidet Velázquez von früheren großen Porträtmeistern wie Hans Holbein dem Jüngeren oder Bronzino, die betont zeichnerisch, mit Umrisslinien vorgingen. Bei Velázquez hingegen gibt es nur genauestens berechnete Farbverläufe. Sie sind seine künstlerische Handschrift, an ihnen macht sich auch die Zuschreibung der Originale aus, die der Künstler in der Regel nicht selbst signierte. Nicht immer war es leicht, Werke seiner Werkstatt eindeutig von seinen eigenen zu trennen.
    Ruhm und Ehre erreichte Velázquez schon zu Lebzeiten als Porträtmaler – davon zeugen die zahlreichen Werke, die die Königsfamilie und hohe Angehörige des Hofstaates zeigen. Das Kunsthistorische Museum in Wien verfügt selbst über sechs Porträts der teils noch kindlichen Thronfolger, und so liegt ein Hauptaspekt natürlicherweise auf den 37 Jahren, in denen Velázquez am spanischen Hof tätig war und das Herrschaftsporträt revolutionierte.
    Auch das unbekanntere Frühwerk wird ausgestellt
    Aber Sylvia Ferino, die scheidende Leiterin der Gemäldegalerie, wollte bei dieser ersten Velázquez-Schau im deutschsprachigen Raum nicht nur den einschlägig bekannten, dynastischen Teil seines Werkes zeigen, sondern gerade auch das unbekanntere Frühwerk, das bis 1622 noch in der Heimatstadt des Künstlers Sevilla entstanden ist. Eine Version des "Wasserverkäufers von Sevilla" zählt dazu, vielleicht das berühmteste Motiv aus dieser Zeit, ein sogenanntes Bodegón, bei dem arme Leute und niedere Stände durch eine exzellente Maltechnik nobilitiert und symbolisch auf eine Ebene mit Vertretern höherer Stände gehoben werden. Velázquez erwies sich schon früh als Meister in dieser Kunst. Natürlich sind einige unangefochtene Superstars unter seinen Gemälden hier nicht zu sehen, weil sie nicht mehr verliehen werden – allen voran das Bild "Las Meninas" aus dem Prado - der aber ansonsten diese Ausstellung reichlich mit grandiosen Leihgaben bestückt hat. Auch das revolutionäre Papstporträt von Innozenz X. fehlt hier, mit dem Velázquez seinerzeit bei seinem zweiten Italienaufenthalt in Wettstreit gegen Tizian getreten ist und das vermutlich vor allem durch die "schreienden Päpste" Francis Bacons populär wurde. Einige der tollen Hofnarren-Porträts, die Picasso so begeistert haben sollen, sind nicht zu sehen, und auch die "Übergabe von Breda", das als bahnbrechend für die Kriegsdarstellung bis ins 19. Jahrhundert galt, ist im Prado geblieben.
    Darauf kommt es hier aber gar nicht an, auch so kann man sich an dieser Ausstellung kaum satt sehen. Signifikant für Velázquez' indirekten Wettstreit mit dem bewunderten Tizian ist die "Venus mit Spiegel" (oder Rokeby-Venus) aus dem Spätwerk, geliehen aus der National Gallery in London. Kuratorin Sylvia Ferino wollte es ursprünglich mit einigen ähnlichen Rückenakten Tizians aus der eigenen Sammlung des Kunsthistorischen Museums zusammenhängen. Aber Velázquez, der Meister des realistischen Understatements habe dabei der überbordenden Sinnlichkeit in den Gemälden Tizians nicht standgehalten. Der Besucher kann sich davon direkt überzeugen, indem er von der Velázquez-Ausstellung nach nebenan in den Tizian-Saal geht und die Stile vergleicht. Von beiden ist man überwältigt, doch Velázquez' überlegenes Spiel mit der Inszenierung und der vergleichsweise kühlen Temperierung der Farben erscheint gegenwärtiger, als wäre der Betrachter selbst Zeuge der Szene. Schon das macht diese Ausstellung zu einer unvergleichlichen Erfahrung.