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Kunsthochschule Burg Giebichenstein
Künstler als Problemlöser

Die Kunsthochschule Burg Giebichenstein ist ein wahres Aushängeschild für Sachsen-Anhalt. Seit 100 Jahren gibt es sie nun schon und steht für ein hochwertiges Design, das bis heute nicht aus dem Alltag wegzudenken ist. Wie muss aber die Zukunft der Kunsthochschule aussehen, damit sie auch noch weitere 100 Jahre Bedeutung hat?

Von Christoph Richter | 27.11.2015
    Eine Studentin der Kunsthochschule Burg Giebichenstein in Halle macht Farbstudien. Im Jahr 2015 feiert die renommierte Kunsthochschule ihr 100-jähriges Bestehen.
    Pinsel in der Hand einer Kunststudentin (picture alliance / dpa / Hendrik Schmidt)
    "Es geht um Licht. Das wird eine Holzbank", die an einer dunklen Straßenecke aufgestellt werden soll, erzählt der 24jährige Ruben Strahl. Designstudent im 3. Semester "wir bringen da ein bisschen Licht rein, indem die Bank von sich aus leuchtet mit phosphoreszierenden Pigmenten."
    Was in der Holzwerkstatt der Burg Giebichenstein entsteht sind leuchtende Stadtmöbel für den öffentlichen Raum, die ohne eigene Stromquelle auskommen. Nützlich in Zeiten knapper werdender Energie-Ressourcen, gut für das nächtliche Sicherheitsgefühl.
    Eine Arbeit, die geradezu exemplarisch für die Hallenser Kunsthochschule Burg Giebichenstein steht. Denn hier studieren keine introvertierten Künstlerfiguren, die sich nur der Schönheit der Dinge hingeben. Statt l'art pour l'art sollen sich die Studierenden mit gesellschaftspolitischen Fragen auseinandersetzen, unterstreicht Rektor Dieter Hofmann.
    "Man kann nicht so eine grundsätzliche Richtung vorgeben. In der Kunst sehe ich das genauso, dass es eben auch in der Kunst nicht mehr vordergründig um die Form geht, sondern welche Fragestellung habe ich eigentlich an die Gesellschaft. Und damit beschäftigt sich meine künstlerische Arbeit."
    Kunst, Design oder Textilgestaltung muss sich künftig mehr der Wirklichkeit zuwenden, sich mehr an ihr reiben, als bisher. Industriedesigner Dieter Hofmann möchte sich abgrenzen. Die Zeiten romantisch verklärten Kunsthochschulen seien vorbei, sagt er. Und ergänzt, dass Kunst-Akademien, als Großkünstler wie Jörg Immendorf oder Markus Lüpertz ganze Generationen von Kunststudenten geprägt haben, nicht mehr zeitgemäß sind.
    Kunsthochschulen als Ideenlabore
    Stattdessen müssten sich seines Erachtens Kunsthochschulen im 21. Jahrhundert - auch weil Kunst heutzutage ein Hybrid aus politischen und sozialen Fragestellungen ist - radikal in Ideenlabore wandeln. Weshalb an Kunstakademien künftig gar keine Künstler mehr, sondern Problemlöser ausgebildet werden, so Rektor Hofmann weiter. Einer der Gründe, warum er das Curriculum der Studiengänge an der Burg Giebichenstein Stück für Stück umgebaut hat beziehungsweise umbaut.
    "Wir geben jetzt kein Thema vor, mach mal ein Bügeleisen oder ein Auto. Sondern wir geben Themen vor, beschäftige dich mit Mobilität oder beschäftige dich mit Bekleidung, wie sieht denn die Bekleidung in Zukunft aus. Das meine ich, das man den Studenten die Freiheit des Experimentierens lässt."
    Weshalb man in der Burg Giebichenstein höchst selten im Hörsaal sitzt, stattdessen meist in Arbeitsgruppen zusammenhockt. Design-Student Ruben Strahl genießt es.
    "Auch wenn die Abgabetermine dadurch sehr stark zusammen rutschen, hat man aber dann doch die Freiheit sich auszuleben. In welche Richtung man immer auch gehen möchte. Auch weil man mit den Produkten Gesellschaftskritik ausüben kann."
    Um Kunsthochschulen, wie der 100 Jahre alten Dame Burg Giebichenstein, das Überleben für die nächsten Dekaden zu sichern - unterstreicht Rektor Hofmann - müssen Interdisziplinarität zwischen Künstlern und Juristen, Politologen, Technikern oder Naturwissenschaftlern noch viel selbstverständlicher sein, als bisher. Es dürfe da keine Tabus geben, ergänzt er noch. Wichtig sei jedoch, "dass die Interdisziplinarität immer am Thema orientiert ist, nicht einfach Selbstzweck ist. Und dass sie immer auch Sinn macht."
    Künstlerische Praktiken als Lebensmodell
    Kunsthochschulen und klassische Universitäten müssten viel mehr als bisher - auch räumlich - zusammenrücken, meint der 64jährige Bitterfelder Kunstpädagoge und Kunsthistoriker Eugen Blume. Leiter der Nationalgalerie im Hamburger Bahnhof in Berlin.
    "An den Akademien muss eine Art universelle Bildung entstehen, in der die Kunst modellhaften Charakter spielt. Das Ausüben von künstlerischen Praktiken als Lebensmodell und als eine Möglichkeit, demokratische und freie Persönlichkeiten auszubilden."
    Alles nichts Neues könnte man ketzerisch sagen. In Zeiten von Bachelor- und Master-Abschlüssen klingt dass eher nach einer Wiederauflage einer breiten Wissensvermittlung. Und es ist der Ruf nach einem ganzheitlichen Humboldtschen Bildungsideal, welches nun im 21. Jahrhundert an den Kunsthochschulen anscheinend wieder reaktiviert werden soll.