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Kunstobjekt Schokopudding

Sie malt Stillleben von Pudding, Trauben und Birnen. Die Düsseldorfer Künstlerin Karin Kneffel versucht in ihren scheinbar realitätsgetreuen BIldern "Zweifel an der Wirkklichkeit" zu wecken. Eine Ausstellung in der Tübinger Kunsthalle versammelt vor allem ihre späteren Werke.

Von Christian Gampert | 02.05.2010
    Kann man einen Schokoladenpudding malen? Soll man einen Schokoladenpudding malen? Internetpräsenz Karin Kneffel hat auf die Frage nach der Bildwürdigkeit trivialer Objekte eine simple Antwort: man müsse sie eben so wahrnehmen wie ein Marsmensch, der noch nie einen Schokoladenpudding gesehen hat.

    So wie ihr Lehrer Gerhard Richter in seiner Frühphase Starfighter malte und Sigmar Polke Badewannen, so malt Karin Kneffel Nudeln, aufgeschlagene Eier, Steaks und Sofa-Polster. Mag sein, dass frühe Erinnerungen dabei eine Rolle spielen, wesentlich aber ist "die Verrückung der alltäglichen Wahrnehmung" im Prozess des Malens.

    So strahlt dann der muschelförmige Pudding wie eine Monstranz – und das ärgert die, die solchen Glanz für kulturell Hochwertiges reserviert wissen wollen, und es zieht jene an, die sich für den Vorgang des Sehens selbst interessieren. Was sehen wir, wenn wir sehen? Letztlich ist das alles überlagert von Vor-Bildern, von unserem Perzeptions-Apparat, von Kunstgeschichte. Karin Kneffel, die vor ihrer Künstlerkarriere Philosophie studiert hat, will sich die Dinge fremd machen: sie malt, zum Beispiel, Portraits nicht von Menschen, sondern von Tieren – weil es da keine Tradition gibt, und weil sie Angst vor dem Animalischen hat. Tiere schauen dich an: eine ganze hohe Wand der Tübingener Kunsthalle hat sie mit Tier-Portraits vollgehängt, und wenn das erste Befremden sich gelegt hat, dann merkt man, dass diese Schafs- und Schweinsköpfe ikonographisch nicht weniger Berechtigung haben als mittelalterliche Herrscherportraits oder inszenierte Politikerfotos.

    Einerseits schließt Karin Kneffel an kunsthistorische Topoi an: sie malt großformatige Feuer- und Wolkenbilder, mal gestisch, mal flächig. Sie zitiert Cézannes Apfel und legt ironisch ein Ei daneben und überrascht dann mit einem fast wollüstig lebensfrohen Diptychon praller Trauben, ein in seiner buntschimmernden Künstlichkeit fast obszönes Werk. Der wesentliche Teil der Ausstellung aber beschäftigt sich mit dem Motiv der Spiegelung und Verschiebung: vor allem in den jüngeren Werken bricht Karin Kneffel die Räume auf, auf dem Boden erscheint die Decke des Zimmers, im Hausinnern sind schon Vorgarten und Wald enthalten, Parkett und Bodenfliesen wirken wie Wasser, auf dem man wandeln, in dem man aber auch versinken könnte. Ein Alptraum, einerseits. Aber so sachlich gemalt, dass man sich immer auf Erkundungs-Tour fühlt und nicht im Rausch.
    Besonders der Zyklus "Haus am Stadtrand", gemalt für das Haus Esters in Krefeld, thematisiert dann den Gegensatz zwischen Innen und Außen – und seine Aufhebung. Sind wir schon drinnen? Sind wir noch draußen? Was geht im Haus vor? In einem ausgeklügelten Spiel blickt Karin Kneffel in die Räume der Mies-van-der-Rohe-Villa, tauscht die Möblierung aus, lässt Pflanzen wuchern und zieht Vorhänge zu.

    Das setzt sich fort in Kneffels Kalkül mit dem Ornament. Manche Bilder wirken wie Matisse-Zitate; aber die erweisen sich dann als soziale Muster – wenn sich über einem Teppich ein Staatsempfang spiegelt. Oder man in einen dunklen Hinterhof mit einzelnen erleuchteten Fenstern schaut, die sich formal in einem Vorhang-Stoff wiederfinden.

    Das ist vor allem atmosphärisch toll gemacht – ebenso wie eines der jüngsten Bilder, ein Triptychon, das Wassertropfen auf einer Scheibe fokussiert und das dahinterliegende bürgerliche Wohnzimmer wohltuend verschwimmen lässt...Manche Bilder kann man einfach schön finden, andere sind schwer zugänglich. Die Spannweite reicht von filmisch-tänzerischen Sequenzen watender Personen bis zum Sich-Verlieren in Gitterstäben und Sesselmustern. Hier möbliert jemand seine eigene Kunstwelt: das Gelsenkirchener Barock, in dem die Künstlerin Karin Kneffel aufwuchs, ist – in einem programmatischen Bild - jedenfalls entschlossen durchgestrichen.