Freitag, 19. April 2024

Archiv

Kunstraub
Jagd auf Kunstschätze in Prag

Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs räumten Diebe in Tschechien viele Hunderte Kirchen aus. Noch heute suchen die Behörden gezielt nach Diebesgut. Der Schaden lässt sich kaum beziffern. Nach und nach kommt das Jahrhunderte alte Kulturerbe zurück – zumindest das, was Prager Polizei-Experten wiederfinden.

Von Kilian Kirchgeßner | 29.09.2014
    Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
    In der zweiten Hälfte der Neunzigerjahre, sagt die Polizei-Statistik, war es mit den Kunstdiebstählen am schlimmsten: Beinahe täglich wurde irgendwo im Land eine Kirche ausgeräumt - und die Polizei war weitgehend machtlos. (picture alliance / dpa)
    Es ist eines der bestgesicherten Büros in Prag: Ins Polizeipräsidium der Stadt kommen Besucher nur nach einer Sicherheitsprüfung, jede Etage ist mit einer eigenen Gittertüre versperrt und die Gesprächspartner begleiten ihre Besucher auf Schritt und Tritt. Von hier aus, im sechsten Stock des kantigen Gebäudes, machen Petr Kral und Petr Konopisky Jagd auf Kunstschätze: Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs räumten Diebe in Tschechien viele Hunderte Kirchen aus und verkauften Statuen, Gemälde und Altarbilder an Sammler. Petr Kral:
    "Das Risiko war minimal. Erstens sind die Kirchen schlecht gesichert und zweitens stehen sie meistens nicht irgendwo am Dorfplatz, sondern abgelegen, am Friedhof etwa. Wenn sich der Pfarrer dann noch um zehn Kirchen gekümmert hat und es dort keine regelmäßigen Messen gab, ist er oft erst nach Monaten drauf gekommen, dass da eingebrochen worden ist."
    Fast täglich wurde eine Kirche ausgeraubt
    In der zweiten Hälfte der Neunzigerjahre, sagt die Polizei-Statistik, war es mit den Kunstdiebstählen am schlimmsten: Beinahe täglich wurde irgendwo im Land eine Kirche ausgeräumt - und die Polizei war weitgehend machtlos. Mehr als zehntausend Kirchen, Klöster, Kapellen, Bildstöcke und Friedhöfe sind so geplündert worden; in manchen von ihnen ließen die Einbrecher nicht einmal mehr die Holzbänke stehen. Petr Konopisky:
    "Natürlich gab es die Leute, die einfach in die nächstgelegene Kirche einsteigen, eine kleine Gipsfigur klauen und glauben, sie bekommen dafür in Österreich Millionen. Diese Blödmänner haben nicht so viel Schaden angerichtet. Wir konnten aber auch einige professionelle Diebstahls-Ketten rekonstruieren: Am Anfang steht ein Händler, der einem Dieb einen konkreten Auftrag gibt, welches Objekt aus welcher Kirche ihn interessiert. Der klaut es und gibt es dem tschechischen Händler, der oft schon konkrete Absprachen mit einem weiteren Händler in Deutschland oder Österreich hatte. Der Fokus lag auf der Barockzeit oder noch älteren Objekten - alles aus dem 19 Jahrhundert war dann nicht mehr so gefragt."
    Jetzt tauchen gestohlene Kunstwerke wieder auf
    Sichern ließen sich die Kirchen kaum: Die Gemeinden hatten meist schlicht kein Geld; und selbst wenn alle Fenster vergittert worden wären, hätten die Diebe über das Dach einsteigen können. In vielen Fällen hatten die morschen Holztüren aber nicht einmal ein Schloss. Knapp 11.000 solcher Diebstähle wurden zwischen 1990 und 2013 registriert. Schnell waren so viele Kunstwerke auf dem Markt, dass die Preise stagnierten: Zwei- bis dreitausend Euro kostet eine Statue, die einige hundert Jahre alt ist - je älter und größer, desto teurer. Die Polizei hat meist erst dann eine Chance, wenn das Diebesgut bei Antiquitätenhändlern oder Auktionshäusern angeboten wird.
    "Jetzt tauchen auf den Weltmärkten viele Objekte auf, die zu Beginn der Neunzigerjahre in Böhmen und Mähren gestohlen worden sind. Ihre Halter gehen davon aus, dass es lange genug zurückliegt und sie die Sachen straffrei ausstellen und weiterverkaufen können."
    Meistens stimmt das - die Verjährungsfristen sind recht kurz. Die tschechischen Behörden suchen bei Auktionen und Händlern systematisch nach Diebesgut. Wie genau das funktioniert, verraten Kral und Konopisky nicht - nur so viel: Experten aus dem Kulturministerium seien regelmäßig in Auktionshäusern und bei Antiquaren unterwegs - inkognito, wie Petr Kral schmunzelnd meint:
    "Die kommen natürlich nicht mit dem Ausweis des Kulturministeriums und sagen, guten Tag, wir kommen um zu schauen, was Sie hier an geklauten Sachen haben. Die gehen da als normale Bürger hin, die Interesse am Einkauf haben, schauen durch, fotografieren vielleicht noch ein paar Sachen. Dabei führen sie ein Gespräch mit dem Händler und erfahren dabei interessante Dinge."
    Irreversible Schäden leider keine Seltenheit
    Die eigentliche Arbeit ist dann der Abgleich mit der riesigen Diebstahlsdatei. Kral und Konopisky sitzen am Rechner und zeigen die Datenbank: Kleine Engelsfiguren, aber auch ganze Altarflügel und Skulpturengruppen sind darin gelistet, jedes einzelne Meisterwerk mehrere hundert Jahre alt. Wenn ein Kunstwerk identifiziert ist, verhandeln die Prager Polizisten mit ihren Kollegen im Ausland, damit die die Kunstwerke beschlagnahmen. In Tschechien kommen die Werke meistens wieder zurück in die Kirchen, aus denen sie entwendet worden sind - und werden inzwischen besser geschützt als noch vor einigen Jahren. Bisweilen seien die Schäden aber auch irreversibel.
    "Wenn die Kunstwerke von Sammlern oder Händlern bestellt sind, geben die Diebe Acht. Aber wir haben auch Schweinereien erlebt, bei denen die Statue, die an der Wand festgeschraubt war, einfach mit bloßer Gewalt abgerissen worden ist, sodass der halbe Arm hängenbleibt oder ein Teil des Rückens - nur damit die Diebe sie so schnell wie möglich aus der Kirche kriegen."
    Der Schaden, der in den wilden 90er Jahren entstanden ist, lässt sich kaum Beziffern. Jetzt kommt das Jahrhunderte alte Kulturerbe wieder zurück - zumindest das, was die Prager Experten wiederfinden.