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Kunstraub
Wie raffiniert die DDR Privatsammlungen plünderte

Etwa zehn Millionen D-Mark spülte der Kunstraub jährlich in die klammen Kassen der DDR. Dabei plünderte die Stasi nicht nur Museen, sondern auch Privatsammlungen. Doch nun ist Bewegung in die Aufarbeitung des systematischen Kunstraubs in der DDR gekommen - dabei geht es auch um die rund 200 Beraubten und ihre Erben.

Von Vanja Budde | 05.05.2015
    Goldene Bilderrahmen hängen an einer Wand.
    Viele der von der Stasi kassierten Kunstwerke sind bis heute verschollen. (picture alliance / Daniel Kalker )
    Schon in den 1960er-Jahren litt die DDR unter chronischer Devisenknappheit. Kunstwerke und Antiquitäten erzielten im Westen gute Preise, also plünderte die Stasi nicht nur Museen, sondern spionierte auch wertvolle Sammlungen in Privatbesitz aus und kassierte die Werke ein, um sie zu verhökern. Der Kunstraub von Staats wegen spülte jährlich etwa zehn Millionen D-Mark in die klammen Kassen, schätzt der Berliner Rechtsanwalt Ulf Bischof:
    "Es gab schon in den 70er-Jahren eine eigene Abteilung innerhalb des Ministeriums für Staatssicherheit, die sich um diese Sammler, um Kulturgut, kümmerte, und auch inoffizielle Mitarbeiter an den richtigen Stellen platzierte, um herauszufinden, wo es solche Objekte gab, und die dann auch im Zusammenwirken mit den Steuerbehörden, man sprach sich dann ab, die Kunstsammlungen übernahm und exportierte. Da gab es eine eigene Abteilung innerhalb der Stasi, die das machte."
    Sammler landeten im Gefängnis oder in der Psychiatrie
    Die Steuerbehörden waren wichtig für den auch nach damaligen DDR-Gesetzen illegalen Kunstentzug, erklärt Ulf Bischof. Der Anwalt hat über den Kunstraub in der DDR nicht nur ein 500 Seiten dickes Buch geschrieben, er vertritt auch einige der Erben der schätzungsweise 200 Beraubten:
    "Man hat ihnen dann vorgeworfen, dem Staat Steuern zu schulden, also Steuerforderungen zu Unrecht kreiert, und hat dann an Zahlungs statt, weil diese Summen nicht aufgebracht werden konnten, die Kunstgegenstände übernommen."
    Wenn die Sammler aufmuckten, wurden sie zudem noch inhaftiert oder landeten in der Psychiatrie, berichtet Bischof. Wie Helmuth Meissner aus Dresden, dessen Sammlung Anfang der 80er-Jahre dem Stasi-Offizier Schalck-Golodkowski in die Hände fiel – und dessen Abteilung "Kommerzielle Koordinierung" im Außenhandel der DDR.
    Gemälde, wertvolles Porzellan, antike Möbel, seltene Glasarbeiten und Münzen landeten in geheimen Lagerhallen, zum Beispiel in Mühlenbeck im Norden von Berlin. Die "Kunst und Antiquitäten GmbH" verkaufte sie dann über Strohmänner und Scheinfirmen an Händler und Auktionshäuser aus dem Westen. Die standen Schlange nach den Schnäppchen aus dem Osten – und waren an der Herkunft der Kunstwerke nicht allzu interessiert. Ulf Bischof:
    "Ich meine auch, dass man sich die Frage hat stellen müssen, wo diese Dinge herkommen. Und wer die Frage nicht laut gestellt hat, der wollte die Antwort nicht wissen."
    Verbleib der allermeisten illegal beschlagnahmten Kunstschätze ist unbekannt
    "Ich will da gar nicht auf Einzelne mit dem Finger zeigen, aber jetzt nach der Wende gibt's gar nichts: Man muss Transparenz herstellen. Und das heißt, man muss einfach die Dinge aufklären", fordert Isabel Pfeiffer-Poensgen, die Generalsekretärin der Kulturstiftung der Länder. Das wird schwierig, denn die Sammlungen sind damals in alle Winde und viele Länder verstreut worden. Das bedeutet juristische Schwierigkeiten, und außerdem steht die Frage der Verjährung im Raum.
    Eines der wertvollsten Öl-Gemälde aus der Sammlung Meissner beispielsweise hängt einem Bericht der "Neuen Züricher Zeitung" zu Folge heute in New York. Das Stillleben mit vier Kastanien von Adriaen Coorte aus dem Jahr 1705 gelangte dorthin über eine Auktion bei Christie's in Amsterdam. Die Erben des New Yorker Käufers weigern sich, das Bild heraus zu geben. Doch der Verbleib der allermeisten illegal beschlagnahmten Kunstschätze ist bislang unbekannt. 25 Jahre nach dem Mauerfall steht die Provenienzforschung der DDR-Raubkunst noch ganz am Anfang, bedauert Isabel Pfeiffer-Poensgen:
    "Das Problembewusstsein ist jetzt inzwischen, ich sage jetzt mal ironisch, auch dank Gurlitt, was die Nazi-Zeit und die Nazi-Enteignungen anging, vielleicht mehr da. Was dieses ganze Thema der DDR-Enteignungen angeht, glaube ich, ist das im Westen überhaupt nicht im Bewusstsein. Und deswegen ist es wohl höchste Eisenbahn, das auch mal einfach offenzulegen."
    Galerien, Aktionshäuser und Museen müssten ihre Archive öffnen
    Und falls möglich den Erben der rechtmäßigen Eigentümer zurückzugeben oder sie zu entschädigen. Dafür müssten Galerien und Auktionshäuser ebenso wie die Museen im Falle der NS-Raubkunst ihre Archive öffnen, fordert die Chefin der Länder-Kulturstiftung. Für die Sammler sei es eine Katastrophe gewesen, betont der Anwalt Ulf Bischof, wenn die Stasi morgens an die Tür hämmerte, die Kunstgegenstände einpackte und auf der Straße schon die LKW für den Abtransport parkten:
    "Wie das ja heute und auch zu allen Zeiten schon immer so gewesen ist, haben die Sammler oft über Jahrzehnte ihre Objekte zusammengetragen und haben auch wirklich daran gehangen und gerade vielleicht in der ehemaligen DDR, wo vielleicht das Umfeld auch ein bisschen grauer war, auch als Rückzugsort ihre Sammlungen verstanden. Das war für die Betroffenen also sehr, sehr dramatisch."