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Kunstschnee
Neue Beschneiungssysteme nutzen Wasserdruck

Schneekanonen verbrauchen viel Strom und sind laut. Um Energiekosten und Lärm künftig einzudämmen, haben Forscher vom Schweizerischen Lawinenforschungsinstitut (SLF) eine Alternative entwickelt: eine sogenannte Schneilanze, die keinen Kompressor benötigt.

Von Sabine Goldhahn | 23.12.2013
    Das winterliche Davos ist genau der richtige Ort, um Schneekanonen und andere Beschneiungsanlagen im Einsatz zu sehen. Denn im Winter herrschen hier Minustemperaturen und trockene Luft – beste Bedingungen, um die Pisten mit technisch hergestelltem Schnee zu berieseln.
    "Es gibt verschiedene Systeme zur Kunstbeschneiung, die geläufigsten sind Schneekanonen, das sind große, mit Propeller betriebene Kanonen, das heißt, es wird erreicht, dass der Schnee weit fliegt durch den Propellerantrieb, und dann gibt es die großen Schneilanzen, die stehen meistens stationär am Pistenrand, die sind relativ hoch und die werden nicht mit Propeller betrieben, da rieselt die Schneewolke einfach nur runter",
    erklärt Fabian Wolfsperger, Sportingenieur am Schweizerischen Lawinenforschungsinstitut SLF. Seit mehreren Jahren arbeiten er und seine Kollegen daran, Schneilanzen umweltfreundlicher zu gestalten. Kunstschnee und umweltfreundlich – das klingt nach einem Widerspruch. Denn um Schnee zu produzieren, braucht man Wasser, und dafür werden extra Speicherseen gebaut, die Regenwasser sammeln. Für die bis zu zehn Meter hohen Schneilanzen braucht man einen Wasserdruck von wenigstens 15 bar, also Speicherseen, die mindestens 150 Meter höher liegen als das Skigebiet.
    "Man hat also Wasser, das kommt mit relativ hohem Druck in die Lanze rein und ganz oben an der Lanze wird es mit verschiedenartigen Düsen zerstäubt, also in ganz kleine Wassertröpfchen umgewandelt. Und diese kleinen Wassertröpfchen fallen zu Boden und fangen dann langsam durch die Umgebungstemperatur von außen nach innen an zu gefrieren, und idealerweise sind sie komplett durchgefroren, wenn sie dann am Boden ankommen."
    Je höher der Wasserdruck, umso feiner werden die Tröpfchen, die aus der Lanzendüse herauskommen. Wie bei einem Gartenschlauch. Doch bei einem normalen Gartenschlauch entsteht selbst im Winter noch kein Schnee. Dafür muss man die Wassertropfen schnell weiter herunterkühlen, was bei den Schneilanzen mithilfe von Druckluft geschieht. Wenn man nämlich Druckluft durch eine Düse schickt, dehnt sie sich sehr schnell aus, wodurch sie abkühlt. Um diesen Effekt zu nutzen, müssen Schneilanzen sowohl Düsen für Wasser als auch für Druckluft haben. Genau wie die neue energieeffiziente Schneilanze Nessy, die Wolfsperger mitentwickelt hat.
    "Im Projekt Nessy hat man erkannt, dass in der Druckluft auch eine gewisse Luftfeuchtigkeit ist, und nach dem Austreten der Druckluft aus der Düse kann sich diese Feuchtigkeit schlagartig in ganz kleine Eispartikel umwandeln."
    Diese Eispartikel wiederum dienen als Kristallisationskeime, an denen die Wassertropfen zu gefrieren beginnen. Je mehr Eispartikel nun in der Luft herumfliegen, desto mehr Schnee entsteht. Durch ein besseres Design der Düsen und den Zusatz einer kleinen Menge Wasser haben Wolfsperger und das Entwicklungsteam die Schneilanze nun so verbessert, dass Nessy bis zu 80 Prozent weniger Druckluft verbraucht und sogar bei zwei Grad höheren Temperaturen als bisher Schnee erzeugen kann.
    Doch Druckluft wird über Kompressoren erzeugt, und das kostet Energie. Darum haben die Forscher Nessy so lang verbessert, bis sie ganz ohne Druckluft und damit ohne Strom auskam. Für Nessy zero zapfen sie eine Energiequelle an, die gratis zur Verfügung steht: das Wasser aus dem höherliegenden Speichersee. Die Druckluft generiert sich Nessy zero quasi selbst, indem es den Wasserdruck benutzt.
    Das geht über einen sogenannten Wasserstrahl-Gasverdichter, bei dem zunächst ein Gemisch aus Wasser und Umgebungsluft erzeugt wird, das am Ende des Mischrohrs wieder in Wasser und Druckluft zerlegt wird. Da der Wasserdruck dabei kleiner ist als bei herkömmlichen Schneilanzen, musste man die Düsen so verkleinern, dass die richtigen Wassertropfen und die Kristallisationskeime entstehen.
    Nach mehreren Jahren Entwicklungsarbeit ist die umweltfreundliche Schneilanze jetzt fertig und wird erstmals in dieser Wintersaison für guten Schnee auf den Pisten sorgen. Dank Nessy zero könnte man je nach Wetter und Skigebiet etwa 20.000 Kilowattstunden Strom pro Hektar beschneiter Piste einsparen – was etwa dem Jahresverbrauch von vier Vierpersonenhaushalten in Deutschland entspricht.