Donnerstag, 18. April 2024

Archiv

Kunstwerke von Hieronymus Bosch
Modernste Analysen zur Urheberschaft

Zum 500. Todestag des Malers Hieronymus Bosch gab es Ausstellungen in seiner Heimatstadt 's-Hertogenbosch und im Prado in Madrid. Der nun erschienene "Catalogue Raisonné" hat die dort ausgestellten Werke des Malers mit wissenschaftlicher Akribie und modernster Technik untersucht - und kommt zu überraschenden Ergebnissen.

Von Christian Gampert | 09.08.2016
    "Die sieben Todsünden" von Hieronymus Bosch
    Bei der Einstufung von Hieronymus Boschs Werken im "Catalogue Raisonné" gab es einige Überraschungen: Die dem Prado gehörenden "Sieben Todsünden" wurden als "Werkstatt oder Nachfolger" eingestuft. (dpa / pa / Moya)
    An der Schwelle vom späten Mittelalter zur Neuzeit ist der niederländische Maler Hieronymus Bosch eine einzigartige Gestalt. Auf seinen Bildern tauchen Monster und Teufel auf, Fratzen und animalisierte Mischwesen, Hexen, Baummenschen, Vogelmenschen, bösartig-ambivalente Echsen und Kröten, Eulen und Insekten, Drachen und Einhörner.
    Nur wenig folgt dabei der eingeführten christlichen Symbolik und Ikonografie; es ist ein ganz neuer Kosmos, der hier entsteht, eine surreale Welt der Angst und des Schmerzes, der sexuellen Verführung und der Sünde, der aufplatzenden Organismen und der Aggression. Zwar sind all diese Darstellungen moralisierend gemeint, es sind warnende Exempel auf unserer Pilgerfahrt zum Tode hin; aber Bosch muss ein sehr waches Unbewusstes gehabt haben, einen siebten Sinn für die Gefährdungen des Menschen (und vielleicht auf für seine eigene). Die Christenheit, die doch erlöst werden soll, scheint bei ihm unrettbar verloren.
    Erkenntnisse des "Bosch Research and Conservation Project"
    Zu Boschs 500. Todestag gibt es nun zwei Ausstellungen – eine schon abgespielte in 's-Hertogenbosch und eine im Prado in Madrid. Der im Belser-Verlag erschienene Katalog resümiert die Ausstellung in Boschs Heimatstadt s’Hertogenbosch mit wissenschaftlicher Akribie; im Prado kommen nun noch jene Werke hinzu, die nicht reisen konnten, vor allem der "Garten der Lüste", dieses berühmteste aller Bosch-Triptychen.
    Das gesamte Ausstellungs-Unternehmen fußt auf der Forschungs-Arbeit des "Bosch Research and Conservation Project", das seine seit 2010 zusammengetragenen Erkenntnisse jetzt in einem groß angelegten "Catalogue Raisonné" veröffentlicht hat. Es ist ein wackersteinschweres, teures Buch mit – von der Farb- und Druckqualität – großartigen Abbildungen; ebenso minutiös sind die Kommentare, die jedes Werk eingehend interpretieren und Provenienz und Auftraggeber recherchieren.
    Mit Infrarot den Malvorgang untersuchen
    Zudem wurden die etwa 50 Hieronymus Bosch zugeschriebenen Gemälde und Zeichnungen, die auf Museen der ganzen Welt verteilt sind, mit modernster Technik untersucht; die Ergebnisse sind im Buch dokumentiert.
    "Wenn Sie eine Infrarotaufnahme eines Gemäldes anfertigen können, dann ist es so, dass Sie in den Malvorgang, in die künstlerische Entwicklung einer Bildidee hineinschauen können, sie rekonstruieren können. Und das ist natürlich eine aufregende Sache", sagt Jochen Sander, derzeit Interims-Direktor des Frankfurter Städel und Mitglied des wissenschaftlichen Komitees, das das Forschungsprojekt begleitet hat. Dabei geht es nicht nur um Fragen der Komposition, sondern auch der Ökonomie. Zu Boschs Zeiten war praktisch jeder marktgängige Künstler Werkstattleiter mit Lehrlingen und Gesellen, die die Bildideen des Chefs umsetzten:
    "Ein Künstler vom Kaliber eines Hieronymus Bosch, der ein Gemälde malt wie den Garten der Lüste oder wie die großartige Antonius-Versuchung, wenn der für bestimmte Bildaufgaben, auch formale Lösungen (sucht) – ein Reflex auf einer glänzenden Oberfläche, oder die Art und Weise, wie er Rauch darstellt, oder wie er ein Gesicht modelliert … das sind Dinge, die wird er einmal entwickeln, und wenn er sie beherrscht, dann ist das keine Frage, ob er das an einem Tag kann und am anderen nicht, sondern das hat er drauf, das ist im Repertoire enthalten."
    "Werkstatt" oder "Nachfolger": Ergebnisse der Infrarot-Recherchen
    Boschs Figuren schwanken zwischen Karikatur und Naturalismus; gerade bei den Werken mit viel Personal im Bild liegt es nahe, dass auch Klischees und eingeführte Typisierungen genutzt werden. Und Bosch malte nicht nur selber, er ließ auch malen. Wann kann man ein Werk als "eigenhändig" dem Meister zuschreiben, wann nicht? Wann ist es als "Werkstatt" oder "Nachfolge" zu klassifizieren? Heutige Echtheits-Kriterien helfen da nicht viel weiter, sagt Jochen Sander:
    "Fragen wir nach einer tatsächlichen Autografen-Ausführung, das wäre unser heutiges Frage-Interesse, oder fragen wir aus der Zeit heraus. Die Zeit würde sagen, ein Bild oder eine Skulptur, die aus einer Künstlerwerkstatt kommt, bei der der Werkstatt-Leiter sie als sein Produkt abgesegnet hat, galt als dessen Werk."
    Die Infrarot-Recherchen der Forscher haben aber auch Konsequenzen. Denn bei ihnen werden unter der Oberfläche liegende Malschichten sichtbar gemacht, Vorzeichnungen, die unter Umständen andere Hände erkennen lassen. Und durch minutiösen Vergleich nicht nur der handwerklichen, sondern vor allem der intellektuellen Gestaltung der Werke kann man einigermaßen plausibel klären, was eigenhändig ist und was nicht, meint Jochen Sander.
    Bei der Einstufung im "Catalogue Raisonné" gab es einige Überraschungen: Die dem Prado gehörenden "Sieben Todsünden" wurden als "Werkstatt oder Nachfolger" eingestuft, ebenso eine Variante der "Versuchung des heiligen Antonius", die ebenfalls der Prado besitzt. Das Museum war natürlich nicht erfreut und hielt eigene Expertisen dagegen. Das Problem des "Catalogue Raisonné" ist natürlich, bei aller Gediegenheit von Aufmachung und Analyse, dass noch neuere Forschungen stets auch wieder andere Einschätzungen erbringen können. Das kann auch den Autoren des jetzt aktuellen Bosch-Katalogs passieren.
    Hieronymus Bosch kam aus einer Malerfamilie, die aus Aachen stammte. Dank einer reichen Heirat gehörte er zur Elite von s’Hertogenbosch und zeichnete bald mit "Bosch", damit Auftraggeber wussten, wohin sie sich zu wenden hatten. Und er war Mitglied in der einflussreichen Liebfrauenbruderschaft, was ihm Kontakte zu zahlungskräftigen Aristokraten verschaffte.
    Weltweit erste Analyse des Werks in einer Methodik
    Der "Garten der Lüste", diese Reise vom Paradies über ein mit Leibern wimmelndes Sodom und Gomorrha in die apokalyptisch leuchtende Hölle, war nach Boschs Tod im Brüsseler Palast des Grafen von Nassau ausgestellt – der Form nach ein Triptychon, ein Altarbild, aber keinesfalls als solches gemeint. Es hing neben mythologischen Darstellungen und Stillleben in der Sammlung.
    "Der Graf öffnete die für Besucher, seine Standesgenossen, wohlhabende Bürger, durchreisende Diplomaten. Es gehörte zum gesellschaftlichen Spiel und Sport und zu sagen: Das erinnert an ein Altarbild, ist aber keins. Oder das sieht aus wie ein Sündenfall, aber da gibt es Bildelemente drin, die entsprechen nicht dem Sündenfall."
    Im "Catalogue Raisonné" ist der Zeichnung etwa ein Drittel des Raums gewidmet – sie ist das Medium, in dem Bosch seine Albträume durchprobiert. Und selbst wenn das Bild schon gemalt ist, spinnt er seine Visionen später noch in der Zeichnung weiter. Die Bilder aber sind nun weltweit erstmals in einer Methodik durchanalysiert, die tatsächlich Vergleiche zulässt, sagt Jochen Sander:
    "Diese gleichartige Untersuchung möglichst aller Werke unter gleichen Bedingungen, die bietet jetzt für Bosch erstmals eine wirkliche, unmittelbare Vergleichbarkeit. Weil, ganz banal, wenn Sie bisher eine Röntgenaufnahme aus Frankfurt und eine aus New York nebeneinandergelegt haben, dann wussten Sie nicht unbedingt, unter welchen Bedingungen sind diese Aufnahmen entstanden."
    Katalog zeigt Entwicklung von religiöser Darstellung zu surrealen Albträumen
    Hieronymus Bosch steht in keiner Tradition: Seine Bildwelten sind seine ureigenste Erfindung. Aber er hatte Nachahmer. Werkstattgenossen, unbekannt gebliebene Adepten, die möglicherweise auch mit seinem Namen zeichneten. Daher nun die Aufregung. Der Catalogue Raisonné zeigt aber in der Hauptsache, wie Bosch sich schon früh aus den rein religiösen Darstellungen herausarbeitet in eine Welt surreal wirkender Albträume. Auch stilistisch werden die Figuren bald härter und plastischer, die Gesamtkomposition bekommt eine bühnenartige Perspektive.
    Wie Bosch zu seinen Visionen kam, bleibt unklar. Es gibt keine Belege dafür, dass er je gereist ist und die Zeitgenossen studiert hat. Aber vielleicht ist gerade diese splendid isolation im kleinen s’Hertogenbosch ursächlich für die Versenkung in eine innere Welt des Horrors und der Pein. Schiffe verwandeln sich in Tiere, Körper tun sich auf und spucken Feuer, Vogelköpfe verschlingen Menschen.
    Trotz allen Streits, den es um einige Einschätzungen des "Bosch Research and Conservation Projects" noch geben wird, ist der "Catalogue Raisonné" eine wegweisende Publikation, die den Forschungsstand zu Bosch lege artis und zudem noch in bibliophiler Aufmachung referiert. Die Abbildungen sind, gerade in den Vergrößerungen von Details, grandios. Wer immer sich näher mit Hieronymus Bosch beschäftigen will, sei ermutigt, hier auch einmal Geld zu investieren. Für den ersten Überblick reicht der Ausstellungskatalog – auch er ist hochseriös gearbeitet.

    "Hieronymus Bosch: Visionen eines Genies."
    Belser Verlag Stuttgart, 191 Seiten, 24,99 Euro.
    "Catalogue Raisonné: Hieronymus Bosch – Maler und Zeichner."
    Bosch Research and Conservation Project.
    Belser Verlag. 607 Seiten, 99,00 Euro.