Freitag, 19. April 2024

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Der Illustrator Thomas M. Müller
"Im Laufen den Weg finden"

Wann ist eine Mama schön? Bin ich ein Vorbild für die Jugend? Habe ich noch alle Tassen im Schrank? - Der Leipziger Illustrator Thomas M. Müller stellt sich und seinem Publikum die großen Fragen. Im Dlf spricht er über ergreifende Kunst, den Spaß am Bilderbuch und die schmale Grenze zwischen Wirklichkeit und Fantasie.

Thomas M. Müller im Gespräch mit Ute Wegmann | 08.12.2018
    Mehrere Illustrationen von Thomas M. Müller
    Bebilderte Bücher von Thomas M. Müller (Edition Büchergilde / Moritz Verlag / Aladin Verlag)
    Ute Wegmann: Mein Gast heute ist Illustrator und als Nachfolger von Volker Pfüller Professor für Illustration an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig. Geboren wurde er 1966 in Gera. Sein Name Thomas M. Müller. Das M steht für Matthäus. Thomas Müller, wie wichtig war oder ist das M in Ihrem Leben?
    Thomas M. Müller: Ich weiß inzwischen, wie man es schreibt. Der Name ist ja nicht sehr selten, insofern kann es nicht schaden, wenn man ihn ergänzt, aber oft ist er mir auch ein bisschen lang, und dann schreib ich ihn nicht aus oder steht er nicht auf dem Titel eines Buches.
    Wegmann: Also das Matthäus hat nichts mit Religion zu tun.
    Müller: Auf keinen Fall, das weiß ich auch von meiner Mutter.
    Wegmann: Sie sind der Sohn von Rolf Felix Müller, ein bekannter Grafik-Designer, Illustrator, auch er bis 1997 Professor an der Hochschule in Leipzig, ein wichtiger Künstler der Gebrauchsgrafik in der DDR. Er ist der Schöpfer eines Symbols, das mir lange schon vertraut ist, ein Spatz, das Zeichen für den "Goldenen Spatz", das Geraer Kinderfilmfestival. Sie haben somit die Illustration – wie sagt man – nicht mit der Muttermilch, aber vielleicht mit dem Vaterschweiß eingesogen. Ist das ein Geschenk oder eine Bürde?
    Müller: In meinem Fall war es ein Geschenk. Mein Vater hat zuhause gearbeitet, war immer da, aber auch immer beschäftigt. Nicht zum Fußballspielen aufgelegt, sondern musste seine Ruhe haben. Aber ich war auch eingeladen, unter seinem Tisch zu spielen und habe so den Beruf in einem sehr frühen Moment kennengelernt, und das war toll!
    Die Kunst der Illustration von Kindesbeinen an
    Wegmann: Wie haben Sie sich distanziert, um Ihren eigenen Weg zu finden?
    Müller: Mein Vater hat ein anderes Naturell, der ist ironisch und auch ein sehr spielerischer Mensch. Ich hab mehr die Natur meiner Mutter und das macht sich auch in der Arbeit bemerkbar, somit gab es von Anfang an nicht die Gefahr, dass wir uns gegenseitig auf die Füße treten oder ich ihm zu nahe kommen würde.
    Wegmann: Wie ist die Natur Ihrer Mutter?
    Müller: Meine Mutter lebt nicht mehr. Sie war kämpferisch und hat die Dinge sehr ernst genommen.
    Wegmann: Und so würden Sie sich auch beschreiben?
    Müller: Ich glaub schon.
    Wegmann: Kinderbuch, Pappen, Tolle Hefte, Bilderbücher, illustrierte Krimis – Sie haben keine Berührungsängste, tragen vor allem immer vor allem bei den Büchern, die ich kenne, etwas Privates in die Geschichten. Ich denke an das Buch mit bebilderten Fragen - "Worauf kann ich hoffen? Und 62 andere Fragen für den Mann von Welt".
    Kurze Zwischenfrage: Was ist der "Mann von Welt"?
    Müller: Das habe ich versucht, auf diese Weise herauszufinden. Das Buch hat sich ja nicht sonderlich verkauft. Offensichtlich gibt es nicht so viele Männer von Welt oder Leute, die sich davon angesprochen fühlen. Und ich bin der Antwort nicht näher gekommen.
    "Erkenne ich Kunst, wenn ich welche sehe?"
    Wegmann: Es gibt ja viele schöne Fragen. Ich will nur mal ein paar wenige zitieren: "Bin ich ein Vorbild für die Jugend?" oder "Hab ich noch alle Tassen im Schrank?" – "Erkenne ich Kunst, wenn ich welche sehe?".
    Haben Sie auf diese letzte Frage eine Antwort gefunden?
    Müller: Hin und wieder. Ich glaube, Kunst dann zu sehen, wenn ich sehr tief beeindruckt werde und dass, was ich da sehe, für Menschenwerk halte. Es gibt aber ganz vieles unter der Rubrik Kunst, wo ich das nicht so richtig finden kann, aber das ist ja mit allen Dingen so.
    Wegmann: Was hat Sie zuletzt zutiefst beeindruckt?
    Müller: Es gibt, Sie werden mich wahrscheinlich noch nach Vorbildern fragen – Roman Signer, ein Schweizer Künstler, der Dinge in die Luft fliegen lässt und dann aus dem Bild geht, das finde ich ganz toll. Wenn ich so etwas könnte, in meinem Fach, dann wäre ich sehr stolz.
    Wegmann: Ich kenne ihn nicht. Wenn Sie sagen, er lässt Dinge in die Luft fliegen. Ist er ein Videokünstler?
    Müller: Ich weiß nicht, wie man ihn einordnet. Es macht Skulptur, Aktion, es ist etwas, das provokant ist, poetisch ist, was allumfassend tief philosophisch ist und eine hohe ästhetische Qualität hat. Und dieser Mann ist so an die 80 Jahre alt. Er hat inzwischen ein ziemlich großes Renommee. Er fiel mir im Zusammenhang mit tiefen Eindrücken ein.
    Wegmann: Um Fragen, allerdings um Kinderfragen, geht es auch in dem Buch "Zu einer schönen Mama gehört Kuchen" – ein toller Titel, eine schöne Mutter mit einer verzierten Torte auf dem Kopf sieht man auf dem Cover. Sie haben Fragen Ihres Sohnes Lukas aufgegriffen und bebildert. Es überwiegen rostrotbraun Töne, die immer wieder auftauchen, auch in Susanna Tamaros bebildertem Kinderbuch "Bart, das sprechende Huhn und der Hüter der Weisheit". Gibt es so etwas wie eine Lieblingsfarbe und ist das vielleicht die Lieblingsfarbe?
    Ein Schwarz, ein Weiß, ein Rot
    Müller: Ja, diese Farbe, die so zwischen Englischrot und Orange und Rostbraun liegt, die kommt immer wieder vor, die steht zu Schwarz sehr gut, und meistens hat man weißes Papier und die drei machen zusammen schon viel her und sind nach meinem Dafürhalten ein viel besseres Team als ein Schwarz, ein Weiß und ein Rot, die sich nicht so gut vertragen, aber signalhafter sind.
    Wegmann: Ihr erstes Tolles Heft, No 22, im Jahr 2003 "Lebensmittel. Was Kinder brauchen", Edition Büchergilde, Beiträge, die von Ihnen illustriert wurden, wurde ausgezeichnet. Im Jahr 2005 erhielten Sie den 1. Preis der Stiftung Buchkunst für "Mit einem Reh kommt Ilka ins Merkur".
    Betrachtet man Ihre Bücher, vor allem die Kinderbücher, Christine Nöstlingers "Leon Pirat und der Goldschatz" aus dem Jahr 2009, und dann gibt es noch "Der Schrecken der Ozeane" von Leuw von Katzenstein mit s/w Zeichnungen, das sind jetzt ausgerechnet zwei Piratengeschichten, sind Sie Piratenspezialist?
    Müller: Ich bin kein Spezialist, aber ich war als Kind doch sehr beeindruckt von der christlichen Seefahrt und von allem, was mit Schiffen zu tun hatte. Und als die Piraten drohten wieder populär zu werden, und da gerade der Text von Beltz & Gelberg zu mir kam, war ich natürlich sehr glücklich, da Gelegenheit zu haben, in dem Milieu was zu machen. Es gibt zwei Leon Pirat-Bücher und beide sind auch Vater-Sohn-Geschichten. Und es kommen die wichtigsten Dinge des Piratenlebens vor, aber es sind auch Phantasiepiraten.
    Wegmann: Thomas M. Müller mag Bewegung und von daher verwundert es nicht, dass er Fahrzeuge mag. Also erschien 2013 "Was braust so schnell vorbei", eine Pappe mit allerlei Tieren in allerlei fahrbaren Untersätzen. Da sitzt der Hornochse im Abschleppwagen, drei Hühner im Kleid findet man in einem Straßenkreuzer, mit einer Art Elvis-Maus am Steuer, eine Katze im Cabriolet, der Hund auf dem Traktor. Natürlich anthropomorphisierte Tiere, schick und adäquat gekleidet. Nach welchem Verfahren haben Sie die Fahrzeuge besetzt?
    Müller: Oh, das ist schwer zu sagen. Sie kommen mir auf die Schliche, Vorlieben kommen ins Spiel, ich werde ertappt. Autos zu zeichnen, war eine schöne Gelegenheit und natürlich müssen Autos auch bewegt werden, von Fahrerinnen und Fahrern und Insassen habe. Es schien mir naheliegend, Tiere wie Sie sie beschrieben haben, zu besetzen und sie sollten etwas Menschliches haben. Aber wie sie nun zusammen gekommen sind, das weiß ich nicht mehr. Zum Beispiel der lange Schlitten, wo ein Angeber drin sitzt und sich junge Mädchen zur Ausfahrt eigenladen hat, gibt es ja ein bisschen vor und es ist ein bisschen nach dem Klischee. Die Familie im Kleinwagen, die Gangster im Gangsterwagen usw.
    Fahrzeuge und Berufe
    Wegmann: Es gibt ja allerlei Fahrzeuge. Was ist denn Ihr Lieblingsfahrzeug?
    Müller: Ich kann mich nicht entscheiden. Dann hätte das Buch nur eine Seite, dabei hat es 32 Seiten. Und die meisten finde ich ganz toll.
    Wegmann: Würden Sie die gern besitzen?
    Müller: Die meisten besitze ich.
    Wegmann: Oh ...
    Müller: Es ist nicht ganz meine Sammlung, aber ich kenne einige ganz gut davon.
    Wegmann: Eine ähnliche Frage bezüglich der Besetzung betrifft auch das Berufe-Buch. "Herr Schmidt ist Koch. Berufsbilder" erschienen 2016 im Moritzverlag. Hier haben wir eine tierische Automechanikerin und eine Polizistin, aber den Bock haben Sie zum Gärtner gemacht, ein Wildschwein zum Installateur. Ist das auch ein Spiel mit Rollenbildern?
    Müller: Mehr oder weniger. Es ist ein anderes Spiel: Viele der vorgestellten Leute kenne ich persönlich. Es gibt auch nur eine Figur, die man nicht zu ordnen kann, ein Fantasietier, das ist mein Arzt.
    Wegmann: Ich hab mich gefragt: Warum haben denn hier die Tiere hier Namen?
    Müller: Ich würde zu viel verraten, wenn ich in allen Fällen sagen würde, aber viele haben auch Klarnamen, das hat schon zu Problemen geführt.
    Wegmann: Herr Vockenhusen, Herr Bummel, Frau Cruz, so heißen die Tiere. Heute zu Gast im Büchermarkt der Künstler Thomas M. Müller. Alle Angaben zu den Büchern finden Sie auf unserer Webseite deutschlandfunk.de.
    Pitzi, den jüngsten Sohn der Hundefamilie, den kennen wir aus der bezaubernden Müller-Geschichte "Apfelsaft holen", dort geht es um die Angst, die man als Kind hat, alleine in den Keller zu gehen. In der Folgegeschichte (2016) will Pitzi "Das tollste Boot der ganzen Welt" bauen. Hier wird die wirklichkeitsnahe Geschichte plötzlich zu einem fantastischen Abenteuer. Wie viel Vergnügen bereitet so ein Ausstieg aus der Wirklichkeit? Oder ist Thomas Müller eher der Realist?
    Müller: Es ist ja manchmal gar nicht so leicht zu unterscheiden zwischen der wirklichen Welt und der der Phantasie, und in dem Buch bin ich mir auch nicht sicher, als das Boot fertig ist und Pitzi gefrotzelt wird von den Freunden. Aber er muss erproben, ob es schwimmt, und es schwimmt und nicht nur das, es wird so groß, dass man damit aufs Meer fahren kann. Ob das ein kindliches Spiel ist und demzufolge Phantasie oder ob die Reise wirklich stattfindet, kann man nicht genau sagen. Zum Schluss ist das Boot jedenfalls ein bisschen beschädigt und er muss es reparieren. Und ich finde es ganz schön und würde es den Betrachtern überlassen, zu entscheiden, ob die Reise im Kopf oder in der Welt stattgefunden hat. Also ich kann mit Fantasy überhaupt nichts anfangen, aber ich bin sicher, dass das Leben nicht endet, wenn man abends die Augen zumacht, sondern dass man dann noch andere Räume betritt und in anderen Welten beheimatet ist. Aber ich glaube, dass der Maßstab des eigenen Erlebens wichtig ist, und in dieser Hinsicht würde ich schon sagen, es braucht die Grundierung des Realen. Auch um uns nahe zu kommen.
    Die Vorstellung, die sich beim Lesen einstellt, in Bilder setzen
    Wegmann: Sprechen wir über die Tollen Hefte. Sie haben Charles Bukowski , T.C. Boyle, Raymond Chandler bebildert. Aber Chandler war gar kein Tolles Heft, sondern?
    Müller: Ein illustriertes Buch der Büchergilde Gutenberg, ein hard-boiled Krimi, ein Marlowe-Krimi. Wichtig war für mich: Es ist extrem filmisch, was im Kopf abgeht, wenn man das liest. Milieu wird sehr deutlich geschildert, vom Ich-Erzähler Marlowe, ein scharf beobachtender Macho mit hohem moralischem Anspruch und einem losen Mundwerk. Und diese Vorstellung, die sich beim Lesen einstellt, habe ich versucht, in die Bilder zu bringen. Und es gibt das Prinzip Schuss und Gegenschuss. Man hat eine Szene auf einer rechten Seite, blättert um und auf der linken Seite sieht man, was sich wenige Sekunden später ereignet hat. Ich greife da auf, was das Sujet in unseren Köpfen bekannt gemacht hat, nämlich den Film.
    Filmische Mittel
    Wegmann: Es fällt auf, dass Sie viel mehr mit Aufsichten und Untersichten arbeiten, mit diesen filmischen Mitteln, mehr als in den Kinderbüchern. Welche Bedeutung hat denn der Film? Prägt er Sie bezüglich Ihrer Bildkomposition?
    Müller: Ich glaube schon. Ich bin nicht unbedingt ein Cineast und ein großer Kenner, aber ich erinnere mich gut an Bilder. Auch an Filmbilder, die ich vielleicht noch als Kind gesehen habe. Ich habe keine Idee mehr vom Plot, von der Handlung, aber einzelne Bilder haben sich sehr eingeprägt, und ich glaube schon, dass das meine Vorstellungswelt stark bestimmt und ich in solchen Fällen darauf zurückgreife.
    Wegmann: Sind Sie jemand, der Musik hört beim Malen und Zeichnen?
    Müller: Ja, Radio.
    Wegmann: Auch Wortbeiträge?
    Müller: Ja, es gibt diese Situation, wo man eine andere Form der Konzentration braucht und absolute Stille, aber wir haben das Privileg, dass wir uns nebenher noch etwas anhören können.
    Wegmann: Sie haben gerade ein neues Tolles Heft gemacht, Heft No. 50: Bret Harte: "Muck-a-Muck. Ein moderner Indianerroman nach Cooper", Cooper, um das noch mal zu erinnern, schrieb "Lederstrumpf. Der letzte Mohikaner".
    Die Hefte sind farblich sehr unterschiedlich gestaltet. Sie arbeiten ja oft zweifarbig, gern auch im dunklen Farbbereich. Boyle war ein Farbspektakel. Würden Sie sagen, dass Ihnen das Dunkle mehr liegt als Bunte?
    "Über Vorurteile, die wir gegenüber anderen hegen"
    Müller: Nicht unbedingt! Oft stell ich fest, dass meine Arbeiten sehr bunt sind. Bei Bret Harte ist es ein bisschen anders. Das ist eine bitterböse Geschichte, die ist über 150 Jahre alt. Und ich habe ein großes Anliegen, dass es diesen Text wieder zu lesen gibt, weil er uns heute noch sehr viel zu sagen hat: Über Vorurteile, die wir gegenüber anderen hegen, und es führt auch in diesem Fall zu einer großen Katastrophe. Ich wollte, dass es dieses Buch gibt, und ich bin froh und glücklich, dass es in der Reihe der Tollen Hefte erscheint. Nun sind auch in dem Fall die Bilder davon geprägt, was sich mir in meiner Vorstellung bei der Lektüre des Textes einstellt, deshalb die Farbigkeit und auch die Ruppigkeit, die nach meinem Dafürhalten passt. Es ist eindrucksvoll, es ist wichtig und es ist auch vergnüglich, aber da meine ich die Form, die Form der Sprache, aber was wir erfahren, ist niederschmetternd und bitterböse.
    Wegmann: Wie haben Sie diesen Autor, der Zeitgenosse von Mark Twain war, entdeckt?
    Müller: Es ist wohl sogar so, dass er ein Förderer Mark Twains war, aber nicht den Ruhm hatte und sich dann vom Schreiben abwandte. In einer Anthologie amerikanischer satirischer Erzähler des Eulenspiegel Verlages in Berlin, da war die Geschichte enthalten, sie fiel mir erneut auf und dann ist mir die Möglichkeit eingeräumt worden, die Geschichte in neuer Übersetzung noch mal erscheinen zu lassen. Ich habe einen interessanten Übersetzer kontaktieren können, der für diese kongeniale Übersetzung verantwortlich ist, Hans Petersen, ein inzwischen hochbetagter Mann.
    Wegmann: Vielleicht sagen Sie doch für unsere Zuhörerinnen und Zuhörer noch drei Sätze zum Inhalt: Was können wir uns unter einem modernen Indianerroman vorstellen?
    Müller: Es ist eine Parodie, aber ich bin jetzt auch kein Cooper-Spezialist. Diese pathetische Sprache, die auch ins Komische gewendet ist, erzählt die Geschichte von der Nachbarschaft einer Siedlerfamilie, Vater und Tochter, die parlieren sehr vornehm in ihrer Blockhütte, nebenan wohnen die Indianer. Und es kommt zu einer Begegnung, so wird das Milieu vorgestellt. Muck-a-Muck ist der Indianerhäuptling. Es kommt noch ein Waldläufer ins Spiel, in den sich die junge Tochter verliebt. Natty Pumpo heißt der junge Held. Er kommt ein Jahr später wieder in die Gegend, hört von Indianeraufständen, sieht wie die Indianer mit einem schwarzen Skalp tanzen, denkt, dass sind die Haare seiner Angebeteten und erschießt alle Indianer. Und muss dann kurz darauf feststellen, dass Schwiegervater in spe und die Angebetete wohlbehalten in der Blockhütte sitzen. Das Massaker ist seinem Vorurteil gegenüber den Indianern geschuldet. So geht das bitterböse aus, auch die Weißen werden verrückt, ihre Wünsche erfüllen sich nicht.
    Und das alles festgehalten auf drei Schreibmaschinenseiten. Es gefriert einem das Blut in den Adern.
    Wegmann: Können Sie etwas zu Ihren Bildern sagen?
    Müller: Das kann ich selbst schlecht erzählen ... ich würde sagen, sie sind ... das ist jetzt wirklich schwierig. Die Tollen Hefte geben vor, dass man rasterlos mit echten Farben druckt, das bestimmt die Ästhetik. Und der gezeichnete Strich sind zunächst Pinselzeichnungen, die dann mit flächigen Farben koloriert sind, die sind schon auch ruppig. Ich habe versucht, den Gestalten ein Antlitz zu geben, was sowohl den Ernst der Geschichte transportiert, aber auch die Übertreibung tatsächlich möglich macht. Also ich wollte die Protagonisten nicht von vorneherein preisgeben oder zu nicht ernstzunehmenden Figuren machen. Ich glaube schon, dass in dieser Geschichte Ernst steckt, das war mein Anliegen, dass sich das in Bildern widerspiegelt.
    Entwicklungen sehen, Anregungen bieten
    Wegmann: Sprechen wir über Stil. Wie wichtig ist die Wiedererkennbarkeit?
    Müller: Das kann ich schwer in einem Satz sagen. Ich glaube, ich bin der Falsche um darüber Auskunft zu geben, wie meine Arbeiten ausschauen.
    Ich nehme das für gegeben hin. Es liegt auch an vielen Faktoren, sie haben das vorhin gesagt, es ist ein breites Spektrum von unterschiedlichen Zusammenhängen, in denen die Bilder stehen und sie passen sich auch an. Mal kommt es aus dem Handgelenk, mal mit dem Wunsch nach mehr Eleganz oder nach mehr Bosheit. All das beeinflusst, das einzelne Bild. Aber ich glaube, wenn man sie mit Abstand anschaut, gibt es viele Gemeinsamkeiten.
    Wegmann: Es ist immer ein Thomas Müller! Nun habe ich zu Beginn gesagt, Sie sind auch Professor. Welches Fach lehren Sie und was ist Ihre vermittelnde Haltung?
    Müller: Ich lehre Illustration. Es gibt eine Klasse an der Hochschule für Buchkunst. Die Studierenden, die dorthin kommen, wollen erzählerisches Bild machen, die wollen das Bild für den konkreten Zusammenhang machen. Das ist das, worunter ich Illustration verstehe, das ist auch sehr breit und das altmodische Klassensystem ist dann toll, wenn es sehr unterschiedliche Leute gibt, die da zusammenkommen und die in der Auseinandersetzung mit Stoffen, Texten, mit Methoden, die ich ihnen nahelege oder zur Aufgabe machen, im Tun zu Ergebnissen kommen, über die man redet, über die man möglicherweise nicht einer Meinung ist.
    Und dieses "Im Laufen den Weg finden", das ist die Erfahrung, die ich mache, und die in vielen Fällen gut klappt. Wir haben drei Jahre zusammen Zeit, das ist ein großes Privileg und für mich eine tolle Gelegenheit, eine Entwicklung zu sehen und durch Fragen und Vergleiche und Anregungen ein bisschen mit zu orientieren. Also ich denke schon, dass ich mehr ein gärtnerisches Verhältnis zum Lehren habe.
    Wegmann: Es gibt viele Lehrende, die beklagen gern die unzulänglichen Vorkenntnisse und auch das mangelnde Interesse der Studierenden an Weiterbildung, z. Bsp. durch die Besuche aktueller Ausstellungen. Wie erleben Sie das in Leipzig?
    Müller: Es gibt immer eine Unzufriedenheit, und sie gehört auch zu meinem Aufgabenspektrum. Ich will aber nicht immer derjenige sein, der die Laune verdirbt. Ich finde den Satz "Durch Bewunderung kann man etwas lernen", den finde ich sehr gut, den kann ich auch für mich in Anspruch nehmen. Ich glaube, sich umzutun, offen zu sein, gehört dazu. Ich mache die Erfahrung, dass das schon stattfindet, allerdings auch sehr mannigfaltig. Es ist nicht nur das eigene Metier, das da prägend oder wichtig sein kann, sondern viele verschieden Dinge. Es gibt ein gutes Milieu, viele Anregungen. Heute sind wir ja in der Lage, uns vieles anschauen zu können, was manchmal fast die eigene Unbefangenheit oder das Gefühl, noch etwas hinzufügen zu wollen, schmälert oder beeinträchtigt. Insofern ist die Frage, wie viel man reinlässt oder wie intensiv man sich mit einer Sache befasst oder wie viel man durchklickt oder auch noch kennt, ist eine sehr wichtige. Diese Dosis muss jeder für sich auch rausfinden.
    "Was wir machen, ist kein Selbstzweck"
    Wegmann: Wie wichtig ist denn die aktuelle Kunst für die Illustration?
    Müller: Nun reden wir sehr halbkonkret, muss ich sagen. Nun haben wir das Glück, dass in Leipzig die Kommilitonen, die bildende Kunst studieren, Medienkunst oder Malerei, im Nachbaratelier ihren Tätigkeiten nachgehen. Wir sind also dicht dran. Die Klasse der Illustration gehört jedoch zum Studiengang Buchkunst/Grafikdesign, der sich sehr stark in der Selbstwahrnehmung der Gestaltung, dem Design zuzählt. Dieses Spannungsfeld, auf der einen Seite die Kunst, auf der anderen Seite das Design, und sich auch für Kommunikation zu interessieren, denn was wir machen, ist kein Selbstzweck, sondern gerichtet, das soll Vorstellungen und Ideen an einen Adressaten bringen, da finde ich, sind wir in einer sehr guten Situation, und da ist die Kunst präsent und in sehr vielfältigen und zeitgenössischen Entwicklungen anwesend. Und extrem wichtig.
    Wegmann: Wenn wir über Inspiration sprechen: Inspiriert Sie die Literatur? Das Wort?
    Müller: Unbedingt. Ich muss allerdings dazu sagen: Ich empfinde unser Metier oft auch als etwas Penetrantes. Literatur hat die große Gabe, dass sie im Moment des Lesens im Kopf des Lesers Bilder erzeugt. Wozu dann noch Illustration, könnte man sich fragen. Dieser Idee muss man auch irgendwie nachgehen, aber in der Arbeit ist es eine enorme Sache, wenn es einem gelingt, einen Text plastisch zu machen oder die eigene, entstandene Vorstellung Wirklichkeit werden zu lassen. Also auf Papier zu bannen. Klingt etwas magisch jetzt.
    Ein Vorbild für die Jugend?
    Wegmann: Wir müssen leider zum Ende kommen. Ich möchte noch mal eine Frage vom Anfang aufgreifen: Sind Sie ein Vorbild für die Jugend?
    Müller: Das weiß ich nicht gut. Ich bemühe mich, nicht so schnell zum alten Eisen zu gehören. Ich gehöre einer Generation an, die beides tun muss, den jungen Leuten sehr vertrauen, aber auch ab und zu etwas zum Besten geben, was nicht unbedingt althergebracht ist, auch wenn es sich schon eine längere Zeit bewährt hat.
    Wegmann: Danke für das Gespräch, Thomas Müller. Ein schönes Wochenende wünscht Ihnen Ute Wegmann.
    Thomas M. Müller: "Worauf kann ich hoffen? Und 62 andere Fragen für den Mann von Welt"
    Verlag Antje Kunstmann, München 2010
    Susanna Tamaro und Thomas M. Müller (Illustration):"Bart, das sprechende Huhn und der Hüter der Weisheit"
    Aus dem Italienischen von Ingrid Ickler
    Hanser Verlag, München 2017
    Frauke Hampel, Peter Hinke (Hrsgs.) und Thomas M. Müller (Ill.): "Mit einem Reh kommt Ilka ins Merkur. Leipziger Gedichte"
    Connewitzer Verlagsbuchhandlung, Leipzig 2005
    Charles Bukowski und Thomas M. Müller (Ill.): "Ein Ablehnungsbescheid und die Folgen",
    Tolle Hefte No. 28, Edition Büchergilde, Frankfurt/M.
    T.C. Boyle und Thomas M. Müller (Ill.): "Der Hard-Rock-Himmel"
    Edition Büchergilde, Frankfurt/M.
    Bret Harte und Thomas M. Müller(Ill.): "Muck-a-Muck. Ein moderner Indianerroman nach Cooper"
    Aus dem Englischen von Hans Petersen
    Tolles Heft No. 50
    Edition Büchergilde, Frankfurt/M.
    Leuw von Katzenstein und Thomas M. Müller (Ill.): "Der Schrecken der Ozeane"
    Verlag Beltz & Gelberg, Weinheim 2006
    Christine Nöstlinger und Thomas M. Müller (Ill.): "Leon Pirat und der Goldschatz"
    Verlag Beltz & Gelberg, Weinheim 2009
    Thomas M. Müller: "Apfelsaft holen" Aladin
    Verlag, Hamburg 2013
    Thomas M. Müller: "Was braust so schnell vorbei"
    Moritz Verlag, Frankfurt/M. 2013
    Thomas M. Müller: "Der Esel und der Traktor",
    Moritz Verlag, Frankfurt/M. 2015
    Thomas M. Müller: "Das tollste Boot der ganzen Welt"
    Aladin Verlag, Hamburg 2016
    Thomas M. Müller: "Herr Schmidt ist Koch. Berufsbilder"
    Moritz Verlag, Frankfurt/M. 2017