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Kurioses in Heiliger Zeit

Ob Telefonieren im Call-Center, Promotion für die goldene Kreditkarte oder Kellnern im Café – die Vielfalt an Studentenjobs ist groß. In der Weihnachtszeit wird sie stets noch größer. Denn nicht nur Weihnachtsmänner sind gesucht. Ein Leipziger Student hat in den vergangenen drei Jahren als Verkäufer von Weihnachtsbäumen gejobbt. Zwischen Tannen, Kiefern und Fichten hat er einiges erlebt. Das beschreibt er jetzt in einem Buch.

Carsten Heckmann | 19.12.2003
    Und wieder ist ein Weihnachtsbaum durch den Trichter gezogen und mit einem Netz versehen. Schön schmal, damit er ins Auto passt. Einige hundert Mal hat Andreas Rietschel das schon gemacht. Heute hat er nur kurz ausgeholfen. Denn Rietschel ist nicht mehr Weihnachtsbaumverkäufer. Den Tannen-Job hat er an die Nadel gehängt, nach drei Jahren. Jetzt hat der Leipziger, der in Halle Geschichte und Philosophie studiert, seine Erfahrungen zusammengefasst und ist unter die Autoren gegangen. "24 Tage unterm Weihnachtsbaum" heißt sein Werk. Es ist gespickt mit kuriosen Erlebnissen, über die Rietschel sich geärgert oder gefreut hat. Letzteres kam wesentlich öfter vor, berichtet der 29-Jährige.

    Gerade im letzten Jahr kam beispielsweise eine Frau an, die gemerkt hat, dass ich hier auch die Nacht im Wohnwagen verbringe, und die sich dann dachte, mir eine Freude bereiten zu müssen, und die dann wirklich jeden Tag, obwohl sie eine Tannennadelallergie hatte, auf den Platz gekommen ist und mir eine Kleinigkeit vorbeigebracht hat und damit in gewissem Sinn zu meinem persönlichen Adventskalender geworden ist.

    Eine willkommene Abwechslung für jemanden, der zwischen den Weihnachtsbäumen nicht nur arbeitet, sondern lebt. Da die Bäume nachts bewacht werden wollen, schlief Andreas Rietschel in einem zehn Quadratmeter großen Wohnwagen. Strom gab’s von der Friedenskirche nebenan. Wenn er nicht gerade ausgefallen war.

    Der Verkaufsplatz im Norden Leipzigs hatte es dem Saisonarbeiter dennoch sofort angetan, dank des duftenden Rindenmulches auf dem Boden. Und die Weihnachtsbaumkäufer sorgten ja nicht nur für Arbeit, sondern auch für Amüsement. Vor allem die Ehepaare. Eines wird Rietschel nie vergessen:

    Gerade die Frau schaute und schaute und fand eigentlich nicht so den richtigen Baum, mit dem sie richtiggehend zufrieden war, worauf dann ihr Mann zu ihr sagte: "Guck nicht so lang nach einem Baum. Wenn ich damals, wo ich dich gesehen hab, länger geschaut hätte, dann hätt ich mich auch für was anderes entschieden.

    Ja, es müssen lustige Tage gewesen sein. Und auch Nächte, mit Freunden bei Glühwein und Pizza. Auf 164 Seiten berichtet Autor Rietschel nun davon. Ohne den Job hätte er sein Studium nicht finanzieren können, sagt er. Wie viel er damit verdient hat, will er indes nicht verraten. Jetzt wird er sehen, ob genug Käufer sein 9,90 Euro teures Weihnachtsbaumbuch unter ihre heimische Tanne legen wollen. Für Rietschel steht schon jetzt fest, dass er sein Philosophie-Studium aufgeben und sich am Leipziger Literaturinstitut bewerben will. Er scheint seine Berufung gefunden zu haben. Und er hat auf jeden Fall seinen Lieblingsbaum gefunden, den er wie sein Buch jedem ans Herz legen möchte:

    Für mich ist eben die Blautanne, Blaufichte eigentlich der favorisierte Baum, weil er für mich natürlicher wirkt als die Nordmanntanne, die allerdings wiederum für die Käufer derzeit die beliebteste Tanne ist. Die Nordmanntanne ist ja der Baum, der am längsten die Nadeln hält, der nicht stachelt, aber eben auch kaum noch nach Baum duftet. Die Blautanne wiederum stachelt halt mehr – was ich aber auch wiederum nicht schlimm finde –, duftet wunderbar nach Wald, hält nicht ganz so lange die Nadeln, aber wenn man den Baum nicht unbedingt bis April stehen lassen will, ist das eben auch kein Problem.