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'Kursbuch' 149: Fundamentalismus

Der Glaube an die Wirkungskraft des göttlichen Wortes ist uns säkularisierten Geistern schon lange abhanden gekommen. In der arabischen Welt gilt dagegen die Rezitation des Koran noch immer als der mächtigste Gottesbeweis. Im Dichterduell mit dem Propheten Mohammed, so will es die Fama, sind die bedeutendsten arabischen Dichter der frühmittelalterlichen Periode kläglich unterlegen. So auch der allseits verehrte Poet Labid ibn Rabia, der sich im Bewusstsein des sicheren Triumphes dazu herabließ, Verse des damals noch als obskurer Gaukler verschrieenen Mohammed zu rezitieren. Überwältigt von der Schönheit der Mohammedschen Verse, so erzählt die Legende, bekannte sich Labid ibn Rabia noch an Ort und Stelle zum Islam. Die moderne arabische Poesie, etwa die des syrischen Dichters Adonis, steht dagegen in unmittelbarer Konkurrenz zum Koran, beansprucht sie doch ähnliche Offenbarungskraft wie die islamische Religion und reklamiert damit in ketzerischer Weise einen sakralen Status für sich.

Michael Braun | 23.11.2002
    Von der fortdauernden "erstaunlichen Bannkraft" göttlicher Offenbarungen, aber auch von der profanen politischen Macht der Religionen erzählt nun die aktuelle Ausgabe, das Heft 149 der Zeitschrift Kursbuch. Das erscheint zunächst als ein schönes geistesgeschichtliches Paradoxon, verstand sich doch das 1965 begründete Kursbuch mindestens zwei Jahrzehnte lang als Zitadelle der Aufklärung und eines dezidiert säkularen revolutionären Weltgeistes. Nun wird in durchweg erhellenden Essays das Nachleben der monotheistischen und polytheistischen Mächte analysiert, die man dereinst mit Nietzsche für "tot" erklärt hatte. Nur der Eröffnungsbeitrag führt noch auf das Terrain des Agnostizismus, das in diesem Fall etwas Pantheistisches hat. Fritz W. Kramer berichtet vom Volk der Nuba, den vom islamistischen Sudan bedrängten Bergbauern von Kordofan, die einer Naturreligion huldigen, aber auf jedes Glaubensbekenntnis verzichten.

    Der Schriftsteller Martin Mosebach versucht dagegen seine Faszination an der alten katholischen Liturgie zu ergründen, die ihn als "wirkliches Mysterium" zutiefst erschüttert hat. Nur die Fremdartigkeit des lateinischen Ritus, so glaubt Mosebach, kann der katholischen Religion ihre Suggestionskraft zurück geben. Ohne jede Hysterie und polemische Überhitzung widmen sich die übrigen Kursbuch-Autoren der Strukturverwandtschaft zwischen den Fundamentalismen: Dabei zeigt sich, dass sich aggressive Gottesmänner in den USA, jüdische Orthodoxie und islamistische Terroristen in ihrer Apologie der Gewalt näher stehen als ihre Ideologien vermuten lassen. Was dieses Kursbuch besonders lesenswert macht, sind die Differenzierungen zum Thema Islam, Demokratie und Gewalt, die den exzellenten Essays von Navid Kermani und Werner Schiffauer zu verdanken sind.

    Schiffauer versucht die extremistische Lesart des Islam zurückzuweisen, die sich in einem Diktum von Metin Kaplan, dem Guru des sogenannten Kalifatstaats ausdrückt und die da lautet: "Wenn man Muslim ist, ist man kein Demokrat. Wenn man Demokrat ist, ist man kein Muslim." Dagegen setzt Schiffauer seine erhellenden Differenzierungen von der islamischen Vision der "Gelehrtenrepublik", in der mehrere Lesarten des Koran miteinander konkurrieren. Die politische Agitation eines Osama bin Laden, - so zeigt dann Kermani - geriert sich stets als prophetische Rede, die von dem sakralen Status der arabischen Sprache profitieren will. Eine Sakralität freilich, die Bin Laden in einen mörderischen Puritanismus verwandelt.