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Entenhausens Mauerfall

Nach 25 Jahren Mauerfall fragen sich Pädagogen und Autoren, wie man heute Kindern und Jugendlichen vermitteln kann, was die Bürger jenes "zweiten Deutschlands" 1989 außer Landes oder als Demonstranten auf die Straße trieb. Eine Idee: die Wendezeit als Comic.

Von Jacqueline Boysen | 03.11.2014
    Ein Wandbild zeigt Donald Duck in seiner wohl stärksten Rolle - als Rächer "Phantomias", aufgenommen iin Berlin im Juni 2010. Foto: Wolfram Steinberg
    Donald Duck als Graffitti auf einer Mauer (picture alliance / dpa / Wolfram Steinberg)
    Jubel, Trubel, Einigkeit – kein geringerer als Donald Duck lädt ein zur "Reise in die Geschichte". Längst haben Micky Maus und die berühmten Bewohner Entenhausens ein ganz eigenes, natürlich quietschbuntes Geschichtsbewusstsein entwickelt – und so spicken sie ihr nächstes Heft mit 16 Seiten über die Deutsche Teilung und die Friedliche Revolution. Thematisiert werden die Gründung der beiden deutschen Staaten und der Mauerbau, bebildert werden Fluchtgeschichten und schließlich die Demonstrationen im Jahr 1989, alles korrekt – und natürlich im Stil Disney´s. Ohne Sprechblasen geht im Comic nichts, aber zu Wort kommen statt der Familie Duck zunächst Zeitzeugen wie Bundespräsident Joachim Gauck oder Parteienvertreter mit ihren Erinnerungen an damals, aber auch Walter Ulbricht und jener Ost-Berliner, der am 9. November in das Mikrophon eines ZDF-Kollegen japste:
    "Wer jetzt schläft, der ist tot."
    Lebendig und komprimiert wird Weltgeschichte in einfacher Sprache und in farbenfroher Super-Illu-Anmutung präsentiert – ohne Worte allein das Jubel-Poster zum Herausnehmen. Die Redaktion der deutschen Micky Maus konnte den Historiker Hans Hermann Hertle wie auch das Deutschlandradio zur Kooperation gewinnen – vor allem hat die Bundeszentrale für politische Bildung den Ball der Comicmacher aufgenommen und das Projekt mit ins Rollen gebracht. Junge Leser mit gering ausgeprägter Neigung zum dicken, akademischen Wälzer liegen dem Präsidenten Thomas Krüger als Multiplikatoren am Herzen:
    "Außerdem ist es ein interessanter Trick, an Familien heranzukommen, indem man Kinder adressiert, die erzählen nämlich meist das, was sie gelesen haben, weiter und stellen dazu Fragen. Unser Ziel ist ja, einer Generation, die den Mauerfall und die Zeitenwende 1989 nicht erlebt hat, Geschichte zugänglich zu machen. Und nicht allein als Informationstransfer, sondern, um mit einer empathischen, emotionalen Dimension Haltung zu provozieren. Das ist nicht einfach in einer Gesellschaft, die sich in den letzten 25 Jahren drastisch verändert hat, nehmen wir nur die Einwanderung – da kommen viele Perspektiven ins Spiel, die politische Bildung zu einer Herausforderung machen."
    Und so nimmt Krüger auch putzige Gedankenspiele aus dem Heft in Kauf – wie die Frage: was wäre wenn ... die Mauer nicht gefallen wäre? Ja, da können auch Bildungsbürger etwas lernen: Natürlich wäre Angela Merkel nicht Kanzlerin der Bundesrepublik und Joachim Gauck nicht deren Präsident, aber wären wir drauf gekommen, dass Toni Kroos aus Greifswald nicht mit seiner Elf den Weltmeistertitel herbeigekickt hätte und Blockbuster wie Jerry Cotton nicht in Babelsberg gedreht worden wären?
    Auf der Suche nach einem zeitgemäßen Zugang zu neuen Zielgruppen ist freilich nicht nur Micky Maus. Im "Herbst der Entscheidung", einer Graphic Novel aus dem Ch. Links Verlag, erzählen der Historiker Bernd Lindner und der Zeichner PM Hoffmann die fiktive Geschichte von Daniel aus Leipzig in belebten Bildern.
    Der Trabi-Gag funktioniert auch im Comic
    "Aus dem 'Herbst der Entscheidung' lernen wir, wie wichtig es ist, in bestimmten Zeiten seinen eigenen Weg zu gehen, sich selbst zu vertrauen, zu gucken, was um einen herum passiert, und vor allem auch Position zu beziehen."
    Sagt Johanna Links, Redakteurin des Bandes, der bereits in die zweite Auflage gegangen ist
    "Es liegt der Fokus darauf, wie der 17-jährige Daniel in den stürmischen Zeiten, wo er nicht weiß, wo er steht, seinen Weg geht, und das steht für diese ganze Generation der Jugendlichen, die verunsichert waren."
    In dem Band trifft die fiktive Hauptperson auf reale Protagonisten aus der Leipziger Bürgerrechtsszene des Jahres 1989 – und nimmt den Leser mit auf eine authentische und spannende Zeitreise.
    "Es geht um die Wirkung der Bilder, das ist ein Entré, das man sonst nicht hat. Bilder sind das, was man zuerst wahrnimmt. Deshalb war es uns wichtig, dass die Bilder nicht zu verspielt sind, es ist schwarz-weiß, es ist manchmal fast fotorealistisch, das passt zu dem Stil, wir driften nicht ab zum Beispiel in Traumsequenzen."
    Der – wie Micky´s Sonderbeilage auch – mit einem Glossar versehene Band zeigt, dass die Geschichtsdidaktik hierzulande viel zu lange die Nase gerümpft hat über Medien, die poppiger und schriller daherkommen als enzyklopädische Werke.
    "Es ist definitiv so, dass sich Jugendliche so dem Thema annähern, das ist spannend, es ist die Geschichte meiner Eltern und damit auch meine eigene – und ich glaube, dass man da viel mutiger sein muss."
    Ob das gleich der Mut zum verspäteten Systemvergleich wie bei Micky Maus sein muss? Auf der einzigen in klassischer Art erzählten Donald-Duck-Bilderfolge jedenfalls erfährt ausgerechnet der Trabi eine nachträgliche Rehabilitierung: Zwar stellen die drei Donald-Neffen dem als Rennpappe in Erinnerung gebliebenen DDR-Sparautomobil schlechte Umweltverträglichkeitswerte aus – das qualmende Vehikel ihres Onkels Donald aber gefällt dem geschichtsbewussten Ententrio noch weniger. So taugt die realsozialistische Autokreation aus Zwickau auch im Jahr 25 nach dem Mauerfall immer noch zum Gag.
    PM Hoffmann, Bernd Lindner: "Herbst der Entscheidung. Eine Geschichte aus der friedlichen Revolution 1989." Ch. Links Verlag, 96 Seiten, 14,90 Euro.

    Das Micky-Maus-Dossier zu 25 Jahren Mauerfall erscheint am 7. November. Beilage zu Heft 46 der Micky Maus, Preis: 2,99 Euro.