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Das große spanische Vergessen

In "La gran desmemoria" beschreibt die Journalistin Pilar Urbano die Beziehung zwischen Juan Carlos und dem ehemaligen Ministerpräsidenten Adolfo Suárez. Darin kommt der scheidende König gar nicht gut weg, denn die Autorin stellt sein Demokratie-Verständnis infrage.

Von Julia Macher | 16.06.2014
    Adolfo Suarez (l.) am 17. November 1978 im Gespräch mit dem spanischen König Juan Carlos auf dem Flughafen von Madrid
    Adolfo Suarez (l.) am 17. November 1978 im Gespräch mit dem spanischen König Juan Carlos (dpa/EFE/FILES)
    "La gran desmemoria" - "Das große Nicht-Erinnern" ist ein doppeltes: Zum einen spielt der Titel - nicht gerade subtil - auf die jahrzehntelange Alzheimer-Erkrankung des spanischen Ex-Ministerpräsidenten Adolfo Suárez an; zum anderen umschreibt er das Vergessen, dem der im Frühjahr verstorbene Politiker lange anheimgefallen ist. Súarez war einer der Architekten des paktierten Übergangs von der Franco-Diktatur zur Demokratie. In der öffentlichen Wahrnehmung aber stand er im Schatten des Königs. Zu Unrecht, sagt Pilar Urbano.
    "Wenn der König es nicht gewollt hätte, hätten wir hier keine Demokratie. Ja, er hat dem Umbau des Systems zugestimmt. Aber der Motor des Wandels, das war Adolfo Suárez, nicht der König. Die Legalisierung der Kommunistischen Partei? Die haben Suárez und Martín Villa eingefädelt, der König saß in Paris und hat protestiert. Die Verfassung? Die haben die sieben Verfassungsväter geschrieben, nicht der König. Ich habe ihm nacheinander alle Medaillen von der Brust genommen und ihn entmystifiziert."
    Mitten in der größten Krise der spanischen Monarchie wird Urbanos Buch in erster Linie aber nicht als Hommage an den Ex-Präsidenten, sondern als massive Kritik am Ex-König gelesen: Denn Urbano greift den zentralen Mythos der Herrschaft Juan Carlos des Ersten an - sein Verhalten am 23. Februar 1981. Unter dem Kommando des Oberstleutnant Antonio Tejero stürmten damals zwei Hundertschaften der paramilitärischen Polizei Guardia Civil das spanische Parlament, dem Land drohte die Rückkehr der eben erst überwundenen Militärdiktatur.
    Vorwürfe nicht neu
    Juan Carlos setzte dem Spuk nach gut 17 Stunden mit einer historischen Fernsehansprache ein Ende - und begründete so seinen Ruf als Retter und Garant der Demokratie. Doch Pilar Urbano zufolge war der Putschversuch lediglich eine Konsequenz der Operation Armada: Ministerpräsident Adolfo Suárez, geschwächt durch ETA-Terrorismus, Wirtschaftskrise und sein vehementes Nein zur NATO, sollte gestürzt werden, eine "Regierung der nationalen Rettung" vorübergehend die Macht übernehmen, unter dem Vorsitz von General Alfonso Armada. Juan Carlos gehörte laut Urbano zu den treibenden Kräften hinter dieser Verschwörung, an der sich neben dem Geheimdienst das Militär und hochrangige Politiker der Sozialisten beteiligten. Mit seinem Rücktritt kam Suárez der Aktion zwar zuvor, doch die Militärs konnten nicht mehr gestoppt werden. Auch jenseits dieser Episode stellt die Autorin das Demokratie-Verständnis des Monarchen in Frage, etwa, wenn sie seine nach eigenem Gutdünken und ohne Absprache mit dem Ministerpräsidenten gewährten Audienzen schildert:
    "Macht, Gegenmacht und Transparenz sind das ABC einer Demokratie. Aber die königliche Verfügungsmacht über die Audienzen unterstand nie irgendeiner Kontrolle. Das machte (...) sie zu einer gefährlichen Waffe. Denn so konnten die (...) Beschwerdeführer, die Putsch-Befürworter, die Vaterlandsretter den Zarzuela-Palast im Glauben verlassen, der König stünde auf ihrer Seite."
    Die Zweifel an Juan Carlos' Rolle während des Putschversuches sind nicht neu. Die entscheidenden Dokumente sind unter Verschluss, doch immer wieder haben Historiker die These einer Beteiligung aufgegriffen, wenn auch nicht mit der gleichen Breitenwirkung. Pilar Urbano - Biografin von Noch-Königin Sofia - ist in Spanien eine einflussreiche, konservative Journalistin. Das hat das Buch zum Politikum gemacht. Bereits vor der Veröffentlichung regnete es Dementi; sie sei zur Persona non grata erklärt worden, meint Pilar Urbano:
    "Ich weiß, dass das Königshaus versucht hat mit allen Mitteln, das Erscheinen des Buches zu verhindern. Ich hatte mit allen Radio- und Fernsehsendern Interviews in der Prime-Time vereinbart, aber plötzlich wurden sie der Reihe nach abgesagt, auf Anweisung der Chefs. Das Königshaus Zarzuela hat seine ganze Artillerie aufgewandt, um mich zum Schweigen zu bringen."
    Packend wie ein Roman
    Den Verkaufszahlen hat das nicht geschadet - im Gegenteil. Auch Urbanos plastischer Stil trägt zum Erfolg bei. Der dicke Wälzer liest sich packend wie ein Roman. Und genau das jedoch ist die Schwachstelle des Buches: Pilar Urbano fabuliert. Sie lässt Schäferhunde zu Füßen des Königs knurren, beschreibt den Duft von Paella und Cohibas und gibt in Dialogform seitenlang Gespräche wieder, bei denen sie gar nicht dabei gewesen sein kann. Zwar werden die Quellen dieser Rekonstruktionen im Anhang aufgeführt, aber häufig sind es persönliche Notizen der Autorin, Erinnerungen an von ihr geführte Gespräche - mit verstorbenen Kronzeugen. Besonders problematisch wird diese Methode, wenn sie Bruchstücke zu historischen Quellen verdichtet und den Wortlaut eines Briefes wiedergibt, in dem der König den Präsidenten nachdrücklich vor der Legalisierung der Kommunistischen Partei warnt. Befremdlich klingen auch Schlüsselszenen wie der finale Streit zwischen Suárez und Juan Carlos, am Tag nach dem gescheiterten Putsch:
    Juan Carlos: "Du Scheißkerl bedrohst mich? Hast du noch nicht kapiert, dass der Putsch gegen dich war? So wie du mit mir redest, so will ich dich nicht hier haben."
    Suárez: "Du sagst, ich soll Spanien, meine Heimat, verlassen?"
    Juan Carlos: "Wir beide haben keinen Platz im gleichen Land, noch weniger im gleichen Boot. Entweder du oder ich, und ich denke nicht daran, zu gehen. Hau endlich ab, verdammt. Politisch gesehen bist du tot! Adolfo, ich will nicht, dass du weiter machst."
    Suárez: "Entschuldigen Sie, mein Herr, ich bin zu weit gegangen. Zu meiner Entlastung verweise ich auf die Anspannung in diesen dramatischen Stunden."
    Juan Carlos: "Entschuldigung auch von mir. Wir haben hier kein Auge zugedrückt. Ein heißes Bad wird uns beiden guttun."
    Dabei wäre solche um Authentizität heischende Doku-Fiction gar nicht notwendig gewesen: Ihre zentrale These, nach der Juan Carlos bei der Demokratisierung Spaniens öfter mal aufs Bremspedal drückte, lässt sich auch so hinreichend belegen. Gut möglich, dass Pilar Urbanos Blick das künftige Bild des abgedankten Monarchen prägen wird. Nach Juan Carlos' Rückzug aufs Altenteil ist sie wohl die gefragteste Interview-Partnerin Spaniens: von Schweigegebot keine Spur.
    Pilar Urbano: "La gran desmemoria: Lo que Suárez olvidó y el Rey prefiere no recordar", Editorial Planeta, 888 Seiten, 25,90 Euro. ISBN: 978-8-408-12145-9.