Donnerstag, 25. April 2024

Archiv


Kursiv: Streit unter Stasi-Opfern

Nicole Glocke schildert das Leben des Eugen Mühlfeit, eines Dissidenten aus der Tschechoslowakei, der in die Fänge der Geheimdienste geriet. Mühlfeit war an einem illegalen Kunsthandel beteiligt, in den auch, so sagt er es, Robert Havemann involviert war. Eine Behauptung, die nun möglicherweise deutsche Gerichte beschäftigen wird.

Von Thomas Moser | 24.08.2009
    "Das Schlimmste ist die maßlose Unmenschlichkeit. Ich kann heute noch nicht damit leben, wenn ich daran denke, was ein Mensch einem anderen antun kann."
    Die Geschichte von Eugen Mühlfeit hört sich an, wie aus fernsten Zeiten. Doch sie ereignete sich in den 80er-Jahren, mitten in Europa und mitten im sogenannten Entspannungsprozess zwischen Ost und West. Eine Geschichte, jetzt durch das Buch erstmals veröffentlicht, die Abwehrreflexe hervorruft. In aller möglichen Kürze: Eugen Mühlfeit, Jahrgang 1952, ist Tscheche mit deutscher Abstammung. Die Familie blieb nach dem Krieg von Vertreibung verschont, weil sie Juden geholfen hatte. Er erlebte den Prager Frühling und seine Niederschlagung 1968. Auf dem Titelfoto des Buches sieht man ihn mitten in einer Menschenmenge, die sowjetische Panzer umringt. Mit 19 unternahm er den ersten Fluchtversuch und landete für eineinhalb Jahre im Gefängnis. Ende der 70er-Jahre beteiligte er sich dann an einem geheimen Transfer von Bildern und Grafiken tschechoslowakischer Künstler über Ostberlin nach Westberlin. Dabei soll auch der DDR-Dissident Robert Havemann ab und zu involviert gewesen sein. Dessen Witwe Katja Havemann aber bestreitet das. Ihr Dementi ist auch im Buch zu lesen. Trotzdem ist um diese Passage des Buches nun ein massiver Streit entbrannt.

    Doch der Reihe nach: Der tschechoslowakische Staatssicherheitsdienst StB erfuhr damals von dem geheimen Bilder-Transport und setzte Mühlfeit unter Druck. Der erklärte sich schließlich zur Zusammenarbeit bereit, aus taktischen Gründen, wie er heute sagt. Von diesem Zeitpunkt an geriet Mühlfeits Leben immer weiter aus den Fugen, ihm wurde zunehmend die Kontrolle über sein Handeln genommen. Nach einem von der tschechischen Stasi genehmigten Aufenthalt in Westberlin kehrte er zusammen mit Frau und Sohn nicht in die CSSR zurück. Stattdessen offenbarte er im Durchgangslager Marienfelde in West-Berlin dem Vertreter eines US-Dienstes, vermutlich CIA, seine Stasi-Kontakte. Und zwar in der Hoffnung, dadurch unter den Schutzschirm eines West-Geheimdienstes zu treten. Doch das Gegenteil war der Fall.

    "Mein größter Fehler, denk ich mir im Abstand, war die Naivität. Ich hätte niemals geahnt, dass die Geheimdienste sich jeglicher Justiz entziehen, dass sie ihre eigenen Gesetze haben."
    Die langen Arme der tschechischen Stasi reichten nämlich bis in den Westen. Durch Drohungen, die in der Tschechoslowakei zurückgebliebenen Verwandten zu bestrafen, wurden Mühlfeits Frau genötigt, mit ihrem Sohn nach Prag zurückzukehren. Mühlfeit blieb in Berlin und wurde am 31. Oktober 1981 von einem Kommando der DDR-Staatssicherheit aus seiner Wohnung entführt und in die CSSR gebracht. Dass es noch in den 80er-Jahren solche Verschleppungen gab, war bisher nicht bekannt. In Prag wurde er als Verräter zu verschärfter Lagerhaft verurteilt. Was Eugen Mühlfeit nun schildert und was die Biografin Nicole Glocke in dem Buch niedergeschrieben hat, verschlägt einem die Sprache: Misshandlungen, Folter, körperliche Arbeit bis zum Zusammenbruch, Häftlinge, die von Wärtern zu Tode geprügelt wurden.

    Mühlfeit ist seit der Haft zu 100 Prozent schwerbehindert. Seit 1990 lebt er mit Frau und Sohn in Berlin. Er ist strafrechtlich zwar rehabilitiert, auf die Haftentschädigung wartet er aber bis heute vergeblich. Doch jetzt wird das Buch von unerwarteter Seite angegriffen. Katja Havemann sieht ihren verstorbenen Mann, den DDR-Dissidenten Robert Havemann, diffamiert. Er werde durch das Buch mit - so wörtlich - "illegalen Kunstschiebereien" in Verbindung gebracht, erklärt sie und greift dabei auf Logik und Diktion der DDR-Gesetze zurück. Doch Mühlfeits Bilderhandel – und damit auch Robert Havemanns behauptete Beteiligung daran, ließen sich auch ganz anders deuten. Nämlich als legitimer Einsatz zugunsten von Künstlern, denen es im kommunistischen System verboten war, über ihre Kunstwerke frei zu verfügen und sie zu verkaufen, an wen sie wollten.

    Obwohl ihre Position im Buch wiedergegeben wird, verlangt Katja Havemann jetzt, die Stellen über ihren Mann zu streichen. Außerdem will sie eine Entschädigung in Höhe von 50.000 Euro. Der Lukas Verlag und seine Autorin lehnen dies ab. Der Streit zieht mittlerweile Kreise: Die Stiftung Aufarbeitung, die die Herausgabe des Buches finanziell unterstützte, verlangt von Nicole Glocke eine Stellungnahme zu Katja Havemanns Vorwürfen. Und die Stasi-Unterlagen-Behörde, die Glocke und Mühlfeit für September zur Vorstellung ihres Buches eingeladen hatte, hat beide wieder ausgeladen. Ohne Begründung. Die Biografin Nicole Glocke.

    "Mein Befremden bezieht sich auch auf die Tatsache, dass ein Buch, das über die Machenschaften der Geheimdienste ja berichtet, dass ausgerechnet eben solch ein Buch bekämpft wird."

    Thomas Moser war das über den Streit zwischen Katja Havemann und dem Lukas-Verlag. Das Buch, das diesen Streit entfacht hat, heißt: "In den Fängen von StB, MfS und CIA. Das Leben und Leiden des Eugen Mühlfeit". Die Autorin ist Nicole Glocke, das Buch ist - wie gesagt - im Lukas Verlag erschienen, es hat 216 Seiten und kostet 16 Euro 90.