Samstag, 20. April 2024

Archiv


Kursiv: "Zeitungszeugen"

Bayrische Richter beschäftigen sich derzeit mit der Zeitschrift "Zeitungszeugen". Die Blattmacher wollen den Nationalsozialismus anhand von Originaldokumenten erklären. In ihrer Zeitschrift drucken sie daher ganze Seiten aus dem "Völkischen Beobachter" oder "dem Angriff" nach, um so nachzuzeichnen, welche Informationen den Menschen damals zur Verfügung standen.

Von Detlef Grumbach | 26.01.2009
    "Ich unterstelle dem Bayerischen Finanzministerium natürlich nur gute Absichten, aber es ist eine Auffassung, womit sie konträr zur gesamten Historikerschaft liegen. Und sie lassen sich offenbar nicht belehren, denn die Diskussion um die Rechte, die der Freistaat Bayern am Eher-Verlag hat, gibt es ja schon seit vielen Jahren."

    Axel Schildt, Professor für Deutsche Geschichte an der Universität Hamburg und Direktor der Forschungsstelle für Zeitgeschichte, hat kein Verständnis für das Vorgehen der Bayern gegen die "Zeitungszeugen". Und nicht zum ersten Mal berufen diese sich auf das Urheberrecht an NS-Dokumenten, verhindern mit diesem Argument seit Jahren schon eine historisch-kritische Ausgabe von Hitlers "Mein Kampf".

    "Es ist völlig anachronistisch in einer Zeit, in der wir mit dem Internet leben, wo vieles, was dann verboten wird, auf dieses Weise anderswo zu beschaffen wäre, sich auf das Urheberrecht in dieser Weise zu beziehen. Und es soll doch auch keiner glauben, dass jetzt also Neonazis angewiesen wären auf diese Art von Veröffentlichungen, um sich zu munitionieren. Das ist ein geradezu lachhafter Gedanke."

    Wie zuvor schon in Österreich und auch in anderen europäischen Ländern will der englische Verleger Peter McGee jetzt ein Jahr lang jeden Donnerstag seine "Zeitungszeugen" an die deutschen Kioske bringen: Unveränderte und vollständige Nachdruck einzelner Zeitungen aus der NS-Zeit: bürgerliche und oppositionelle Zeitungen aus Deutschland und aus dem Exil, und eben auch Zeitungen der NSDAP.

    "Deutsches Berlin: Fahnen heraus!" jubelt in der ersten Ausgabe der nationalsozialistische "Angriff", "Die erste Sitzung des Kabinetts Hitler" titelt scheinbar neutral die "Deutsche Allgemeine Zeitung", der kommunistische "Kämpfer" ruft auf zu "Massenstreik! Massendemonstrationen!". Drei Zeitungen je Ausgabe dokumentieren die öffentlich verbreiteten Nachrichten und Meinungen zu bestimmten Anlässen und Themen. Zusammengehalten werden die Nachdrucke durch einen Mantel, in dem der Leser eine Chronik der Ereignisse, knappe Informationen über die Personen und eine historische Einordnung findet: für die Kritiker lediglich ein Feigenblatt, dass Missbrauch kaum verhindern kann, für die Macher Anreiz und Kompass für die inhaltliche Beschäftigung mit der Geschichte.

    Die ersten beiden Ausgaben beschäftigen sich mit der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler und mit dem Reichstagsbrand. Der Leser wird auf die Behinderung der Pressefreiheit hingewiesen, auf den völligen Mangel eines bürgerlichen Widerstands gegen Hitler, darauf, dass der Begriff der "Machtergreifung" eine Propagandalegende der Nazis ist und wie nach dem Reichstagsbrand der systematische staatliche Terror begann. In den nachgedruckten Zeitungen finden sich aber auch ganz normale Nachrichten, Meldungen über Schmugglerbanden, Männerleichen und das Börsengeschehen: Geschichte zum Anfassen, zum Blättern und Staunen, eine Fundgrube für Referatsthemen in der Oberstufe, interessanter wahrscheinlich, so Axel Schildt, als manche trockene Schulbuchlektüre.

    "Wenn man eine ganze Tageszeitung faksimiliert, ist das natürlich eine besondere Quelle, die auch ihre besonderen Qualitäten hat. Weil, man merkt eben auch, da steht etwas über irgendwelche Kriminalfälle, über das Wetter und anderes. Die Menschen dort haben auch ihren Alltag gehabt, eine Alltagsdimension, in die sich dann die große Geschichte einbetten muss. Das finde ich, ist durchaus interessant. Das ist Geschichte, das trägt auch die Aura von Geschichte, und nicht von etwas Faszinierendem, an dem man sich orientieren könnte."

    Dennoch gehen die Bayerischen Finanzbeamten gegen diese eigentlich harmlose Bleiwüste in Fraktur vor. Formal berufen sie sich dabei auch auf das Urheberrecht. Es liegt beim Freistaat, weil der NSDAP-Verlag seinen Sitz in München hatte. Doch einerseits läuft es ohnehin bald aus, andererseits geht es immerhin um historische Dokumente. Inhaltlich argumentieren die Bayern, sie wollten den Missbrauch der Nachdrucke zu Propagandazwecken verhindern.

    NS-Propaganda sieht heute allerdings ganz anders aus. Aber auch an die aufklärende Wirkung der "Zeitungszeugen" darf man wohl nicht allzu hohe Erwartungen knüpfen, selbst wenn hochkarätige und politisch unverdächtige Historiker wie Hans Mommsen die Begleittexte schreiben. Wahrscheinlich ist das Projekt nicht mehr und nicht weniger als eine gut funktionierende Geschäftsidee. Die gegenwärtige Aufregung ist es kaum wert, so wenig wie die Kleiderständer der Discounterkette Kik, die von oben betrachtet die Form von Hakenkreuzen haben. Aber auch damit werden sich - nach Anzeige eines aufmerksamen Bürgers - wohl deutsche Gerichte beschäftigen müssen.

    Detlef Grumbach über die "Zeitungszeugen". Die Zeitschrift gibt es für 3,90 Euro am Kiosk, weitere Informationen im Internet unter www.zeitungszeugen.de.