Dienstag, 23. April 2024

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Kurt Vile: "Bottle It In"
Slacker-Pop gegen eine stressige Welt

Immer größer, immer erfolgreicher, immer populärer: Damit will Kurt Vile, ein Singer-Songwriter aus Philadelphia, nichts zu tun haben. Er steht für Verweigerung, für Entschleunigung, für unkonventionelle Ideen und ein kleines bisschen Rebellion - und sei es nur im täglichen Berufsverkehr.

Von Marcel Anders | 13.10.2018
    Kurt Vile 2018
    Hat Flugangst - und ein ungewöhnliches Mittel dagegen: Kurt Vile (Jo McCaughey)
    Kurt Vile ist ein kauziger Typ. Das gilt für sein Erscheinungsbild aus langen Haaren, Holzfällerhemd und ramponierten Chucks. Die seltsamen Grimassen, die er beim Reden zieht. Aber auch seine Arbeitsweise, die auf möglichst wenig Stress abzielt. Die 13 Songs auf "Bottle It In" hat er im Rahmen seiner letzten Tour aufgenommen und während des anschließenden Urlaubs mit seiner Familie. Dabei hat es ihn nach Kalifornien und Nashville verschlagen - und er konnte mit dem PKW statt mit dem Flieger reisen. Nicht unwichtig für jemanden mit chronischer Flugangst.
    "Es ist einfach Teil meiner Persönlichkeit, dass ich im Flieger panisch werde. Das hat sich zum Glück etwas gelegt, aber während der Session war es besonders schlimm. Es ist die Vorstellung, so hoch in der Luft zu sein - 9000 Meter über dem Boden - und komplett ausgeliefert. Ich hatte lange richtige Panikattacken, die ich nur mit Alkohol bekämpfen konnte. Aber wie gesagt: Es wird langsam besser."
    Countrymusik gegen Flugangst
    So ungewöhnlich wie Viles Charakter ist auch sein Mittel gegen Flugangst: Er hört klassische Country-Alben. Die - so sagt er - beruhigen seine Nerven und seien gesünder als exzessiver Alkoholkonsum. Außerdem habe er sich auf diese Weise in Charlie Rich verliebt: Einem verstorbenen Country-Crooner, der seine größten Erfolge in den 70ern hatte - ehe er sich im Suff verlor. Sein "Rollin With The Flow" hat Vile nun gecovert. Als aufrichtige Hommage.
    "Ich habe eine echte Country-Obsession entwickelt - gerade für dieses Stück, das ich auf einer ´Greatest Hits´ gefunden habe. Er ist vielleicht ein bisschen schnulzig mit den vielen Streichern und den Background-Sängerinnen. Aber ich orientiere mich trotzdem am Original. Ich lasse nur den typischen Country-Schmalz weg."
    Country ist nur eine von vielen Spielarten, die Vile auf seinem siebten Album bemüht. Das pendelt zwischen Pop, Rock und Americana – zwischen Anleihen bei Tom Petty, Neil Young und John Prine. Mal mit Streichern, Klavier oder Saxofon, mal betont minimalistisch - aber immer mit Ecken und Kanten. Denn Vile ist ein genialer Autodidakt. Kein Virtuose, sondern ein Klangtüftler, der seine Songs für sozio-politische Botschaften nutzt. Etwa in Sachen Umweltschutz, Trump-Administration oder Konsumverhalten.
    Dem Zeitgeist trotzen
    "SUVs und Mobiltelefone sind zwar praktisch, aber sorgen auch dafür, dass die meisten Leute immer unkonzentrierter sind und ihre Umgebung nicht mehr richtig wahrnehmen. Was ja auch nicht erforderlich ist. Wir schauen alles im Telefon nach. Wobei wir von Pop-Ups abgelenkt werden, die uns regelrecht in Beschlag nehmen. Ich muss mich zum Beispiel ständig fragen, was ich eigentlich nachschauen wollte."
    Doch Kurt Vile kritisiert und karikiert nicht nur: Er serviert auch Lösungsvorschläge, die - je nach Gusto - naiv oder subversiv anmuten. Etwa im Umgang mit dem Verkehrschaos in seiner Heimatstadt Philadelphia. Davon ist er so genervt, dass er im Song "Loading Zones" das ungenierte Kurzparken in sogenannten Ladezonen propagiert.
    "Ich komme nicht IMMER damit durch, aber oft. In der Stadt gibt es etliche Parkzonen, in denen man einfach kurz halten und in ein Geschäft springen kann. Und diese Methode ist ja auch eine Metapher fürs Leben. Nämlich einfach mal andere Wege zu gehen."
    Kurt Vile 2018
    Zwischen Pop, Rock und Americana: Kurt Viles neues Album (Jo McCaughey)