Freitag, 29. März 2024

Archiv

Kurz (ÖVP) zu EU-Hilfsfonds
"Die volle Vergemeinschaftung von Schulden verhindern"

Der EU-Hilfsfonds für die von der Coronakrise besonders betroffenen Staaten sei grundsätzlich gut, sagte der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) im Dlf. Es müsse diskutiert werden, was davon Kredite oder Zuschüsse sein sollten. Denn es sei ein großer Unterschied für die Länder, die es bezahlen sollen.

Sebastian Kurz im Gespräch mit Peter Sawicki | 23.05.2020
Der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) auf der Pressekonferenz "Urlaub in Österreich"
Der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) auf einer Pressekonferenz in Wien (dpa / apa / Herbert P. Oczeret)
Beim geplanten EU-Hilfsfonds muss es "am Ende des Tages einen Kompromiss geben", sagte der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) im Dlf. "Wir wollen eine zeitliche Befristung, damit es wirklich eine Corona-Soforthilfe ist und nicht zu einer Schuldenunion wird." Es sei legitim, dass die großen Länder Deutschland und Frankreich vorangegangen seien und einen Vorschlag für den Hilfsfonds vorgelegt hätten, sagte Kurz. "Aber am Ende müssen alle zustimmen." Es gelte hier eine "Lösung mit Augenmaß" zu finden. Die Niederlande, Dänemark, Schweden und Österreich würde in Kürze ihre Ansichten zu diesem Thema darlegen.
"Wir wollen helfen, wir wollen solidarisch sein, aber wir sind auch den Menschen in unserem Land verpflichtet", sagte der österreichische Bundeskanzler. Es brauche eine starke europäische Antwort und die Hilfe solle unbürokratisch und schnell fließen. Aber es müsse auch eine Debatte über das wie geführt werden. Am allerwichtigsten sei ihm die zeitliche Befristung der Hilfen, denn viele Südländer und auch Frankreich kämpften seit Jahren für eine Schuldenunion, für eine volle Vergemeinschaftung von Schulden. Und diese Staaten würden jede Gelegenheit nutzen, einen weiteren Schritt in diese Richtung zu machen. "Das gilt es zu verhindern", sagte Kurz.
33D-Modell des Coronavirus SARS-CoV2
Alle Beiträge zum Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)

Peter Sawicki: Herr Bundeskanzler, Sie haben ja in dieser Woche bereits erläutert, dass Österreich solidarisch sei in der Coronakrise. Haben Sie mit Blick auf Solidarität eine andere Auffassung als Angela Merkel und Emmanuel Macron?
Sebastian Kurz: Also zunächst einmal, glaube ich, muss man festhalten, dass es ja hier einen gut aufgesetzten Prozess gibt. Die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen leitet diesen Prozess, ist hier in ständigem Kontakten mit allen Mitgliedsstaaten, auch mit uns in Österreich. Die Idee, dass es einen Fonds geben soll, dass die Wirtschaft in Europa unterstützt wird, dass in Digitalisierung, in Ökologisierung investiert wird und dass wir alles tun wollen, um vor allem auch die Länder zu unterstützen, die am stärksten von der Krise betroffen sind, diese Auffassung teilen alle. Aber natürlich gibt es unterschiedliche Zugänge in diesem Prozess, der bei Ursula von der Leyen zusammenläuft und wo es am Ende des Tages einen Kompromiss geben muss.

Sawicki: Genau.
Kurz: Jetzt haben wir alle den Vorschlag von Emmanuel Macron und Angela Merkel mitverfolgt, und natürlich gibt es da Bereiche, die deckungsgleich sind, wie grundsätzlich die Idee, einen Fonds zu schaffen, die Staaten zu unterstützen. In der Frage Kredite oder Zuschüsse gibt es unterschiedliche Auffassungen, und was uns ganz besonders wichtig ist, wir wollen eine zeitliche Befristung, damit es wirklich eine Corona-Soforthilfe ist und nicht zu einer Schuldenunion durch die Hintertür wird.
"Wir haben uns zu einer kleinen, aber doch feinen Gruppen zusammengetan"
Sawicki: Genau das war ja auch die Forderung vieler Politiker in der CDU hier in Deutschland, und die sehen darin jetzt ganz klar einen Vorschlag, der zeitlich begrenzt ist. Das sagt ja auch Finanzminister Olaf Scholz, dass dann dieser Fonds durch die Mitgliedsstaaten ja dann wieder zurückgezahlt werden soll an die Finanzmärkte. Insofern müssten Sie hier doch zustimmen können an dem Punkt.
Kurz: Die Niederlande, Dänemark, Schweden und Österreich, also wir vier kleinen, aber doch wirtschaftlich relativ starken und sparsamen EU-Länder, wir haben uns hier zusammengetan in einer kleinen, aber doch feinen Gruppen, und wir haben in den nächsten Tagen auch eine Reaktion dazu veröffentlicht.
Jetzt gibt es da die Südländer, die grundsätzlich noch mehr wollen, es gibt die Vorschläge von Deutschland und Frankreich. Das ist ja auch legitim, dass die beiden großen Länder vorangehen, aber am Ende müssen natürlich alle 27 zustimmen, und da wollen wir auch noch unsere Ideen einbringen. Wie gesagt, Dänemark, Niederlande, Schweden und wir sind der Meinung, es muss noch drüber diskutiert werden, wie viel dieser 500 Milliarden sind Zuschüsse, und wie viel sind Kredite. Das Wichtigste ist, wie schaffen wir wirklich eine verbindliche zeitliche Befristung, damit nicht dann der nächste Schritt die Schuldenunion ist, die Vergemeinschaftlichung von Schulden, weil das hat Deutschland, soweit ich das weiß, wirklich ja auch immer abgelehnt, und das finden wir auch gut so.
Westansicht des Reichstagsgebäudes in Berlin
EU-Hilfsplan - Wiederaufbaufonds wäre gut angelegtes Geld
Beim Merkel-Macron-Vorschlag zeichnet sich innenpolitisch Einsicht in das Vernünftige ab, kommentiert Theo Geers. Selbst Pfennigfuchser müssen zugeben: So teuer wird der europäische Wiederaufbaufonds gar nicht.
Sawicki: Aber verstehe ich Sie da richtig, wenn Sie sagen, eine Aufteilung beispielsweise von Zuschüssen und Krediten, dem würden Sie zustimmen?
Kurz: Also wir werden jetzt nicht die Verhandlungen hier über das Telefon führen können, aber …
Sawicki: Vielleicht können Sie uns ja Einblicke geben.
Kurz: Das versuche ich, soweit ich das kann. Grundsätzlich ist das natürlich ein großer Unterschied für die Länder, die es auch bezahlen sollen, und das sind natürlich die vorhin genannten kleineren Länder. Deutschland, einige wenige Länder, die finanzstark sind, die müssen hier sehr viel Geld in die Hand nehmen. Darum ist es wichtig, hier noch mal zu besprechen, in welcher Form soll das sein, aber am allerwichtigsten ist die zeitliche Befristung, weil wir müssen schon wissen, dass viele Südländer, aber auch Emmanuel Macron seit Jahren für eine Schuldenunion kämpfen, für eine volle Vergemeinschaftlichung von Schulden.
Bei aller Freundschaft, aber diese Staaten werden selbstverständlich jede Möglichkeit nutzen, einen weiteren Schritt in diese Richtung zu machen und vielleicht ihn als nur einen ersten Schritt zu betrachten, und das gilt es zu verhindern.
"Wir wollen helfen, wir wollen solidarisch sein"
Sawicki: Aber wenn man sich dann auf eine zeitliche Befristung einigt, vertrauen Sie dann diesen Ländern nicht, dass sie sich dran halten?
Kurz: Dran halten werden sich Staaten immer, wenn etwas auch rechtsverbindlich vereinbart ist, aber der politische Wille dieser Staaten, der wird sich nicht ändern. Aus Sicht von Italien oder Spanien oder Frankreich kann ich das sehr gut nachvollziehen, je mehr Steuergeld man hier aus Deutschland, Österreich, den Niederlanden erhalten kann desto besser. Es ist aber, glaube ich, auch unsere Aufgabe, unsere Steuerzahler zu vertreten und hier einfach eine Lösung mit Augenmaß zustande zu bringen.
Wir wollen helfen, wir wollen solidarisch sein, aber wir sind auch den Menschen in unserem Land verpflichtet, die tagtäglich hart arbeiten, die diese Steuerleistungen erbringen, um deren Beitrag es hier am Ende des Tages ja geht. Es sind ja nicht die Politiker, die das bezahlen, sondern die hart arbeitenden Menschen.
A view taken on May 12, 2020 in Venice shows a deserted Grand Canal near the Rialto bridge, during the country's lockdown aimed at curbing the spread of the COVID-19 infection, caused by the novel coronavirus. With the tourism sector reeling, the European Commission was on May 13, 2020 to present a rescue plan for the sector. Vincenzo PINTO / AFP
Italiens Not und Europas Geld
"Erst starben die Menschen, jetzt stirbt die Wirtschaft": So hört man es aus Italien. Dort hoffen Regierung und Bürger auf europäische Solidarität und milliardenschwere Hilfszahlungen.
Sawicki: Und trotzdem sagt die Bundeskanzlerin, das ist eine außergewöhnliche Situation, die einer außergewöhnlichen Maßnahme bedarf. Sehen Sie das nicht so?
Kurz: Diese Einschätzung teile ich, sonst würde es ja gar nicht die Idee dieses großen Fonds überhaupt geben. Ich bin absolut der Überzeugung, dass es eine starke europäische Antwort braucht, dass es hier eine deutliche Wucht auch braucht, um wirtschaftlich gegenzusteuern, aber natürlich ist es notwendig, auch eine Debatte über das Wie zu führen und am Ende des Tages auf europäischer Ebene, so wie das immer ist, einen Kompromiss hoffentlich zu erzielen.
Sawicki: Vielleicht ganz kurz dazu noch: Bis wann könnte es eine Einigung geben auf europäischer Ebene bei diesem Thema?
Kurz: Das kann ich nicht voraussagen. Ich kann nur sagen, dass Ursula von der Leyen aus unserer Sicht diesen Prozess ausgezeichnet managt, und insofern gehe ich auch davon aus, dass am Ende eine gemeinsame Kompromissfindung möglich sein wird. Wie schnell das genau geht, das weiß ich nicht. Das Wichtige wird aber sein, dass das Ergebnis ein solches ist, dass diese Hilfe auch unbürokratisch fließen kann, dass es eine schnelle Hilfe ist. Ich glaube, wenn es nur drum geht, Finanzlöcher aus vergangenen Zeiten zu stopfen, dann wird das der europäischen Wirtschaft wenig helfen. Ich glaube, diese Treffsicherheit, die muss auch hergestellt sein.
"Wir leben alle vom Binnenmarkt"
Sawicki: Dann schauen wir noch auf ein anderes Thema, das ja speziell im Verhältnis zwischen Deutschland und Österreich derzeit eminent ist, über das diskutiert wird: Ab dem 15. Juni soll es ja keine Grenzkontrollen mehr geben zwischen Deutschland und Österreich. Sie sagen selber, Sommerurlaub in Österreich soll wieder möglich sein, aber in Anbetracht einer möglichen zweiten Infektionswelle, die ja von Virologen vorhergesagt wird, die davor warnen, ist dieser Schritt so zu verantworten?
Kurz: Also zunächst einmal geht es ja nicht nur um den Urlaub, sondern es geht darum, dass wir den Binnenmarkt in der Europäischen Union wiederherstellen. Wir haben vorher gerade über Wirtschaftshilfe gesprochen, Finanzhilfe. Also alle Wirtschafts- und Finanzhilfe wird uns nichts bringen, wenn wir keinen funktionierenden Binnenmarkt haben. Wir leben alle davon.
Die Wirtschaft in Österreich, in Deutschland ist eng verzahnt, eng verwoben, und je länger die Grenzen zu sind desto größer ist der wirtschaftliche Schaden. Ich war immer für eine harte Reaktion auf die Coronakrise, für eine rasche Reaktion. Wir haben in Österreich als eines der ersten Länder einen Lockdown durchgeführt, aber klar ist auch, wenn die Infektionszahlen das hergeben, dann muss man die Wirtschaft möglichst schnell wieder öffnen und natürlich auch die Reisefreiheit wiederherstellen mit der Einschränkung, dass das nur zwischen Ländern geht, wo die Sicherheitssituation gut und auch ähnlich ist. Nachdem wir in Österreich genauso wie in Deutschland sehr niedrige Infektionszahlen haben, haben wir uns in den letzten Wochen dafür eingesetzt, dass es eine Grenzöffnung gibt zwischen Deutschland und Österreich, und ich bin froh, dass wir hier auch ein Ergebnis erzielen konnten.
Mit 15. Juni werden die Grenzen zwischen Deutschland und Österreich wieder vollständig geöffnet. Somit kann ein ordentlicher Wirtschaftsaustausch wieder stattfinden, aber ja, auch die Menschen, die in Österreich den Urlaub verbringen wollen, die können das tun.
Die Attrappe in Form eines Riesen- Waffeleis vor einem Eiscafe in Dettenheim bei Karlsruhe. Die Tische und Baenke sind leer, gesperrt und abgeriegelt. Au?er-Haus Verkauf ist moeglich. GES/ Taegliches Leben in Deutschland waehrend der Corona-Krise, 27.04.2020 GES/ Daily life during the corona crisis in Baden-Wuerttemberg, Germany. April 27, 2020 A big dummy of an Icecream seen in front of a Ice Cream Caf? in Dettenheim, close to Karlsruhe. Benches and Tables are closed. | Verwendung weltweit
Bareiß (CDU): Sorge, dass eine Tourismusbranche ins Wanken gerät
Thomas Bareiß, Tourismusbeauftragter der CDU, geht nicht davon aus, dass in naher Zukunft Reisen ins Ausland möglich sein werden. Die Bürger sollten in diesem Sommer den Schwerpunkt auf Deutschland legen, sagte er im Dlf.
Sawicki: Ja, Sie haben aber auch gerade gesagt, bei den Wirtschaftshilfen, da ist Ihnen eine starke europäische Antwort wichtig. Warum wollen Sie die bei den Grenzöffnungen nicht umsetzen, da auf Einzelmaßnahmen?
Kurz: Wir wollen eine starke, gemeinsame, europäische Linie, aber …
Sawicki: Aber zu Italien bleibt ja die Grenze noch geschlossen, zwischen Österreich und Italien.
Kurz: Ja, ich versuche, Ihnen das zu beantworten. Wenn Sie die Diskussion mitverfolgt haben, Österreich war eines der ersten Länder, das darum gebeten hat, dass wir eine gemeinsame europäische Vorgangsweise für die Grenzen zustande bringen. Der Vorschlag aus Brüssel lautet, dass die Staaten untereinander mit ihren Mitgliedsstaaten Vereinbarungen treffen sollen, und wir halten uns natürlich an diese Vorschläge, tun das auch und sind mit all unseren Ländern in Kontakt, mit all unseren Nachbarländern und haben auch mit so gut wie allen Nachbarländern auch schon fertige Vereinbarungen treffen können.
Allerdings in Italien ist die Gesundheitssituation nach wie vor eine schlechtere, und es wäre unverantwortlich, die Grenze zu öffnen, solange die Corona-Situation dort noch nicht unter Kontrolle ist. Wenn Italien ein ähnlich gutes Niveau erreicht hat wie Österreich oder Deutschland, werden wir selbstverständlich die Grenze öffnen, aber die ersten, die sich drüber beklagen würden, wenn wir die Grenze zu Italien öffnen würden, wären die Deutschen, weil sie werden wenig Freude daran haben, wenn aus Italien wieder Fälle nach Deutschland oder nach Österreich importiert werden.
Insofern, die Spielregeln sind klar. Wenn die Situation unter Kontrolle ist, dann können auch die Grenzen aufgehen. Wenn man dann noch die Grenzen zulässt, das ist alles andere als europäisch, aber zu früh aufzumachen, ohne es die Gesundheitssituation hergibt, das ist nicht europäisch, sondern fahrlässig.
"Das Risiko, sich anzustecken, ist extrem gering"
Sawicki: Stichwort Gesundheitssituation: Mit welchen Hygienemaßnahmen wollen Sie die medizinische Sicherheit von Touristen gewährleisten?
Kurz: Wir haben zunächst einmal, ähnlich wie in Deutschland, ein sehr ausgeklügeltes Konzept für Gastronomie und Tourismus, was Abstandsregeln betrifft, was aber auch Hygienevorschriften betrifft. Darüber hinaus haben wir uns als eines der ersten Länder in der Welt dazu entschlossen, dass wir große Testkapazitäten international ankaufen, um in regelmäßigen Abständen unsere Mitarbeiter im Tourismus auch testen zu können.
Das heißt, der deutsche Gast, wenn er seinen Urlaub in Österreich verbringen möchte, der kann sich nicht nur drauf verlassen, dass er seinen Urlaub in einem wunderschönen Land verbringt, sondern wir haben auch eine regelmäßige Testung der Mitarbeiter, die am Gast arbeiten, damit der Urlaub nicht nur schön, sondern auch sicher ist. Wenn trotzdem etwas passieren sollte, dann gibt es in Österreich eins der besten Gesundheitssysteme der Welt mit einem vergleichbaren Standard wie in Deutschland und natürlich auch die Zusammenarbeit mit den deutschen Behörden, dass Personen, die krank sind, auch schnellstmöglich und so komfortabel wie möglich auch nach Hause transportiert werden können.
Aber noch einmal: Die Ansteckungszahlen sind auf einem so niedrigen Niveau in Österreich und in Deutschland im Moment, dass das Risiko, sich anzustecken, extrem gering ist und darüber hinaus durch die Testungen der Tourismusmitarbeiter, die auch hier verhindern können, dass es hier zu Hotspots kommt.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.