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Kylie Minogue spielt im Berghain
Ausverkauf oder perfekte Paarung?

Kylie Minogue spielt heute ihr einziges Deutschlandkonzert - im Berliner Techno-Club Berghain. Darf ein Pop-Star wie sie an diesem Hipster-Ort auftreten? "Es passt zusammen, weil sie ihre treuesten Anhänger in der Schwulenszene hat", so Musikkritiker Jens Balzer im Dlf. Und das Berghain sei ein Schwulenclub.

Jens Balzer im Gespräch mit Sigrid Fischer | 20.03.2018
    Menschen stehen in einer langen Schlange vor dem Berliner Club Berghain - aufgenommen am 04.09.2012.
    Technotempel der ersten Stunde: Der Berliner Club Berghain (imago / Imagebroker)
    Sigrid Fischer: Aufregung in der Hauptstadt, nicht darüber, dass sie kommt, sondern wohin sie kommt – Kylie Minogue gibt heute ihr einziges Deutschlandkonzert im Technoclub Berghain. Im kleinen Kreis also, vor einigen Hundert Fans, die Karten waren natürlich ruckzuck ausverkauft. Auch in London, Manchester, Barcelona und Paris trat sie in kleineren Clubs auf mit ihrem neuen Album "Golden", das am 6. April erscheint. Da kann man fragen: warum macht sie das? Und genauso: warum bietet das Berghain ihr die Bühne? Das ist der kommerzielle Ausverkauf des Kultclubs wird schon gejammert. Jens Balzer, vor Ort: Wie ist die Stimmung in der Berghainstadt vor diesem Konzertabend?
    Jens Balzer: Die Stimmung ist generell hervorragend. Die Aufregung ist groß in der Stadt. "Das ist der Super-GAU, hieß es zum Beispiel im örtlichen Lokalsender RBB, "Berlins Hipsterherz muss einen Infarkt verkraften." Wenn man dieses australische Kommerz-Tante im Berghain auftreten ließe, wie schlimm muss es dann um den Laden stehen, der ja mal als Deutschlands bester Technoclub, wenn nicht sogar als bester Technoclub der Welt, galt! Und wenn die kommt, dann könne man ja auch gleich Nadja Abd del Farrag buchen - das ist eine Ex-Frau von Dieter Bohlen. Interessant, wieviele Leute sich darüber Gedanken machen, ob eine Künstlerin jetzt cool genug ist oder nicht, um im Berghain auftreten zu dürfen. Das sind meistens Leute, die ohnehin der Ansicht sind, dass das Berghain schon lange nicht mehr cool und also der Rede wert ist. Womit sich die ganze Sache irgendwie auch wieder im Kreis dreht.
    "Das Berghain ist keine staatliche Kulturinstitution"
    Fischer: Wenn man jetzt sagt, Kylie Minogue ist zu uncool, zu kommerziell fürs Berghain, muss man nicht mal sagen, das Berghain ist selbst auch schon Kommerz, als so ein wahnsinnig weltberühmter Club, oder?
    Balzer: Popmusik ist ja nun immer eine kommerzielle Angelegenheit. Kylie Minogue ist keine Künstlerin, die von einem Feudalherrn oder Mäzen finanziert wird, die will in Hitparaden viele Platten verkaufen. Das Berghain ist keine staatliche Kulturinstitution, das von Steuerngeldern finanziert wird. Aber es gibt natürlich bei Clubs schon auch Unterschiede: Ob nur das Programm gefahren wird, mit dem man die meisten Leute begeistert, ganz stur gradeaus, oder ob man das Gefühl hat, dass zumindest an den Rändern des Repertoires auch mal sowas wie der musikalischen Avantgarde ein Ort geboten wird, gerade weil die Beitreiber das vielleicht leideschaftliche gut finden. Und ich glaube, das Berghain gehört schon in diese zweite Kategorie.
    Fischer: Wenn man die Frage der Coolheit beiseite lässt, passt das überhaupt musikalisch zusammen Berghain und Kylie Minogue?
    Balzer: Bevor man jetzt übers Musikalische redet, es passt natürlich schon deshalb zusammen, weil Kylie Minogue schon seit dem Anfang ihrer Karriere ihre treuesten Anhänger in der Schwulenszene hat. Weil das war ja High Energy, das kam direkt aus dem queeren Dancefloor und sie hat das in die Hitparaden gebracht. Kann mich noch erinnern, ein Konzert vor ein paar Jahren: da trugen alle Tänzer Matrosenanzüge, als kämen sie direkt aus dem "Querelle-Film von Rainer Werner Fassbinder und Kylie Minogue trug dazu einen strengen Hosenanzug wie Marlene Dietrich in so einem frühen Sadomaso-Film von Josef von Sternberg. Und das Berghain ist ja zuletzt ein Schwulenclub, daran sollte man auch erinnern.
    "Einhaken und Quadrillen tanzen"
    Fischer: Aber sie ist ja nicht gerade Techno und jetzt auch noch mit einem Country-Pop-Album?
    Balzer: Es ist ein Konzert- kein Clubabend und bei einem Konzertabend im Berghain habe ich persönlich schon alles mögliche gesehen: von Doom Metal über afrikanischen Elektropop bis zu Neuer Musik, das ist doch offener als es den Anschein hat. Country ist natürlich was anderes, ich kann mich nicht an ein Country-Konzert erinnern. Und ihre neue Platte "Golden" ist in Nashville aufgenommen. Es gibt Banjo und Fiedel und Mitklatschrhythmen, wie man sie vom Square Dance kennt - ein bisschen schwierig sich vorzustellen, wie die Leute im Berghain sich dann in den Armbeugen einhaken und im Stampfschritt die Quadrillen tanzen.
    Fischer: Warum macht sie das überhaupt, in Clubs in Europa auftreten, sie ist ja jetzt nicht gerade auf dem Höhepunkt der Karriere.
    Balzer: Ja, es ist ein Comeback, dieses Album. Sie sagt selbst, es ist nach einer langen künstlerischen Krise entstanden, wenn man sich an die letzten Konzerte von ihr erinnert. Das war zum Beispiel auf dem Melt-Festival 2015 in Deutschland, das hat nicht funktioniert, weil sie da versucht hat, ihre alten Disko-Hits mit so neuere Dubsteprhythmen aufzufrischen. Die letzte Tour durch Deutschland wurde wegen der Insolvenz ihres Veranstalters abgesagt. Sie versucht schon was Neues. Das probiert man dann auch eher in kleineren Clubs aus, wo man sich sicher sein kann, dass man nicht vor leeren Hallen spielt.
    Und man muss sagen, es ist auch nicht wirklich alles gelungen auf der neuen Platte - es gibt schon so unfreiwillig alberne Country-Stücke -, aber es gibt auch zwei, bis drei großartige Songs, zum Beispiel die erste Single "Dancing". Ich finde, die gehört wirklich zum besten, was Kylie Minogue jemals aufgenommen hat. "I wanna go out dancing", bis der letzte Vorhang fällt. So lange wir tanzen, solange sind wir am Leben. So ganz pathetisch - und ich finde, das ist doch für einen Ort wie das Berghain dann eigentlich die richtige Ansage.