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KZ-Gedenkstätte Buchenwald
Chanting wider die Schuld

Neo-Hinduisten wollen an diesem Samstag in Buchenwald ein Reinigungsritual vollziehen: Die Gruppe Bhakti Marga hat zum "Om-Chanting" geladen. Die Jüdische Gemeinde Thüringen sieht darin ein Mittel im Kampf gegen Rassismus. Andere Beobachter kritisieren die "Instrumentalisierung von Opfern".

Von Henry Bernhard | 16.03.2018
    Der Eingang zur Gedenkstätte Buchenwald
    Der Eingang zur Gedenkstätte Buchenwald (imago stock&people)
    Vom Om geht Energie aus. Positive Energie. Auch an Orten des Verbrechens. Das zumindest glaubt die neo-hinduistische Gemeinschaft Bhakti Marga. Als Ort ihres "Om-Chantings" hat sie sich die Gedenkstätte Buchenwald ausgesucht. In dem Konzentrationslager wurden während der Nazi-Zeit knapp 60.000 Menschen ermordet. Nach 1945 starben dort 7.000 Menschen in sowjetischer Haft an Unterernährung und Krankheiten. Es ist nicht die erste Om-Veranstaltung an einer KZ-Gedenkstätte. Nicht alle werden genehmigt, die in Buchenwald wird an diesem Samstag stattfinden. Hier dürfen sie singen, wenn auch nicht auf dem Lagergelände, sondern nebenan in einer Jugendbegegnungsstätte, hinter verschlossenen Türen. Die Gruppe selbst möchte sich vorab nicht äußern. Der Pressesprecher der Gedenkstätte, Rikolau-Gunnar Lüttgenau, erläutert, dass religiöse Veranstaltungen auf dem Ettersberg bei Weimar nicht selten sind und meist genehmigt werden, wenn sie nicht der Mission dienten und die Verbrechen der Vergangenheit nicht in Frage stellten.
    Er sagt: "Wr haben tatsächlich Meditationen von Buddhisten auch, neben katholischen und evangelischen Gottesdiensten. Weil: Religiöse Bezüge an diesen Stätten ehemaliger Konzentrationslager sind fast konstituierend für deren Geschichte als Gedenkstätte. Weil diese Geschichte, die einen so irritiert, einen auf seinen Glauben zurückwirft. Und wir stehen auf dem Standpunkt, dass wir uns in den Glauben der jeweiligen Gruppierung nicht einmischen. Und es muss eine Form der Auseinandersetzung mit dem Ort stattfinden."
    "Je mehr du chantest, desto mehr wird die Kraft des Verstandes nachlassen, desto mehr wird sich das Herz für die göttliche Liebe öffnen.", verspricht der Guru der Bhakti Marga. Dennoch: In Buchenwald hat die Gruppe auch eine Führung gebucht und Vertreter der Thüringer jüdischen Gemeinde eingeladen. Deren Vorsitzender, Reinhard Schramm, wird kommen und über seine Familiengeschichte erzählen, über Vernichtung in deutschen KZs.
    "Das sind meine Partner"
    Reinhard Schramm sagt: "Wenn jemand bewußt in eine Gedenkstätte will, wo 56.000 Leute ermordet wurden, und wenn sie sich dafür einsetzen, dass sich so etwas nicht wiederholen soll, dann ist das für mich Basis genug, um mit ihnen zu sprechen. Das sind Leute im Kampf gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit – das sind meine Partner!"
    Bhakti Marga ist eine sehr junge neohinduistisch-synkretistische Gemeinschaft mit – nach eigenen Angaben - weltweit 300 Mitgliedern. Sie scharen sich um einen jungen charismatischen Guru aus Mauritius. Die Pfarrerin für Ökumene Heike Beck hat sich mit der Gemeinschaft beschäftigt, da in ihrem Dekanat Rheingau-Taunus die Deutschland-Zentrale von Bhakti Marga liegt. Sie bezeichnet Bhakti Marga als eine "Patchwork-Religion":
    "Interessant ist: In diesem Tagungshaus gibt es einen Tempel für hinduistische Riten, und dann gibt es noch einen Extra-Raum, ein orthodox-christlicher Raum, mit verschiedenen Ikonen an den Wänden. Und dort wird Eucharistie gefeiert. Und in diesem Raum gibt es einen Sarg, der ist voller Reliquien, und da kann man sich drunter legen und kann ,energetisch positiv aufgeladen werden'. Und das ist ein Gedanke, den sie auch bei den Aktionen in Buchenwald usw. finden. Weil da die Vorstellung ist, diese Orte hätten eine negative Energie, und die wird sozusagen gereinigt oder durch positive Energie positiv aufgeladen."
    Heike Beck respektiert die Entscheidung der jüdischen Gemeinde, sieht das Ganze aber nicht ganz so entspannt: Da an verschiedenen Orten mit angeblich "negativer Energie" die gleichen Rituale angewendet werden – ob es um die die Auslöschung der nordamerikanischen Ureinwohner oder der europäischen Juden geht – fehle die konkrete historische Auseinandersetzung.
    Heike Beck sagt: "Es wird enthistorisiert, es wird aus seinem historischen Zusammenhang gerissen, der spielt plötzlich keine Rolle mehr. Das halte ich für absolut ungut und nicht für angemessen. Damit man sich die Strukturen klarmacht, in denen das damals möglich gewesen ist, dafür muss eine historische Aufarbeitung passieren. Und der zweite Punkt ist: Ich frage mich – aber dazu habe ich keine Antwort: Natürlich dient eine solche Aktion immer auch der Publicity für eine Gruppe."
    Unangemessene Instrumentalisierung
    Auch in der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg in Bayern wollte Bhakti Marga ein "OM-Chanting" veranstalten. Deren Leiter Jörg Skriebeleit hat das aber abgelehnt:
    "Wir fanden es eine unangemessene Instrumentalisierung. Also vor allem die Begriffe, den Ort zu 'reinigen' und die Vergangenheit zu 'heilen'. Ich habe das dann der hiesigen Organisatorin in einer kurzen Mail so mitgeteilt, dass wir darin tatsächlich eine Instrumentalisierung von Opfern sehen. Wenn man ein bißchen tiefer recherchiert, stand damals auf der Homepage dieser Gruppe, dass die Verantwortlichen der Gedenkstätten diese Aktion auch unterstützen. Und das fanden wir dann doch sehr übergriffig und fühlten uns in unserer Grundhaltung auch bestätigt. Und auch die Reaktionen, die es dann gab – uns wurde vorgeworfen, "Hätten sie ihre Herzen geöffnet, wären sie zu einer anderen Meinung gelangt!", fanden wir doch in einem schwierigen esoterischen Kontext."
    Alle Beteiligten weisen ausdrücklich darauf hin, dass es nicht um eine Wertung der spezifischen hinduistischen Religion gehe, sondern darum, wie sie mit den historischen Orten des Verbrechens umgehe. Die Pflicht zur inhaltlichen Auseinandersetzung gelte für jede Gemeinschaft, die die Nähe zur KZ-Gedenkstätte sucht.
    1957 weihte der damalige Erfurter Weihbischof Josef Freusberg nur wenige Kilometer vom ehemaligen KZ entfernt, am Ostausläufer des Ettersberges, einen Kirchenneubau. In seiner Predigt sagte er:
    "Auf dem Berge, an dessen anderem Ende so viele Seufzer zum Himmel gestiegen sind, so viel Hass aufgeflammt ist, muss erstehen eine Stätte des Friedens, des Segens, der Versöhnung. Von hier soll ausgehen die warme Liebe Jesu, die allein imstande ist, tiefe Abgründe zu überbrücken und Frieden herbeizuführen."
    Auch da siegte Gefühl über Verstand.