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Labor auf dem Mikrochip

Wissenschaftler der Technischen Universität Dresden haben den weltweit ersten chemischen Mikrochip vorgestellt. Das Miniaturlabor verarbeitet keine elektronischen Informationen, sondern chemische in Form von Chemikalienkonzentrationen, und ist damit tatsächlich ein echtes Labor auf dem Chip im Westentaschenformat.

Von Viola Simank | 11.07.2012
    Der Prototyp des ersten chemischen Mikroprozessors scheint im Vergleich zu seinen elektronischen Gegenstücken geradezu riesig: Die fingerdicke Platte ist so groß wie ein DIN-A-5-Blatt, besteht aber nicht aus Silizium, wie elektronische Chips sondern aus einem durchsichtigen elastischen Kunststoff. Diese Platte wird von einem Gitternetz aus winzigen Mikrokanälen durchzogen, erklärt Andreas Richter vom Institut für Halbleiter und Mikrosysteme der Technischen Universität Dresden. Er hat mit seinem Team sechs Jahre an dem Chemie-Chip gearbeitet:

    "Das Gitternetz, das ist eigentlich die Schaltung. Genauso wie man es gewöhnt ist in der Mikroelektronik, nur bei unseren Schaltungen haben wir keine Drähte, wo Elektronen drin fließen können, sondern wir haben kleine Kanäle, wo Stoffe, also Flüssigkeiten und Gase drin fließen können. Und unsere Transistoren haben die Aufgabe, keinen Elektronenfluss zu regeln, sondern eben diese Stoffflüsse."

    In der Schaltung des Prototyps gibt es rund 2000 dieser Transistoren. Sie reagieren jedoch nicht auf elektrische Spannung, sondern auf bestimmte Stoffe wie beispielsweise Wasser. Ist das in der Flüssigkeit vorhanden, schalten sich die chemischen Transistoren ein und steuern den Durchfluss, Pumpen sorgen für den Transport.

    In der Flüssigkeit sind außerdem Chemikalien in unterschiedlichen Konzentrationen gelöst - das sind die Datensignale, die vom Chip verarbeitet werden. Je nach Zusammensetzung laufen unterschiedliche Prozesse ab.

    "Dann werden die Bauelemente ganz bestimmte Funktionen, die durch die Schaltung vorgegeben sind, ausführen. Beispielsweise die Stoffe zunächst erst einmal abmessen, dass man sie genau dosiert miteinander vermischen kann, damit die sogenannte Analysereaktion stattfinden kann. Und diese liest man mit ganz normalen Methoden, die schon sehr gut etabliert sind, einfach aus. Häufig sind es Farbumschläge, die man mit einer CCD-Kamera oder einen Scanner aufnimmt und dann mit Software auswerten kann."

    Zum Beispiel könnten so schnell Blut- oder Urinwerte bestimmt werden. All das geschieht vollautomatisch - der Chemie-Chip braucht deshalb im Gegensatz zu bisherigen Lab-on-a-Chip-Systemen keine externe Computersteuerung. Auch zusätzliche Energie benötigt er nicht, er wird ausschließlich mit chemischer Energie betrieben. Möglich machen all dies spezielle Kunststoffe, sogenannte Hydrogele, die sowohl aufquellen als auch schrumpfen und sich auflösen können, so Andreas Richter:

    "Das nutzen wir letztlich aus, um unsere chemischen Transistoren aufzubauen oder eben Pumpen. Sie müssen sich vorstellen, wenn die Pumpe Wasser erhält, dann beginnt der Kunststoff zu quellen und kann damit Flüssigkeit verdrängen."

    Während bisherige Labs-on-a-Chip nur gut eine Handvoll Werte auf einmal bestimmen können, soll der chemische Mikrochip auch komplexe Analysen wie ein großes Blutbild mit mehr als 50 Parametern leisten. So würde der neue Chip zum echten "Westentaschenlabor". Beispielsweise in Form eines Smartphones, das anhand eines Tröpfchens Körperflüssigkeit feststellen kann, wie es dem betroffenen Menschen gesundheitlich geht. In drei bis fünf Jahren, so die Hoffnung der Dresdner Wissenschaftler, könnten die ersten Anwendungen industriell gefertigt werden. Doch Andreas Richter denkt noch weiter. Er sieht den neuen Mikroprozessor als Herzstück eines chemischen Computers, der aufwendige manuelle Probenuntersuchungen im Labor übernehmen könnte:

    "Wenn man jetzt so einen Computer hätte, der würde an einem Tag Tausende solcher Untersuchungen machen. Und damit hätte man genau den gleichen Effekt, den uns damals auch die Personal Computer ermöglicht haben, dass man in einer gleichen Zeiteinheit ein sehr viel größeres Lösungsfeld untersuchen kann."