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Laboratorium Lack

Eine Ausstellung im Kunstmuseum Stuttgart zeigt derzeit eine Künstlergruppe, die einer Lackfabrik ihr wirtschaftliches Überleben verdankt haben. Alle drei galten den Nationalsozialisten als "entartet", standen aber bei einem Farben-Unternehmer in Lohn und Brot. Der behielt viele ihrer Arbeiten, und die Erben verkauften nun einen Teil davon nach Stuttgart.

Von Christian Gampert | 26.04.2007
    Der Experimentierclub, der sich ab 1937 in Wuppertal, in der Lackfabrik des Dr. Kurt Herberts & Co. traf, war hochkarätig besetzt: zwei "entartete" Künstler mit Mal- und Ausstellungsverbot, ein Erfinder und Architekt. Sie sollten für die Kunden Demonstrations-Täfelchen fertigen - und machten dann auch anderes.

    Oskar Schlemmer, dem von dem Fabrikanten Kurt Herberts in Wuppertal ein Haus zur Verfügung gestellt wurde, Willi Baumeister, der aus Stuttgart zu den Arbeitstreffen anreiste, und Franz Krause, der auf dem Stuttgarter Weißenhof Bauleiter gewesen war: Man kann oft nicht auf den ersten Blick sagen, welche Bildtafel in dieser Ausstellung von wem stammt - dazu sind die Versuchsreihen zu Material und Maltechnik zu konsequent durchgeführt. Erst in den späteren Phasen, wenn Schlemmer vielerlei Farb-Zusammenklänge durchtestet oder Baumeister gekratzte Muster und Sandreliefs ausprobiert, wird klarer, wohin der Weg der Einzelnen gehen könnte. Wobei Schlemmer leider dann 1943 schon starb und Krause unbekannt blieb.

    Die drei von den Nazis kaltgestellten Künstler wollten sich in dieser Wuppertaler Einsiedelei als Personen ganz zurücknehmen und das Material Farbe untersuchen, es sprechen, glänzen, argumentieren, reagieren lassen. Man begann etwa mit einem Fleck oder einem Klecks, den man auf Pappkartons, Holz, Stahlblech und dergleichen zerlaufen, zerspritzen, zerpusten, zerrühren konnte. Manche Materialien konnte man zu einer fast chemischen Farb-Reaktion auf den Lacktafeln bringen, andere Stoffe wurden zerkratzt und reliefartig ausgestülpt.

    Und obwohl Oskar Schlemmer dem Fabrikanten Herberts ein ganzes Lack-Kabinett, ein mit Farblack-Proben volltapeziertes Zimmer als eine Art Musterkoffer hinbaute (eine Rekonstruktion ist in Stuttgart zu sehen), geht es in den Experimenten des Triumvirats auch um anderes. Ein Faszinosum scheint der Zufall gewesen zu sein: wenn man Farben flüssig auf einen Bildträger aufbringt und dann hin- und herschaukelt, fließen lässt, pustet, entstehen abstrakte Muster, die absolute Unikate sind: Man kann das nicht kopieren. Franz Krause hat eine Reihe solcher Werke hinterlassen, hat auch Tropf-, Spritz- und Schüttbilder gemacht, vorweggenommene Drippings, und die Kuratorin Marion Ackermann hat die historische Weiterentwicklung gleich herbeizitiert mit Bildern von Jackson Pollock und dem Lack-Fetischisten Sigmar Polke.

    Andererseits sind die drei Lack-Künstler Schlemmer, Baumeister und Krause angezogen von den Zufalls-Kreationen der Natur, von Felsformationen und Sandriffelungen, von Blütenstempeln und Landschaftsfältelungen. Solche Muster finden sich in Arbeiten, die an psychologische Rohrschach-Tests erinnern und zum Projizieren einladen, aber auch im sog. "Abklatsch"-Verfahren, das auf den frühen Surrealisten Oscar Domínguez zurückgeht. Dabei wird die Farbe durch einen anderen Gegenstand, zum Beispiel ein Blatt, auf den Bildträger aufgebracht. Max Ernst hat das dann übernommen, aber auch Baumeister bezieht sich explizit auf den Spanier.

    Die Überraschung der Ausstellung sind die Arbeiten des erfindungsreichen Franz Krause. Mit Spritztechniken hat er etwa die Muster von Häkel- oder Spitzendeckchen auf Tafeln aufgebracht - die sehen dann aus wie die Photogramme von Moholy-Nagy. Krause hat auch die Unschärfe-Wirkungen von Nachtblau untersucht und Papierreste angesengt, angekokelt, die er dann zu abstrakten Blumenmustern collagierte. Lange vor Alberto Burri arbeitete da jemand mit Feuer als künstlerischem Mittel.

    Willi Baumeister ist in der Ausstellung mit diversen schönen Kompositionen aus Sand vertreten, auch mit einem Kratz-Bild, in das - nach einem Bombenangriff herumliegende - Glassplitter integriert sind. Oskar Schlemmer hat sich noch am ehesten an den ursprünglichen Auftrag gehalten und sich mit der Verwendung von Lackfarben im Sinne asiatischer Ornamentik beschäftigt - allerdings lässt er die Farben dann fließen und erstarren, er kämmt sie zu Mustern aus und wölbt sie auf.

    Die "Freunde des Kunstmuseums Stuttgart" haben jetzt alle 160 Versuchstafeln aus dem Nachlass des Fabrikanten Kurt Herberts beziehungsweise von den Erben erworben. Sind es nun kalkulierte Kunstwerke oder nur Lack- und Materialstudien? Wahrscheinlich beides. Und warum verblieben sie nicht im Besitz der Künstler? Vermutlich, weil Herberts sie für ihre Arbeit bezahlt hatte. Aber Genaues wissen wir nicht.