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Lacher: Tod Gaddafis ist ein wichtiges Symbol

Nach dem Tod Gaddafis könne der Nationale Übergangsrat nun den Weg hin zu Wahlen und der Ausarbeitung einer Verfassung einleiten, sagt Wolfram Lacher von der Stiftung Wissenschaft und Politik.

Wolfram Lacher im Gespräch mit Jasper Barenberg | 21.10.2011
    Jasper Barenberg: Zunächst aber nach Libyen. Die Menschen dort feiern den Tod Gaddafis und den Fall der letzten Hochburg Sirte. Jetzt ist der Nationale Übergangsrat in der Pflicht, eine friedliche Zukunft für das Land zu organisieren, keine leichte Aufgabe.
    Am Telefon begrüße ich Wolfram Lacher, der sich bei der Stiftung Wissenschaft und Politik intensiv mit Libyen beschäftigt. Schönen guten Tag, Herr Lacher.

    Wolfram Lacher: Guten Tag!

    Barenberg: Wir haben es gerade gehört: Es ist weiterhin unklar, wie und von wem Gaddafi getötet wurde. Seit Wochen bereits war ja nur noch geringer Widerstand des alten Regimes da. Wie wichtig ist es für die Menschen trotzdem, dass Gaddafi jetzt tot ist? Wie wichtig ist dieses Symbol?

    Lacher: Ich glaube, symbolisch ist das ganz wichtig. Aber es ist vor allem auch entscheidend dafür, dass der Übergangsprozess jetzt beginnen kann, denn der Plan des Übergangsrates geht ja vom Zeitpunkt der Befreiung aus und die soll heute oder morgen verkündet werden und damit kann der Prozess hin zu Wahlen und der Ausarbeitung einer Verfassung beginnen.

    Barenberg: Wie zuversichtlich können wir sein, dass diese Planung tatsächlich in die Tat umgesetzt wird? Wir erinnern uns, dass es schon in den vergangenen Wochen immer wieder Berichte gab über Konflikte innerhalb der Übergangsregierung.

    Lacher: Ja. Dass es da zu Machtkämpfen kommen wird, dass das ein schwieriger Prozess sein wird, dass es da zu Instabilitäten kommen wird, ich glaube, das ist absehbar. Aber dass der Prozess an sich stattfindet, dafür sind die Aussichten eigentlich recht gut, denn der Übergangsrat besitzt bisher zumindest recht breite Unterstützung, trotz der Streitigkeiten um einzelne Personen, sodass wir eben mit dem Übergangsrat eine Institution haben, die diesen Prozess leiten kann, und ich glaube, dass man schon zuversichtlich sein kann, dass der Prozess, so wie ihn der Übergangsrat ausgelegt hat, auch stattfinden wird. Natürlich kann es sein, dass er länger dauert, als das ursprünglich geplant war.

    Barenberg: Sie rechnen also nicht damit, dass diese Koalition, die sich ja vor allem einig war in dem Ziel, Gaddafi zu stürzen, zu beseitigen, dass diese Koalition zerbrechen wird?

    Lacher: Doch, das ist schon möglich. Zumindest ist es wahrscheinlich, dass sich da sehr viel ändern wird in der Zusammensetzung dieser Koalition, dass da ganz andere Leute jetzt in den Vordergrund drängen werden, dass einige der bisherigen Führungspersonen die Bühne verlassen werden, denn in der Tat handelt es sich eben um eine sehr lose Koalition, es handelt sich um Kräfte, die vor allem die Interessen einzelner Familien, einzelner Städte, einzelner Stämme vertreten, und es bestehen, es gibt sehr tiefe Bruchlinien beispielsweise zwischen den ehemaligen Entscheidungsträgern des Regimes und ehemaligen Oppositionellen und Exilanten, zwischen Islamisten und säkularen Kräften, oder auch zwischen der politischen Führung im Übergangsrat und den revolutionären Brigaden, Also den bewaffneten Gruppen, die die Revolution angeführt haben auf dem Terrain, und die verlangen zunehmend politischen Einfluss und ich glaube schon, dass das mit starken Machtkämpfen verbunden sein wird, dieser Prozess.

    Barenberg: Was, glauben Sie denn, sind die größten Konflikte in dem Land? Sind sie eben regionaler Natur, oder sind sie ideologischer, politischer Natur?

    Lacher: Es handelt sich einerseits, glaube ich, um Rivalitäten vor allem zwischen Interessengruppen, die bestimmte Städte oder Stämme repräsentieren. Andererseits aber ist schon jetzt deutlich, dass es einige Streitfragen gibt, die die Machtkämpfe zwischen diesen Gruppen, die jetzt schon begonnen haben, definieren. Und zu diesen Streitfragen zählt beispielsweise, welche Rolle der politische Islam beziehungsweise ein säkulares Modell spielen soll, es zählt auch dazu, ob Libyen ein föderales oder dezentrales Modell erhalten soll, oder ein zentralistisches, denn diese ganzen fundamentalen Fragen müssen ja jetzt erstmals ausgehandelt werden. Und es zählt auch dazu, welche Rolle die ehemaligen Entscheidungsträger des Regimes beziehungsweise Leute, die sehr lange im Exil waren, im Übergangsprozess spielen sollen. Das sind so einige der wesentlichen Konflikte, glaube ich, die auf Libyen zukommen.

    Barenberg: Große Herausforderungen auf jeden Fall für die Arbeit im Nationalen Übergangsrat. Vielen Dank, Wolfram Lacher von der Stiftung Wissenschaft und Politik, für das Gespräch heute Mittag.

    Lacher: Gerne.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

    Linktipp:
    Der arabische Aufstand - Sammelportal