Donnerstag, 25. April 2024

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"Lady Macbeth von Mzensk"
Oper, die zur Sache geht

Die zweite Oper von Dimitri Schostakowitsch, "Lady Macbeth von Mzensk", erzählt die Geschichte der Kaufmannsfrau Katerina, die mit ihrem Ehemann auf dem Land lebt, sich langweilt und sexuell unausgelastet ist. Die Inszenierung des Werkes an der Oper von Antwerpen gelingt laut Frieder Reininghaus einprägsam.

Von Frieder Reininghaus | 22.03.2014
    Die Lady Macbeth des Mszensker Landkreises sucht und findet in Begleitung von deftig auftrumpfender Theatermusik einen vom Gesetzgeber nicht vorgesehenen Ausweg zur Befriedigung ihrer elementaren Bedürfnisse (sie wird dafür mit Verbannung bestraft und findet den heftigen frühen Tod durch einen erweiterten Suizid). Das Werk, das seinen Komponisten weltberühmt machte, ist eine Oper, die zur Sache kommt. Jedenfalls kein Blatt vor den Mund und die Augen nimmt. Da wird nicht nur nach der Väter Sitte geprügelt, gepeitscht, vergewaltigt und überhaupt gequält, sondern schafft sich die Lust auf eruptive Weise Bahn - coram publico und nicht nur einmal.
    Die aus Litauen stammende Sopranistin Ausrine Stundyte, ist eine attraktive junge Frau. Unter dem interessant-schönen Gesicht ein schlanker Hals und ein Körper, der selbst vor den kritischen Argusaugen von Modeschneidern oder Weight-watchern Idealabmessungen erfüllen dürfte. Wie sie sich in einer schicken modernen Wohnung - im kurzen blauen Kleid vor weißen Wänden und Möbeln - nach dem Glück sehnt, ist so sehenswert wie ihre nächtliche Unruhe hörenswert (nicht immer im "rein gesanglichen" Sinn ganz genau in der Spur, aber als sängerdarstellerische Leistung famos).
    Wie sich diese Katerina Ismailowa vorm Kühlschrank selbst befriedigt und dann mit Eiswürfeln abkühlt, das ist nicht nur glaubwürdig, sondern offensichtlich aus dem wirklichen Fernsehleben gegriffen. Calixto Bietos Inszenierung hat die Herausforderung des Films angenommen und mit den Mitteln der Opernbühne glasklar und knallhart zurückgeschlagen. Dass und wie die Triebtäterin die Liebe mit dem neuen Vorarbeiter Sergej pflegt, ist vom Stück vorgegeben - doch die Ausführung en gros und en détail trägt die besondere Handschrift Bieitos: Von der Art, wie er ihr mit einem routinierten Handgriff aus dem Slip hilft über die Choreografie der minutiös auskomponierten heftig rammelnden Primärverbindung bis zur Phase des abebbenden männlichen Interesses, das sich schon wieder neuen lohnenden Zielen zuwendet: alles perfekt.
    Die Häufigkeit und Heftigkeit der verhaltenen Erfolgsmeldungen beim Cunnilingus verrät besondere Delikatesse. Dass die Varianten für alle Aggregatzustände der Lust und des Frustes so gezeigt werden können, liegt wesentlich auch an der Souveränität, Mobilität und Stimmgewalt des baumlangen schlanken tschechischen Tenors Ladislav Elgr – ein Glücksfall für Katerina und die Flämische Oper. Der große alte Bassist John Tomlinson als böser Schwiegervater verkörpert auf entwaffnende Weise die Banalität des Bösen im bürgerlichen Alltag (wir erzählen hier lieber nicht, was er z. B. mit einer der Hausangestellten macht); dass dieses Scheusal mit Rattengift im Pilztopf aus der Welt geschafft wird, das wirkt in voller Höhe verdient.
    Und wie die Polizeieinheit, sekundiert von der bestens sichtbaren Polizeiblasmusikkapelle zwischen den Insignien der Agrarindustrie, am kurzen Glanz des bürgerlichen Glücks von Sergej und Katerina teilnimmt, das ist eine strahlend-surrealistische Einlage der Extraklasse. Überhaupt sind das Dirigat von Dmitri Jurowski, ein oft wohl absichtsvoll spitz und scharf akzentuierendes Orchester und wohldosierte eingesetzte Chöre dem Gesamtprojekt höchst angemessen - auch die Musik zeigt keinen Fingerbreit Fettansatz. So gelingt ein Spitzenprodukt, das vielleicht nicht nach jedermanns oder jederfrau Geschmack ist - aber rekordverdächtig und nachhaltig einprägsam. Calixto Bieito hat, was Aufgabe der Regisseure ist, gezeigt, was in dem Stück steckt. Bis zum bitt‘ren Ende im sibirischen Sumpf. Aber wow!