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Länderspiel gegen Niederlande
Ein Symbol der Unbeugsamkeit

Jetzt erst recht - nach den Terroranschlägen vor vier Tagen - soll das heutige Testspiel zwischen Deutschland und den Niederlanden stattfinden. Fragen zur Aufstellung oder auch das Ergebnis des heutigen Spiels seien völlig nebensächlich, betonte Bundestrainer Löw. Vielmehr solle vom Stadion in Hannover ein Bekenntnis zur Unbeugsamkeit und Solidarität ausgehen.

Von Alexander Budde | 17.11.2015
    Ein Polizeiwagen steht am 16. 11.2015 vor der HDI-Arena in Hannover - einen Tag vor dem geplanten Fußball-Länderspiel gegen die Niederlande. Vor dem Hintergrund der Terroranschläge in Paris am 13. November gibt es verstärkte Sicherheitsvorkehrungen.
    Erhöhte Sicherheitsvorkehrungen an der HDI-Arena. Die Polizei bittet die Fans heute, sich besonders besonnen zu verhalten. Das Abbrennen von Pyrotechnik zum Beispiel könnte schnell für Panik sorgen. (picture alliance / dpa - Julian Stratenschulte)
    Hannover am Montagabend: Im Flutlicht der HDI-Arena jubeln Fans, als das Oranje-Team zu einer flüchtigen Inspektion des Rasens einläuft. Im Nieselregen kicken sich die Spieler ein paar Bälle zu – neugierig beäugt von Kameraleuten und Fotografen. Weiter oben auf den Rängen erspäht der Reporter ein kleines Aufgebot von Polizisten. Diskret wacht die Staatsgewalt. Auf einer Pressekonferenz spricht Danny Blind von Ereignissen, die Spieler wie Betreuer tief beeindruckt hätten. Der Bondscoach findet Worte des Mitgefühls für die Opfer der Pariser Terrorakte, für deren Freunde und Angehörige.
    "In so einem Moment realisiert man wieder, dass es Sachen gibt, die wichtiger sind als Fußball - und automatisch drängt sich die Frage auf: Muss man Fußball spielen?"
    Eine kleine Kunstpause lang lässt Blind seine Frage im Raum stehen - dann bekundet er seinen Respekt für die DFB-Elf, trotz des emotionalen Wochenendes spielen zu wollen. Der Trainer beschwört den Sport als verbindende Kraft: "Was nun zählt, ist Mitgefühl!"
    Der Rundfunkjournalist Ayolt Cloosterboer ist eigens für die Partie nach Hannover gereist. Er berichtet für das niederländische Pendant der ARD-Sportschau.
    "Ich glaube, in Holland ist man froh, dass man spielt und nicht vor der Angst wegrennt – und einfach da ist! Aber wir haben ein bisschen abgewartet und der deutschen Mannschaft ein bisschen Zeit gegeben, darüber nachzudenken."
    Cloosterboer trägt ein müdes Lächeln im Gesicht. Einfühlsam fügt er hinzu:
    "Alle Kollegen, alle Journalistenkollegen, die sind dabei gewesen. Und die haben dasselbe gefühlt, wie die Spieler – und können sich damit identifizieren. Denn: die Leute haben natürlich viel mitgemacht!"
    "... war für uns alle klar, dass dieses Spiel natürlich auch stattfinden soll"
    Tatsächlich hatte Nationaltrainer Joachim Löw zunächst gezögert, ob er seiner Mannschaft die Testpartie gegen die Niederlande wirklich zumuten soll.
    "Als wir dann eine Nacht darüber geschlafen haben, war für uns alle klar, dass dieses Spiel natürlich auch stattfinden soll - und dieses Spiel stattfinden muss!"
    Das Ergebnis des letzten Länderspiels des Jahres: Vollkommen nebensächlich, sagt Löw matt. Fragen zur Aufstellung, zur Taktik seien es auch.
    "Wir werden – glaube ich – in jeder Phase dieses Spieles eben auch da mitfühlen. Und deswegen wünsche ich mir sehr, dass diese viel zitierte sportliche Rivalität, die es auch immer gab zwischen Deutschland und Holland mit dem morgigen Spiel eben auch zuerst mal in den Hintergrund tritt."
    Noch einmal erzählt Oliver Bierhof den versammelten Journalisten von der noch kaum verarbeiteten Schreckensnacht in den Katakomben des Stade de France. Der Teammanager betont, die Entscheidung zum Antritt in Hannover sei im Einvernehmen gereift:
    "Man muss funktionieren, man hat die Ratio eingeschaltet, man kriegt natürlich nur bruchteilhaft Informationen – und weiß natürlich, dass eine unheimlich große Angst und Sorge da ist! Nachdem man dann erst mal so getroffen ist, überlegt man natürlich, wie geht es weiter, welches Zeichen können wir als Nationalmannschaft setzen, als Sport?"
    Der DFB-Tross hat im nahen Barsinghausen sein Quartier bezogen. Dort sind die Spieler streng abgeschirmt. Polizisten kontrollieren die Zufahrt zum Teamquartier, Spürhunde beschnüffeln was verdächtig herumliegt, vereinzelt drängen Fans heran:
    Fan: "Ich hoffe ja nur, dass ich vielleicht einen Nationalspieler zu Gesicht kriege. Also, ich wäre auf jeden Fall dabei!"
    Reporterin: "Angenommen, es gäbe noch Karten: würden Sie hingehen zum Spiel?"
    Fan: "Nein!"
    Reporterin: "Weil ... ?"
    Fan: "Angst!"
    Immerhin: 35.000 Karten sollen aber schon verkauft sein. In Hannover werden neben Bundeskanzlerin Angela Merkel auch Vize-Kanzler Sigmar Gabriel und weitere Bundesminister erwartet, zahlreiche Landespolitiker – allen voran Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil von der SPD – wollen sich das Freundschaftsspiel anschauen. Vom Stadion am Maschsee soll ein Bekenntnis zur Unbeugsamkeit und zur Solidarität ausgehen.
    Auch Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius hofft auf eine Begegnung vor gut gefüllten Bänken. Auf die konkreten taktischen Pläne der Einsatzkräfte mag er im Detail nicht eingehen, für angemessenen polizeilichen Schutz sei jedoch gesorgt, versichert der Sozialdemokrat - und markig fügt er hinzu:
    "Es geht mir auch darum, dass der Sport eine Rolle hat in der Gesellschaft und dass viele Großveranstaltungen nun einmal im Sport stattfinden, und dass es fatal wäre, wenn wir jetzt vor diesem feigen terroristischen Angriff einknicken würden – und sagen würden, wir trauen uns nicht mehr vor die Tür, wir lassen uns von diesen Mördern gewissermaßen unser freiheitliches Leben nehmen – und unseren Wunsch, so zu leben wie wir es tun!"
    An die Stadionbesucher ergeht die dringende Mahnung, sich bei der morgigen Begegnung besonders besonnen zu verhalten. Dies gilt insbesondere für das Abbrennen von Pyrotechnik, mahnt Hannovers Polizeipräsident Volker Kluwe. Das vergangene Wochenende in Paris habe gezeigt, wie schnell es zu panischen Reaktionen mit kaum kalkulierbaren Folgen kommen kann.