Donnerstag, 18. April 2024

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Ländliche Regionen
"Das Kulturangebot erodiert"

Das Kulturangebot in ländlichen Regionen verschwinde, sagte Hortensia Völckers, künstlerische Direktorin der Kulturstiftung des Bundes, im Dlf. Auf dem Ideenkongress TRAFO stellt sie Wege vor, das zu ändern. Zum Beispiel müssten bestehende Räume so transformiert werden, dass sie zukunftsfähig werden.

Hortensia Völckers im Gespräch mit Karin Fischer | 19.09.2018
    Eine Fotografie von Hortensia Völckers während der Eröffnungspressekonferenz der Documenta 2017 in Kassel
    Hortensia Völckers plädierte im Dlf für einen Transformationsprozess der kulturellen Räume auf dem Land (imago / Rüdiger Wölk)
    Karin Fischer:!! "Wie kommt die Kultur aufs Land?" ist, salopp zusammengefasst, die Frage, die über einem Ideenkongress steht, den die Bundeskulturstiftung heute und morgen in Halle an der Saale veranstaltet. Es sind nämlich gerade die Kultureinrichtungen, die bei den gesellschaftlichen Veränderungsprozessen, die es in den strukturschwachen Regionen gibt, zu leiden haben. Wenn die Bundeskulturstiftung neben den üblichen "Leuchttürmen", die sie fördert, wie die Ruhrtriennale oder das Berliner Theatertreffen, jetzt in die Fläche geht und das Land in den Fokus nimmt, dann hat das eine Bedeutung. Und nicht nur, weil die Bundeskulturstiftung Geld mitbringt. Vor der Sendung habe ich Hortensia Völckers, die künstlerische Leiterin der Bundeskulturstiftung gefragt, welches Ziel dieser Ideenkongress hat.
    Hortensia Völckers: Das Ziel, dieses Thema noch präsenter in der deutschen Öffentlichkeit, in der Politik zu machen. Wir reden über Ärztemangel, wir reden darüber, dass die Sparkasse zugemacht hat, dass es keinen Laden mehr gibt, dass es noch kein WLan gibt oder kein Bus mehr hinfährt in bestimmten Regionen. Aber sehr selten wird darüber geredet, dass das Kulturangebot erodiert, verschwindet, und insofern ist der ländliche Raum jetzt überall im Blick und hat viel Aufmerksamkeit. Aber wenn man genau zuhört, merkt man: Die Kultur kommt nie vor.
    Und wir sind der Meinung, dass es nicht darum geht, irgendwelche Events für Touristen oder sonstige Kulturgenüsse zu fordern und zu veranstalten, sondern Räume – und das können Institutionen, die zum Teil noch da sind – so zu verwandeln, zu transformieren, dass sie in der Zukunft weiter existieren können, und dazu müssen sie sich ein bisschen verändern. Das nennen wir einen Transformationsprozess, und das ist mühsam und schwierig. Lassen Sie mich ganz mühsame Zahlen nennen, aber da wird es einem sofort klar: Großstädte ab 500.000 Einwohner haben 151 Euro pro Kopf und pro Jahr. Kleinstädte bis 20.000 Einwohner nur noch 51,50 Euro pro Kopf und pro Jahr. Und Kleinstädte bis zu 3.000 Einwohnern nur noch fünf Euro.
    Fischer: Ausgaben für die Kultur?
    Völckers: Ja.
    Fischer: Sie haben von Erosion gesprochen, Frau Völckers. Wenn die Kultur auf dem Land stattfindet, wer gestaltet denn diese noch? Und woran machen Sie diese Erosionsprozesse fest? Wie sehen die genau aus?
    Völckers: Es gibt natürlich nicht den ländlichen Raum, sondern jede Region ist sehr, sehr anders. Und es gibt die Schützenvereine, die Kirchenvorsteher, die Musikschule, Aktivisten, Bürgergruppen, Zugereiste – immer sehr unterschiedlich, wer die Initiative hat, etwas zu machen für das Dorf oder für die Region. Und es gibt natürlich die Institutionen. Es gibt noch vielleicht die kleine Stadtbibliothek, die aber jetzt nicht mehr wirklich als Ort funktioniert, weil man eigentlich einen Ort sucht, wo man sich aufhalten kann, wo man ins Internet geht, wo man Zeitung liest, wo man andere trifft – das, was man einen "dritten Ort" nennt im Moment. Anhand einer Stadtbibliothek kann man das sehr schön zeigen, dass die gebraucht wird, aber dass sie ein bisschen anders werden muss. Dazu braucht es Verständnis, Bewusstsein und letztendlich ein paar Euro.
    "Kultur im ländlichen Raum soll größere Wertschätzung genießen"
    Fischer: Sie haben ja schon viele Ideengeber mit an den Tisch geholt für diesen Kongress, von der Kulturhanse über die Bürgerbühnenvariante für den ländlichen Raum bis hin zum Projekt Revision Oderbruch, wo es um eine andere Art von Museum oder sogar eine andere Form der Geschichtserzählung über die eigene Region geht. Können Sie an einem konkreten Beispiel sagen, wie diese Veränderungen zum Positiven hin stattfinden könnten?
    Völckers: Ja. Drei kleine Museen im Südharz machen ganz ähnliche Sachen, tun sich aber jetzt zu einem Verbund zusammen und entscheiden, sie machen andere Schwerpunkte jeder, und koordinieren sich in ihrer Arbeit, weil sie im Prinzip an ähnlichen Sujets arbeiten. Das ist das einfachste, was es gibt. Theater in der schwäbischen Alb gehen in die Dörfer oder in die kleinen Kommunen und zeigen nicht einfach irgendein Gastspiel, sondern machen ein Stück speziell für diesen Ort mit diesen Leuten, mit diesen Bürgern, die dort wohnen, mit ihren Themen. – Das würde ich "die Kultur wird mobil" nennen.
    Das andere sind die Verbünde. Das dritte sind diese "dritten Orte", oder wie in Altranft, dass es zu einer Landschaftswerkstatt wird, wo die Interessierten und die Bevölkerung ihre Geschichten erzählen und daraus werden Projekte, Ausstellungen zum Thema Landwirtschaft, zum Thema Wasser. Dazu gibt es Konzerte, Theaterstücke, Ausstücke, Ateliers. Es ist was ganz anderes als ein Museum mit einer festen Ausstellung, wo irgendwann dann auch nicht mehr so viele Leute hinkommen, sondern es ist partizipativer, und das muss man eigentlich gut organisieren. Und wir wissen, dass so eine Institution, die vielleicht anders in den letzten Jahrzehnten funktioniert hat und deren Mitarbeiter und Leiter oder Leiterinnen auch erst mal für was anderes geholt wurden, dass das ein großer Sprung ist, sich zu entscheiden zu sagen, so funktioniert es nicht mehr, wir müssen einen anderen Weg finden.
    Wir begleiten diese Institutionen oder diese Regionen über mehrere Jahre und wir fördern sie auch in einer erheblichen Größe und beobachten mit ihnen zusammen, lernen mit ihnen zusammen und der Politik - das ist ganz, ganz wichtig -, wohin das gehen kann und wie man das macht, und hoffen, dass dieser Geist und dieser Bedarf überspringt und dass in vielen Ecken in Deutschland man dieses Thema, was schwierig ist, in die Hand nimmt und dass die Kultur im ländlichen Raum eine größere Wertschätzung genießt in der Zukunft.
    Fischer: Ich glaube, Partizipation ist ein wichtiges Stichwort. Ich würde es auch mal so formulieren: Das Gießkannenprinzip kann es nicht sein, was Sie auch nicht mitbringen, sondern Sie bringen wirklich ein Interesse daran mit, erst mal die Bedürfnisse und die Bedarfe zu klären, die der Kultur, die der Zivilgesellschaft und auch der Politik, damit sich etwas ändern kann.
    "Es geht wirklich um eine Transformation, und das ist mühsam"
    Völckers: Richtig! – Wir haben ja mit vier Regionen das mal ausprobiert. Da sind wir jetzt auf der Halbzeit. Deswegen rufen wir heute und die nächsten Tage alle zusammen, die an diesen Themen arbeiten, von Politikern bis Projektfreunde, Künstler, Verbände, um uns auszutauschen, Erfahrungen auszutauschen und ein bisschen als Lautsprecher, als Verstärker zu funktionieren. Wir haben so einem Museum oder einer Stadtbibliothek bis zu einer Million Euro zur Verfügung gestellt, über mehrere Jahre, aber wir erwarten auch – es gibt dann ein kleines Geld zur Vorbereitung, wo man über acht Monate wirklich ein gutes Konzept schreiben kann, und da sind wir auch mit denen dauernd im Gespräch. Denn das ist nicht: Wir haben noch mal 30.000 Euro bekommen, machen ein schönes Programm diesen Sommer und dann geht es wieder so weiter, wir suchen uns wieder woanders ein bisschen Geld. Sondern es geht wirklich um eine Transformation, und das ist mühsam.
    Fischer: Kulturförderung ist Demokratieförderung. Auf diese Formel kann man sich, glaube ich, auch angesichts von Ereignissen in Chemnitz oder Köthen sehr schnell einigen. Diese Erkenntnis ist aber überhaupt nicht neu. Die Politik hätte längst gegensteuern können. Warum tut sie es nicht, aus Ihrer Perspektive gesprochen?
    Völckers: Das können Sie für verschiedene Themen, glaube ich, fragen. Man hat Dinge eingespart, man hat die Jugendclubs zugemacht, man hat einfach die öffentlichen Räume nach und nach eingespart. Und wo sollen sich denn die Leute treffen? Die Jugendlichen stehen dann an der Tankstelle und man hat dann vielleicht WLan, aber sitzt alleine zuhause vorm Bildschirm. Welchen Anlass gäbe es dann für junge Leute zu bleiben, oder vielleicht zurückzukommen nach der Ausbildung? Das ist verpasst worden. Wir haben alle zusammen weggeguckt.
    "Wir haben ein romantisches Bild vom Land"
    Fischer: Gleichzeitig wird ja die ländliche Gesellschaft in einem Maße romantisiert, zum Beispiel mit vielen Zeitschriften wie "Landlust" und so weiter, dass man sich schon fragt, wie das zusammenpasst. Wie kann man eine kulturelle Verödung leugnen und andererseits das Land einfach romantisieren oder es als Projektionsfolie nehmen für die eigenen Eskapismus-Wünsche?
    Völckers: Ja, wir haben ein romantisches Bild vom Land, ein vorindustrielles, und das sind die Geschichten von früher, wo Opa und Oma herkamen. Die meisten haben ja irgendeine Vergangenheit im ländlichen Raum in Deutschland. 57 Prozent lebt noch im ländlichen Raum. Ich habe aber ein Problem damit, wenn man das generalisiert oder verallgemeinert. Es ist nicht überall verödet, aber an vielen Orten, und das sollte man nicht zulassen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.