Freitag, 19. April 2024

Archiv


Lafontaine: Eine Auffassung von Politik, die wir nicht teilen

Der Vorsitzende der Linkspartei, Oskar Lafontaine, hält die politischen Vorstellungen von Bundespräsident Horst Köhler zur Wirtschafts- und Sozialpolitik für falsch. Die Agenda 2010 habe zur Verarmung großer Teile der Bevölkerung geführt. In der Bundesrepublik bekomme jeder vierte Arbeitnehmer einen Lohn, der niedriger sei als 15.000 Euro im Jahr.

Moderation: Dirk Müller | 18.06.2008
    O-Ton Köhler: Schon die Riester-Rente, die Rente mit 67 und die Agenda 2010 waren ein guter Anfang. Wir sollten das Erreichte nicht zerreden oder gar zurückdrehen, sondern beherzt vorangehen auf dem Weg, der sich als der richtige erwiesen hat.

    Müller: Der Bundespräsident gestern in seiner Rede in Berlin. Er fordert weitere Reformen.
    Wenn denn schon die Sozialdemokraten ihre eigene Agenda 2010 verraten und die Unionsparteien auch davon nichts wissen wollen, muss ich diese Rolle übernehmen. Das könnte sich der Bundespräsident vielleicht so gedacht haben. Feststeht: Horst Köhler will weitere Reformen, eine Agenda 2020. Weniger Steuern und Abgaben, mehr Bildung, bessere Integration. Ein Bundespräsident, der auch im Wahlkampf ist, und die Reaktionen.
    Bei uns macht nun am Telefon mit Oskar Lafontaine, Partei- und Fraktionschef der Linkspartei. Guten Morgen!

    Lafontaine: Guten Morgen!

    Müller: Herr Lafontaine, können Sie jetzt Horst Köhler mitwählen?

    Lafontaine: Nein, das können wir nicht. Wir haben im Übrigen auch noch nicht entschieden, was wir am Ende machen. Aber wir haben immer wieder gesagt, dass wir die politischen Vorstellungen des Bundespräsidenten zur Sozial- und Wirtschaftspolitik für falsch halten. Er hat hier wiederholt, die Rente mit 67, die Agenda 2010, das alles seien richtige Schritte gewesen. Für Die Linke sind das so genannte Reformen, die zur Verarmung großer Teile der Bevölkerung geführt haben. Wir haben in Deutschland den größten Niedriglohnsektor aller Industriestaaten. Jeder vierte Arbeitnehmer hat keinen Jahreslohn, der höher ist als 15.000 Euro. In der Regel sind es noch weniger. Und wenn man so etwas lobt, dann hat man eben eine Auffassung von Politik, die wir nicht teilen.

    Müller: Aber der Bundespräsident hat ja auch in diesem Zusammenhang von sozialem Augenmaß gesprochen. Er ist ja schon jemand, der die soziale Komponente in den vergangenen Wochen und Monaten immer stärker betont hat. Glauben Sie ihm das nicht?

    Lafontaine: Soziales Augenmaß, das ist eine schöne Formulierung. Wichtig ist, was man konkret befürwortet oder ablehnt. Er befürwortet die Agenda 2010, also Kürzungen beim Arbeitslosengeld, Kürzungen bei der Rente, Kürzungen bei anderen sozialen Leistungen, die Mehrbelastung in der Gesundheit. Wir lehnen eine solche Einstellung ab.

    Müller: Vielleicht wusste Horst Köhler, dass die SPD das im Moment selbst demontiert, dass es im Grunde gar nicht mehr auf der Agenda steht. Er hat seine Agenda 2020 genannt. Wenn wir ein Beispiel dort rausnehmen: weniger Steuern. Was spricht aus Ihrer Sicht dagegen, die Bürger zu entlasten?

    Lafontaine: Wenn Horst Köhler sagt, er möchte mehr Bildung, also mehr Ausgaben für die Bildung und weniger Steuern, dann geht das einfach nicht zusammen. Man muss sich entscheiden. Will man weniger Staatseinnahmen auf der einen Seite haben und will den Bürgerinnen und Bürgern mehr lassen - das ist eine Meinung, die man vertreten kann -, dann kann man aber gleichzeitig nicht fordern, man muss mehr Geld für Schulen, für Universitäten, für Forschung und so weiter ausgeben.

    Müller: Das heißt wenn die Linkspartei mitregiert, haben die Bürger weniger Geld in der Tasche?

    Lafontaine: Das ist ein Vorurteil, das überall gepflegt wird, aber das ist grundfalsch. Wenn die Linkspartei mitregiert, haben die Bürger viel mehr Geld in der Tasche. Erstens einmal würden wir die sozialen Kürzungen, die in den letzten Jahren vorgenommen worden sind, nicht mittragen. Zum zweiten würden wir auch Steuern senken, und zwar für mittlere Einkommen. Das ist übrigens ein gemeinsamer Punkt mit dem Bundespräsidenten, für mittlere Einkommen und für kleine und mittlere Betriebe. Aber wir würden die Vermögen in Deutschland ganz anders besteuern, die großen Vermögen. Wir würden die Vermögenssteuer wieder einführen. Wir würden für hohe Erbschaft eine höhere Erbschaftssteuer einführen. Wir würden eine Börsenumsatzsteuer einführen und höhere Einkommen stärker belasten.

    Müller: Das ergibt, wenn ich das richtig nachgelesen habe, insgesamt 50 Milliarden Euro, die man dann wieder reinvestieren könnte?

    Lafontaine: Das gibt nicht nur 50 Milliarden Euro. Wir sind ja an dieser Stelle, wenn man so will, immer sehr pädagogisch. Wir versuchen, die Dinge nachvollziehbar zu machen und sagen, wir wollen die durchschnittliche Steuer- und Abgabenquote Europas. Also wir wollen uns nur das leisten, was der Durchschnitt der europäischen Staaten als Selbstverständlichkeit anwendet. Dies hieße, dass rund 120 Milliarden Mehreinnahmen bei Sozialkassen und Kassen des Staates ankämen. Wie die sich zusammensetzen habe ich vorhin bei den vier Steuerarten gesagt.

    Müller: Das hört sich ja einfach an. Da fragt man sich, warum die anderen Ihr Konzept nicht übernehmen. Aber Herr Lafontaine, vielleicht können wir eines noch einmal festhalten: Steuersenkungen sind für Sie auch kein Teufelszeug?

    Lafontaine: Nein. Wir haben ja Steuersenkungen im Bundestag eingebracht. Die anderen haben das ja immer abgelehnt. Die konkreten Beispiele sind eben ein anderer Steuertarif. Das heißt mittlere Einkommen bei Arbeitnehmern und bei Klein- und Mittelbetrieben würden also weniger besteuert nach unserem Vorschlag. Wir haben einen Antrag eingebracht, die kalte Progression abzuschaffen, die darin besteht, dass Arbeitnehmer etwas mehr Brutto haben, aber dann geraten sie in eine höhere Steuerklasse und wenn die Preissteigerung dazu kommt, haben sie unterm Strich weniger. Wir haben diese Anträge im Bundestag eingebracht; alle anderen Parteien haben sie abgelehnt. Wir haben zum Beispiel auch die Pendlerpauschale erhalten wollen und haben das im Bundestag als Antrag eingebracht. Alle anderen Parteien haben das abgelehnt. Wir sind also für Steuererleichterungen. Auf der anderen Seite sind wir bei den vier Steuerarten, die ich angesprochen habe, für Steuererhebungen, die ähnlich sind wie in anderen Industriestaaten.

    Müller: Interessiert Sie denn auch die Haushaltskonsolidierung?

    Lafontaine: Selbstverständlich, aber da haben wir eine ganz andere Auffassung als etwa sie Herr Eichel noch hatte. Herr Eichel war der Meinung, mit Sparmaßnahmen kann man den Haushalt konsolidieren. Er ist mit dieser Meinung, die sicherlich redlich war, gründlich gescheitert und an die Wand gefahren. Die Linke ist der Auffassung - das ist in den letzten zwei, drei Jahren bewiesen worden -, nur wirtschaftliches Wachstum konsolidiert die Haushalte. Wirtschaftliches Wachstum heißt übersetzt mehr Einnahmen und weniger Ausgaben. Das ist, wenn man so will, die Formel, mit der man Haushalte überall in der Welt konsolidiert.

    Müller: Nun haben Sie ja parteipolitisch in dem Sinne Verbündete, die ja auch nun die Steuern senken wollen, wie beispielsweise die CSU. Dort geht es auch um die mittleren Einkommen, um die Mittelschicht. Dann können Sie mitmachen mit Erwin Huber?

    Lafontaine: Nein. Erwin Huber hätte schon mehrfach mit uns mitmachen können. Wir müssen auch die Reihenfolge richtig sehen. Leider haben die CSU-Abgeordneten unsere Vorschläge dieser Art bisher im Bundestag abgelehnt. Deshalb bringen wir sie ja jetzt wieder ein. Beispielsweise noch vor der Bayern-Wahl muss die CSU Farbe bekennen. Wir haben noch einmal unseren Antrag auf die Tagesordnung gesetzt, die Pendlerpauschale in ursprünglicher Form wieder einzuführen.

    Müller: Die Linkspartei geriert sich sehr großzügig. Das haben Sie gerade auch getan. Herr Lafontaine, natürlich haben Sie gesagt gut, die Reicheren müssen Steuern zahlen. Die Vermögenssteuer wird unter anderem angehoben. Wie kann man aber mit diesen Zahlen den ganzen Staat sanieren?

    Lafontaine: Den Staat saniert man durch wirtschaftliches Wachstum, wie ich vorhin bereits gesagt habe, weil wirtschaftliches Wachstum - das haben ja die letzten Jahre gezeigt - deutlich zu mehr Einnahmen führt und zu minderen Ausgaben. Auf der anderen Seite geht es um die Staatseinnahmen und hier wollen wir schlicht und einfach nur den Durchschnitt der europäischen Gemeinschaft erreichen. Unsere Behauptung ist schlicht und einfach die: Was im Durchschnitt in Europa geht, geht auch in Deutschland.

    Müller: Also diejenigen, die mehr als 50 Prozent Netto abgeben müssen vom Brutto, die sind in Deutschland noch gut bedient?

    Lafontaine: 50 Prozent und mehr vom Brutto, das gibt es in Deutschland nicht. Das ist also ein Märchen. Wir haben einen Spitzensteuersatz von 42 Prozent.

    Müller: Einschließlich der Abgaben, Herr Lafontaine!

    Lafontaine: Ja. Die Abgaben sind aber gerade etwa bei Herrn Ackermann so gering bemessen, weil sie ja gedeckelt sind auf dem Betrag, auf den sie erhoben werden können, dass er - und das wissen die wenigsten - weniger prozentual zahlt, wenn er hier in Deutschland Steuern zahlen würde, muss ich sagen - er ist ja Schweizer -, als etwa ein Junggeselle, der ein Einkommen von 35.000 Euro hat.

    Müller: Aber Sie kennen ja auch Menschen, die mittlere Einkommen haben, die alleine leben und auch so viel bezahlen müssen - jedenfalls prozentual.

    Lafontaine: Genau. Die wollen wir ja entlasten. Das habe ich ja gesagt. Leider lehnen die anderen Parteien diese unsere Vorschläge ab.

    Müller: Jetzt brauchen wir noch etwas Positives mit Blick auf den Bundespräsidenten. Tragen Sie irgendetwas mit, bei Bildung beispielsweise?

    Lafontaine: Ja, selbstverständlich! Es ist sehr gut, dass er die Bildung in den Mittelpunkt stellt. Aber da wir versuchen wollen, an dieser Stelle redlich zu sein, sagen wir immer wieder, das muss auch finanziert werden. Diese Frage beantworten wir mit den Vorschlägen, die wir gerade diskutiert haben.

    Müller: Haben Sie denn in den vergangenen zurückliegenden Wochen und Monaten schon einmal mit Kurt Beck über alles gesprochen?

    Lafontaine: Nein. Kurt Beck hat ja Berührungsängste zur Linkspartei; das ist bekannt.

    Müller: Hat denn Kurt Beck schon mal den Kontakt zu Ihnen dennoch gesucht?

    Lafontaine: Ich sagte doch: Er hat Berührungsängste. Das ist doch eine klare Antwort.

    Müller: Hat Kurt Beck von Ihnen gelernt?

    Lafontaine: Das müssten Sie ihn fragen. Ich würde mir darüber kein Urteil erlauben.

    Müller: Oskar Lafontaine war das heute Morgen live bei uns im Deutschlandfunk, Partei- und Fraktionschef der Linkspartei. Vielen Dank für das Gespräch!

    Lafontaine: Bitte sehr.

    Müller: Auf Wiederhören!