Dienstag, 19. März 2024

Archiv

Lage der Rohingya
Weltweit größtes Flüchtlingslager droht Überflutung

Mehr als eine halbe Million Rohingya sind von Myanmar nach Bangladesch geflohen. Die Vereinten Nationen sprechen von "ethnischen Säuberungen" gegen die muslimische Minderheit vor. In dem am dichtesten besiedelten Flüchtlingslager der Welt leben sie in einfachen Zelten. Nun droht ihnen erneut Gefahr durch eine Naturgewalt.

Von Silke Diettrich | 20.06.2018
    Rohingya in einem Flüchtlingslager in Bangladesch.
    Rohingya in einem Flüchtlingslager in Bangladesch. (Ed JONES / AFP)
    August 2017: Dicke graue Rauchschwaden über Dörfern. Schüsse. Tag und Nacht fliehen tausende Menschen, auf klapprigen Booten. Gestrandet in Bangladesch. Ausgemergelt, verletzt und erschöpft: schwangere Frauen, Kinder, Alte, Jugendliche. Fast alle Muslime aus Myanmar sind in wenigen Wochen nach Bangladesch geflohen. Kein Gepäck in den Händen, dafür schleppen sie ein großes Bündel grausamer Erlebnisse mit sich:
    "Von meinem Versteck aus habe ich gesehen, wie mein Sohn versucht hat, zu fliehen", erzählt Hasina, Mutter von vier Kindern. "Aber es waren so viele Soldaten dort, sie haben ihn nieder gestoßen und dann ins Feuer geworfen."
    Hasinas ältester Sohn ist verbrannt, mit ihrem Jüngeren ist sie hierher geflohen. Wo ihre zwei anderen Kinder sind und auch ihr Ehemann, weiß sie nicht.
    Mosadekka ist auch über den großen Fluss gekommen, sie ist zehn Jahre alt. Sie sagt, Soldaten in Myanmar hätten ihre Schwester erschossen:
    "Ich hatte große Angst, sie haben Menschen zerschnitten, ich bin mit meinen Vater weg gerannt."
    Weltweite Kritik an Friedensnobelpreisträgerin Aung San Su Kyi
    Die Geschichten lassen sich schwer überprüfen, unabhängige Beobachter durften nicht zu den Orten, von denen die Rohingya geflohen sind. Die Armee in Myanmar behauptet, muslimische Rebellen hätten die Dörfer der Rohingya angezündet und die Menschen so dazu gezwungen, nach Bangladesch zu fliehen. Burmesische Journalisten sagen unter der Hand, das Militär habe die Gewalt provoziert. Es benutze die Krise, um Aung San Suu Kyi zu schwächen. Bill Richardson aus den USA, der zu dem Team gehörte, das zwischen den Rohingya und Myanmar vermitteln sollte, sagt:
    "Aung San Su Kyi scheut sich, sich gegen das Militär zu stellen. Sie sagt der Armee nicht, dass die aufhören soll mit ihren Gräueltaten. Sie hat Angst vor der Armee und sie will wieder gewählt werden. Das ist eine unmoralische Haltung."
    Kritik aus aller Welt gegen die Friedensnobelpreisträgerin wurde immer größer. "Schweigen ist ein Kriegsverbrechen" stand auf Plakaten bei Demonstrationen, die auf der ganzen Welt stattgefunden haben. Im September sagte Rex Tillerson, zu der Zeit noch Außenminister der USA:
    "Die Gewalt muss aufhören, die Verfolgung muss aufhören. Viele bezeichnen die Taten in Myanmar als ethnische Säuberung, das muss aufhören!"
    Heute leben kaum mehr Rohingya in Myanmar
    Worte, die vielleicht etwas bewirkt haben, vielleicht war es aber auch die Drohung von weiteren Strafmaßnahmen der USA – Sanktionen, wirtschaftliche Maßnahmen gegen einzelne Angehörige des Militärs, Reiseverbote. Aun Sang Suu Kyi hat ihr Schweigen gebrochen:
    "Es hat immer wieder Ärger gegeben zwischen den Muslimen und den anderen Einwohnern in der Region in unserem Land, das ist ein sehr komplexes Problem. Aber das schaffen wir nicht von heute auf morgen, da gibt es keine einfachen Antworten."
    Heute leben nur noch wenige Rohingya in Myanmar, die meisten Menschen dieser Volksgruppe sind nun in Bangladesch, in einem Land, das doppelt so viele Einwohner wie Deutschland hat, aber nur halb so groß ist. Sie leben in dem dicht besiedelsten Flüchtlingslager der Welt, 700.000 Menschen im Süden von Bangladesch. Myanmar und Bangladesch sind Anfang des Jahres zu einem Abkommen gelangt, nicht mehr als eine Absichtserklärung: Die Flüchtlinge dürfen zurückkehren. Auch die Vereinten Nationen haben dies nun mit Myanmar vereinbart.
    Die Rohingya sollen in Myanmar sicher, würdig und nachhaltig leben können. Die Flüchtlinge im Lager in Bangladesch können sich nicht vorstellen, dass dies geschehen wird:
    "Die Folter daheim wird aufhören?", fragt Sayadur, der gerade an einem Gerüst für eine Latrine hämmert. "Ich erlebe diese Schikanen jetzt seit 45 Jahren, seit meiner Kindheit. Ich würde nur zurück gehen, wenn das wirklich aufhört."
    Hunderttausende Menschen könnten erneut obdachlos werden
    Bangladesch überlegt, einige der Flüchtlinge auf eine weit entfernte Insel zu bringen. Die Rohingya wären dann völlig isoliert im Golf von Bengalen. Aber die Regierung fürchtet, dass die Geduld der Einheimischen langsam reißen könnte. Sie sind mittlerweile in der Minderheit in ihren eigenen Dörfern. Die Preise steigen, die Kriminalität wächst, Wälder wurden gerodet, um Platz für die Flüchtlinge zu schaffen. Das rächt sich, gerade jetzt, wo die Regenzeit beginnt:
    "Wir haben erst vor einigen Monaten hier ein Zelt auf diesen Hügel gebaut", erzählt Mohammad Iliyas. "Das war unser neues Heim. Vor wenigen Tagen hat es heftig geregnet, und der Hügel, mit allen Zelten darauf, ist eingebrochen."
    Genau davor warnen die Hilfsorganisationen nun, Hunderttausende Menschen könnten erneut ihr Dach über dem Kopf verlieren.