Freitag, 29. März 2024

Archiv


Lagerstadt Warschau

Die Nationalsozialisten verwandten viel Zeit darauf, die Ära nach dem Endsieg in allen Einzelheiten zu planen. Architekten und Stadtplaner waren mit der Neuordnung Europas beschäftigt. Ein Beispiel ist die Planung für das stark zerstörte Warschau. Die Video-Künstlerin Aleksandra Polisiewicz hat nun mit einer Computerinstallation die Pläne nationalsozialistischer Architekten für die polnische Hauptstadt erfahrbar gemacht.

Von Martin Sander | 27.01.2007
    Die Ulica Widok ist eine der wenigen Straßen im Zentrum von Warschau mit historischem Charakter, weder im Zweiten Weltkrieg zerstört noch vom rigorosen Stadtumbau der Nachkriegszeit entstellt. Dort, in einem erst vor kurzem sorgsam restaurierten Jugendstil-Mietshaus ist die private Galerie "La Guern" untergebracht, wo die Malerin und Video-Künstlerin Aleksandra Polisiewicz "Wartopia I" präsentiert.

    Der Titel enthält die Worte Utopie, Krieg und Warschau. Er gilt einer Ausstellung, die mit den Plänen nationalsozialistischer Architekten für Warschau unter deutscher Hegemonie in der Form einer Computerinstallation spielt. Auf farbigen Wandtafeln werden die Entwürfe für einzelne Gebäude gezeigt. Auf einer großen Leinwand kann sich der Besucher mithilfe eines Joysticks wie auf einer Fahrbahn durch die nationalsozialistische Modellstadt bewegen. So soll die Wirkung totalitärer Stadtplanung sinnlich erfahrbar werden, erklärt Aleksandra Polisiewicz:

    "Bei diesem Projekt ist es wichtig, dass ich in jedem Augenblick etwas verändern kann. Ich kann Gebäude hinzustellen oder sie wieder wegnehmen. Ich kann die Beleuchtung verändern und so weiter."


    Doch der Beliebigkeit sind Grenzen gesetzt. Im Kern verschmilzt "Wartopia I" zwei historische Pläne. Der eine stammt von dem Würzburger Architekten und Stadtplaner Hubert Groß, der andere von dem in Berlin tätigen Friedrich Pabst. Seit 1939 arbeiteten Hubert Groß und Friedrich Pabst im Auftrag der nationalsozialistischen Besatzungsbehörden daran, Warschau ein "deutsches Gepräge" zu geben.

    Man beabsichtigte, die Einwohnerzahl von 1,3 Millionen auf 40.000 bis 120.000 zu verringern. "Abbau der Polenstadt. Aufbau der deutschen Stadt. Aussiedeln der Juden", lautete das NS-Programm. Das neue Zentrum war für die Verwaltung ein deutsches Villenviertel und einige Repräsentationsbauten vorgesehen. Dazu gehörten ein so genanntes Gauforum, eine riesige Aussichtsterrasse am Weichselufer, eine "Volkshalle" eine Zitadelle. Stadion, Hafen sowie Haupt- und Güterbahnhof kamen hinzu. Anstelle der traditionellen abzureißenden Arbeiterquartiere von Praga am rechten Ufer der Weichsel sollten Wohnblöcke für die als Arbeitskräfte benötigten Polen entstehen - eine Siedlung, symmetrisch, niedrig, überragt von Wachtürmen, einem Konzentrationslager gleich.

    "Der Plan von Hubert Groß war eher allgemein gehalten und umfasste das ganze Stadtgebiet von Warschau. Der Plan von Friedrich Pabst konzentrierte sich auf
    den Platz um die Altstadt am königlichen Schloss. Dort sollte die Volkshalle entstehen. Deshalb habe ich diese beiden Pläne miteinander verbunden. Wir haben hier also eine Art Plan im Plan. Was allerdings das Gauforum betrifft, so habe ich angesichts der Ungenauigkeit der Pläne auf die Baupläne für ein Gauforum in Weimar zurückgegriffen."

    Pläne und Unterlagen hat Aleksandra Polisiewicz vor allem in Warschau gefunden, in den Beständen des historischen Museums der Stadt und in den Archiven des Instituts für Nationales Gedenken, das die Geschichte des Kommunismus und der nationalsozialistischen Besatzung Polens aufarbeitet. Die Inspiration für die Ausstellung "Wartopia I" kam ihr, als sie mit dem Wiederaufbau der Stadt auf dem Gebiet des ehemaligen, von den Nazis dem Erdboden gleichgemachten Ghettos, konfrontiert wurde. Dort entstanden bald nach Kriegsende, ohne Rücksicht auf die vormalige Straßenführung, Wohnsiedlungen im stalinistischen Stil, die den monumentalen Phantasien der NS-Architektur zweifellos ähnelten.

    "Ich komme nicht aus Warschau, ich stamme aus Schlesien und bin erst vor einigen Jahren nach Warschau gekommen. Und gerade am Anfang kam es immer wieder vor, dass ich mich in der Stadt verlief. Und einmal habe ich mich unglücklich auf einer Straße verlaufen, die typisch ist für den Sozialistischen Realismus, die Ulica Andersa im Stadtteil Muranow, auf dem Terrain des ehemaligen Ghettos. Ich wollte herausbekommen, wo ich war. Aber auf beiden Seiten standen genau die gleichen Häuser. Und da ich so etwas zum ersten Mal in Wirklichkeit sah, und nicht nur in Büchern oder Alben, fing ich an, mich mit dem Thema näher zu beschäftigen."


    Aleksandra Polisiewicz geht es nicht allein um Hitlers Umbaupläne für Warschau, sondern um die Auseinandersetzung mit Stadtplanungen als Ausdruck totalitärer Utopien im allgemeinen. Deshalb hat sie in Ihrer Visualisierung von "Wartopia I" auch ein Gebäude aus der polnischen Vorkriegszeit einbezogen - den in den dreißiger Jahren projektierten Monumentalbau für das Warschauer Nationalmuseum. Und ihr nächstes Ausstellungsvorhaben "Wartopia II" soll die Pläne des NS-Stadtplaners Hubert Groß mit dem Wiederaufbauplan von Edmund Goldzamt konfrontieren. Goldzamt, ein in Moskau ausgebildeter Architekt, hatte 1945 ein umfassendes Umbaukonzept im Stile des sozialistischen Realismus ausgearbeitet, das wegen seiner besonderen Radikalität auch im Warschau der stalinistischen Nachkriegsära nicht verwirklicht wurde.

    Informationen:
    Wartopia I, die Ausstellung trägt den Untertitel Berlin 518, Moskwa 1122, das sind die auf einem Kilometerstein angegebenen Entfernungen zu den beiden Warschau benachbarten Hauptstädten.